1 Hintergrund
Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein zivilgerichtliches Urteil auch das Interesse von Umsatzsteuerrechtlern weckt. Das im BGH-Urteil vom 12.06.2025 (Az. III ZR 109/24) relevante Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) hat jedoch im digitalen Kontext umsatzsteuerliche Berührungspunkte. Im KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 07 | 2025 haben wir über den Entwurf eines neuen BMF-Schreibens zu Bildungsleistungen berichtet. Neben der Bestätigung der Steuerpflicht für viele Online-Bildungsangebote (vgl. auch KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 24 | 2024) beabsichtigt die Finanzverwaltung darin, „Lehrgänge und Streaming-Angebote, die nach dem Fernunterrichtsschutzgesetz zugelassen sind, […] als Unterrichtsleistungen steuerfrei“ zu behandeln. Daneben ist nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 des Staatsvertrags über das Fernunterrichtswesen die Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) bei Vorliegen eines Fernunterrichts die für die Erteilung der Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 a) bb) UStG zuständige Landesbehörde. Das FernUSG ist mithin auch umsatzsteuerrechtlich sehr bedeutsam.
2 Sachverhalt
Die Parteien stritten sich über Zahlungsansprüche aus einem Online-Coaching-Vertrag über ein „9-Monats-Business-Mentoring-Programm Finanzielle Fitness“. Über eine Zulassung nach dem FernUSG verfügte die beklagte Akademie nicht. Der Kläger nahm sieben Wochen lang am Online-Coaching teil, das u. a. Lehrvideos, Hausaufgaben und zweiwöchig stattfindende Online-Meetings beinhaltete, die zum Abruf aufgezeichnet wurden. Präsenzveranstaltungen spielten eine untergeordnete Rolle. Der Kläger wollte sich u. a. mit der Begründung vom Vertrag lösen, dass dieser wegen der fehlenden Zulassung nach dem FernUSG nichtig sei, und verlangte eine Rückzahlung der vollen Kursgebühr. Das OLG Stuttgart gab der Klage statt.
3 Entscheidung des BGH
Der BGH hat die Revision der beklagten Akademie zurückgewiesen. Der Vertrag sei wegen Verstoßes gegen die Zulassungspflicht nach § 7 Abs. 1 FernUSG nichtig. Infolgedessen müsse der Anbieter die volle Kursgebühr erstatten (Kondiktionsanspruch; § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB). Das Tatbestandsmerkmal „entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten“ legt der BGH großzügig aus. Es reiche aus, dass dem Kläger Kenntnisse für eine unternehmerische Tätigkeit vermittelt werden und diese ihn dazu befähigen sollten, das Wissen umzusetzen. Auf eine „Mindestqualität“ der Inhalte komme es nicht an. Die Auslegung der „räumlichen Trennung“ fällt hingegen kurz aus. Nachdem das OLG Stuttgart eine räumliche Trennung bei einem Online-Coaching auch dann angenommen hatte, wenn eine synchrone Kommunikation wie bei einer Präsenzveranstaltung möglich war, ließ der BGH diese Frage offen: Mit Verweis auf die Rechtsansicht der ZFU, dass aufgezeichnete synchrone Unterrichtsanteile als asynchroner Unterricht zu behandeln seien, weil sie zeitversetzt angeschaut werden könnten und damit eine synchrone Teilnahme entbehrlich machten, nahm der BGH eine „räumliche Trennung“ an. Dazu, ob der historische Gesetzgeber gewollt habe, dass alle Unterrichtsformen, die nicht in körperlicher Präsenz stattfinden, ausnahmslos unter das FernUSG fallen sollten (so das OLG Stuttgart), äußerte sich der BGH nicht.
Bei der „Lernerfolgskontrolle“ verweist der BGH auf seine frühere Rechtsprechung (Urt. v. 15.10.2009 – Az. III ZR 310/08). Diese liege bereits vor, wenn der Teilnehmer vertraglich den Anspruch hat, durch Fragen zum erlernten Stoff eine Kontrolle des Lernerfolgs zu erhalten. In überraschender Deutlichkeit führt der BGH aus, dass das FernUSG als Recht des Verbraucherschutzes auch Anwendung findet, wenn der Teilnehmer ein Unternehmer iSd. § 14 BGB („B2B“) ist. Der Gesetzgeber habe alle potentiellen Teilnehmer vor unseriösen Fernunterrichtsangeboten schützen wollen. Schließlich verneinte der BGH einen Anspruch des Anbieters auf Wertersatz für die geleisteten Dienste.
4 Auswirkungen auf die Praxis
Die Folgen des Urteils sind weitreichend: Im Zweifel muss selbst beim Abhalten eines einzigen Seminarvortrags die „Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten“ bejaht werden. Sind nach dem Vertrag Rückfragen erlaubt, ist auch die „Lernerfolgskontrolle“ anzunehmen. Die B2B-Anwendbarkeit entzieht der Gegenansicht (vgl. nur OLG München, Urt. v. 17.10.2024 – 29 U 310/21) den Boden. Bildungsanbieter können sich daher bei gewerblichen Kunden nicht mehr darauf verlassen, dass das FernUSG für sie kein Thema ist. Auch dürfte der Nachweis ersparter Aufwendungen des Teilnehmers nur schwer zu führen sein. Bei der „räumlichen Trennung“ gilt hingegen weiterhin: Eine Zulassungspflicht lässt sich vermeiden, wenn rein synchrone Anteile erhöht und asynchrone Anteile verringert werden, um einen mindestens hälftig präsenzäquivalenten Informationsaustausch zu erreichen. Dass bei einem Online-Unterricht immer eine „räumliche Trennung“ vorläge (so das OLG Stuttgart), hat der BGH nicht bestätigt. Online-Bildungsanbieter, die sich auf die Rechtsansicht der ZFU zur fehlenden Zulassungspflicht verlassen haben, können also erst einmal beruhigt aufatmen, sofern sie den Teilnehmern keine Aufzeichnungen zur Verfügung stellen.
Wer sichergehen will, dass sein Kursangebot nicht in den Anwendungsbereich des FernUSG fällt, muss dieses so umstellen, dass keine bzw. nur geringfügig asynchrone Inhalte vorliegen. Interessant wird nun sein, wie die Politik auf die Entscheidung reagiert. Im neuen Koalitionsvertrag wurde die Modernisierung des FernUSG angekündigt (vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 09 | 2025). Der Gesetzgeber kann nun prüfen, ob ein fast fünf Jahrzehnte altes Gesetz noch die richtige Grundlage zur modernen Gestaltung der digitalen Bildungslandschaft darstellt. Dass Bildungsanbieter auf die Bereitstellung von Aufzeichnungen verzichten müssen, um aus dem Anwendungsbereich des FernUSG zu fallen, erscheint jedenfalls nicht zeitgemäß. Heutzutage wird eine solche Aufzeichnung von Teilnehmern als Service im Sinne einer Nebenleistung zu Recht erwartet.
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Steuerberater, Dipl.-Finanzwirt (FH)
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Stand: 18.07.2025