Umsatzsteuer Newsletter 24/2024
BMF schafft akuten Handlungsbedarf bei Online-Angeboten
Mit Schreiben vom 29.04.2024 äußert sich die Finanzverwaltung umfassend zu Online-Veranstaltungen und sonstigen Online-Dienstleistungsangeboten. Demzufolge ist die Unterscheidung zwischen vorproduzierten Inhalten und Live-Streaming nicht nur für den Ort der Leistung relevant, sondern auch für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes und der Steuerbefreiungen für Bildungsleistungen sowie im kulturellen und Gesundheitsbereich. Vorproduzierte Lernvideos etwa sind nicht weiter umsatzsteuerbefreit. Die weitreichenden Änderungen treten bereits zum 01.07.2024 in Kraft. Es besteht somit dringender Handlungsbedarf. Ferner thematisiert das BMF-Schreiben Dienstleistungskommissionen und Leistungskombinationen. Damit ist es auch für Influencer, Streamer und alle, die neben einem Live-Stream auch die Aufzeichnung anbieten, äußerst praxisrelevant.
1 Hintergrund
Veranstaltungen jeglicher Art werden zunehmend nicht nur in Präsenz, sondern auch online angeboten. In den letzten Jahren hat sich mit den Influencern, Youtubern, Streamern etc. eine gänzlich neue Branche im Online-Segment gebildet. Die online konsumierten Inhalte sind vielfältig und können als vorproduzierte Aufzeichnung, als Live-Veranstaltung mit und ohne zusätzlichen Abruf einer Aufzeichnung oder hybrid angeboten werden. Die Ausführungsart beeinflusst neben dem Ort der Leistung auch die Anwendbarkeit von Steuerbefreiungen und des ermäßigten Steuersatzes. 
 
2 BMF-Schreiben vom 29.04.2024
Mit dem Schreiben äußert sich die Verwaltung erstmals umfassend zu B2C-Online-Angeboten. Konkret unterscheidet das BMF zwischen vorproduzierten Inhalten und Live-Streaming und nimmt zu Dienstleistungskommissionen und Leistungskombinationen Stellung. Die Art der Ausführung spielt demzufolge eine entscheidende Rolle für die Anwendbarkeit des ermäßigten Steuersatzes und der Steuerbefreiungen für Bildungsleistungen sowie im kulturellen und Gesundheitsbereich. Die Grundsätze sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Zu den einzelnen Inhalten:
 
Vorproduzierte Inhalte: Bei der Bereitstellung einer Aufzeichnung in digitaler Form über das Internet handelt es sich um eine elektronische Dienstleistung. Denn die Bereitstellung, die Zugangsgewährung und der Abruf per Download oder Stream erfordern nur eine minimale menschliche Beteiligung. Der Leistungsort richtet sich folglich entsprechend § 3a Abs. 5 Satz 1 UStG nach dem Wohnsitz des Leistungsempfängers, sofern dieser Nichtunternehmer ist. Selbiges ergibt sich für entsprechende Inhalte, die von Rundfunk- und Fernsehsendern bereitgestellt werden.
 
Live-Streaming und hybride Angebote: Die Bereitstellung eines Live-Streamings zu einer Veranstaltung durch einen Unternehmer (Veranstalter), das parallel zu bzw. anstelle einer Präsenzveranstaltung und in Echtzeit erfolgt, ist keine auf elektronischem Weg erbrachte Dienstleistung. Für kulturelle, künstlerische, wissenschaftliche, unterrichtende, sportliche, unterhaltende und ähnliche Leistungen gilt vielmehr § 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a UStG. Der Leistungsort im B2C-Bereich soll sich nach dem Wohnsitz des Leistungsempfängers richten. Bei dieser Aussage muss es sich jedoch um ein redaktionelles Versehen handeln. Der Ort richtet sich aktuell (noch) nach dem Tätigkeitsort des Unternehmers. Erst zum 01.01.2025 soll nach dem Entwurf zum JStG 2024 das Empfängerortprinzip eingeführt werden.
 
Dienstleistungskommission: Die digitale Bereitstellung sowohl von Live- als auch von Streaming-Angeboten erfolgt vermehrt über Portale. Dies betrifft neben klassischen Veranstaltungen wie Konzerten auch die Leistungen von Influencern, Youtubern, Streamern & Co. Das BMF-Schreiben stellt klar, dass in diesen Fällen eine Dienstleistungskommission vorliegen kann. Das bedeutet, dass Anbieter ihre Leistungen an das Portal erbringen und das Portal diese wiederum an den Endkunden.
 
Steuerbefreiungen und ermäßigte Steuersätze bei Einzelleistungen (live oder Aufzeichnung): Die Steuerbefreiungen nach § 4 Nr. 14 (Gesundheit), Nr. 20 Buchst. a und b (Kunst und Kultur), Nr. 21 (Bildungsleistungen) sowie der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG (Eintrittsberechtigung) finden nur bei Live- und Hybrid-Veranstaltungen Anwendung. Aufzeichnungen sind nicht begünstigt. Aufgezeichnete bzw. vorproduzierte Inhalte z. B. von Fernlehrinstituten werden demnach von der Steuerbefreiung ausgeschlossen. Bei Dienstleistungskommissionen hält die Finanzverwaltung an ihrer Auffassung fest, dass personenbezogene Merkmale für jede Leistung gesondert zu prüfen sind und nicht auf den zwischengeschalteten Unternehmer übertragbar sind.
 
Steuerbefreiungen und ermäßigte Steuersätze bei kombinierten Leistungen (live und Aufzeichnung): Umfasst die Leistung neben dem Live-Angebot (mit und ohne Interaktionsmöglichkeit) zusätzlich die Aufzeichnung, liegt eine Leistung eigener Art (sui generis) vor, die zwingend dem Regelsteuersatz unterliegt. Eine Aufteilung des Entgelts ist nicht möglich. Wird für die Aufzeichnung allerdings ein gesondertes Entgelt vereinbart bzw. ein Aufschlag gezahlt, liegen selbständige Leistungen vor, die getrennt nach den Grundsätzen des BMF-Schreibens zu beurteilen sind. Ein einheitliches Nutzungsentgelt für selbständige Hauptleistungen ist auf die einzelnen Leistungen aufzuteilen.
 
3 Auswirkungen auf die Praxis
Bei allen Anbietern von kombinierten Leistungen – insbesondere im Bereich der Online-Bildung (z. B. Fernlehrinstitute) – schlägt das BMF-Schreiben ein wie eine Bombe. Bereits der (zusätzliche) Zugriff auf eine Aufzeichnung soll eine Leistung eigener Art (sui generis) begründen und die Steuerbefreiung bzw. den ermäßigten Steuersatz in Gänze ausschließen. Die gewährte Schonfrist bis zum 01.07.2024 ist unverhältnismäßig kurz. Vielfach werden laufende Verträge keine Vereinbarung von Teilleistungen beinhalten, sodass sich die umsatzsteuerliche Behandlung rückwirkend zu Lasten der Marge ändert, wenn die Leistung (z. B. der Kurs) nach dem 30.06.2024 endet. Hier gilt es nun, Gestaltungsmöglichkeiten auszuloten, um entweder die Befreiung / Ermäßigung aufrechtzuerhalten oder zumindest den Schaden zu minimieren.
 
Einzig Influencer, Streamer etc. stehen dem Schreiben positiv gegenüber. Sie erbringen ihre Leistungen vielfach im Rahmen von Dienstleistungskommissionen ohne deutsche Umsatzsteuer an Plattformen im Ausland. Wer bisher deutsche Umsatzsteuer abgeführt hat, kann sich diese Umsatzsteuer vom Finanzamt erstatten lassen. Inländische Plattformen hingegen müssen prüfen, ob sie als zwischengeschaltetes Glied einer Leistungskette Umsatzsteuer schulden.
 

Ansprechpartner:

 

Steuerberater, Dipl.-Finanzwirt (FH)
Tel: +49 211 54 095 387
 
Stand: 15.05.2024