1 Hintergrund
Erbringt ein Unternehmer eine sonstige Leistung an eine feste Niederlassung (bzw. Betriebstätte) des Leistungsempfängers, liegt der Leistungsort dort, wo sich die feste Niederlassung befindet (vgl. § 3a Abs. 2 Satz 2 UStG). Nach der gesetzlichen Definition erfordert eine feste Niederlassung eine beständige Struktur, die von ihrer personellen und technischen Ausstattung her eine autonome Erbringung von Leistungen oder den Empfang von Leistungen erlaubt (vgl. Art. 11 MwStVO). Das jüngste EuGH-Verfahren (Rs. C-533/22 – Adient) drehte sich im Wesentlichen (wieder) um die Frage, ob eine Konzerngesellschaft als feste Niederlassung einer anderen Konzerngesellschaft zu betrachten ist.
2 Sachverhalt
Zwischen Adient Deutschland und Adient Rumänien besteht ein Dienstleistungsvertrag. Beide Unternehmen gehören zum Adient-Konzern, einem globalen Zulieferer der Automobilindustrie im Bereich Sitzsysteme und anderer Komponenten, und sind daher miteinander verbunden. Rechtlich sind beide Unternehmen voneinander unabhängig. Auf Basis des Dienstleistungsvertrags schneidet und näht Adient Rumänien Autositzbezüge aus Rohstoffen, die ihr Adient Deutschland beistellt. Während des Herstellungsprozesses bleibt Adient Deutschland Eigentümer der Rohstoffe und Fertigprodukte. Neben der Rohstoffverarbeitung erbringt Adient Rumänien auch Zusatzleistungen, wie z.B. Lagerung, Kontrolle und Verwaltung der Rohstoffe sowie Lagerung und Unterstützung beim Verkauf der Fertigprodukte an Kunden. Die Fertigprodukte liefert Adient Deutschland von Rumänien aus an Kunden weltweit.
Adient Rumänien rechnete die Verarbeitungsleistungen an Adient Deutschland ohne Mehrwertsteuer ab. Sie nahm an, dass die Leistungen am Sitz von Adient Deutschland in Deutschland steuerbar seien. Die rumänische Finanzverwaltung vertrat hingegen die Auffassung, Adient Deutschland verfüge über eine feste Niederlassung in den Zweigniederlassungen von Adient Rumänien in Rumänien, weshalb die Leistungen in Rumänien steuerbar und steuerpflichtig seien. Die rumänische Finanzverwaltung registrierte Adient Deutschland als in Rumänien ansässigen Steuerpflichtigen. Dagegen klagte Adient Deutschland. Das Regionalgericht Argeș äußerte Zweifel am Standpunkt der rumänischen Finanzverwaltung und ersuchte den EuGH um Vorabentscheidung, ob ein ausländisches Unternehmen (Adient Deutschland) unter den Umständen des zugrunde liegenden Falles eine feste Niederlassung in Rumänien begründet.
3 Entscheidung des EuGH
Zur Begründung einer festen Niederlassung reiche es nicht aus, dass zwei rechtlich selbständige Unternehmen derselben Unternehmensgruppe angehören und durch einen Vertrag rechtlich miteinander verbunden sind. Bei einer juristischen Person sei davon auszugehen, dass sie die ihr zur Verfügung stehende personelle und technische Ausstattung für ihren eigenen Bedarf einsetze und dafür verantwortlich bleibe, auch wenn sie nur einen einzigen Kunden bedient. Nur dann, wenn der Leistungsempfänger über die personellen und technischen Mittel des Leistungserbringers verfügen könne, als wären es seine eigenen, könnte eine feste Niederlassung vorliegen. Der EuGH unterscheidet zwischen den an Adient Deutschland erbrachten Dienstleistungen und den von Adient Deutschland durchgeführten Lieferungen der Fertigprodukte in Rumänien. Für die Bestimmung des Leistungsorts der Dienstleistungen sei es irrelevant, dass Adient Deutschland in Rumänien über eine Struktur verfüge, mit der sie von dort aus Lieferungen an Kunden erbringe. Gemäß Art. 192a MwStSystRL gelte Adient Deutschland hinsichtlich der Lieferungen nicht als in Rumänien ansässig. Zudem wiederholt der EuGH, dass die Ausstattung, die zur Begründung einer festen Niederlassung herangezogen würde, nicht gleichzeitig dieselbe sein könne, mit der Dienstleistungen an die feste Niederlassung erbracht werden. Für das Vorliegen einer festen Niederlassung müsse es möglich sein, die personelle und technische Ausstattung des Leistungsempfängers zu identifizieren und von derjenigen des Leistenden zu unterscheiden. Andernfalls würden Leistender und Leistungsempfänger identisch sein, so dass es an einem steuerbaren Umsatz fehle. Ferner ließen Tätigkeiten vorbereitender Art oder Hilfstätigkeiten keine Begründung einer festen Niederlassung zu.
4 Praxisfolgen
Seit 2018 ist die Entscheidung Adient die fünfte, die die Kriterien zur Bestimmung fester Niederlassungen zum Gegenstand hat. Davon bereits die dritte seit der Entscheidung Dong Yang (Rs. C-547/18), in der es darum ging, ob und wann ein eigenständiges Unternehmen zugleich die feste Niederlassung eines anderen eigenständigen (Konzern-)Unternehmens sein kann. Dies ist beachtlich und ein Zeichen für bestehende Rechtsunsicherheit, an der der EuGH nicht ganz unbeteiligt war. In DFDS (Rs. C-260/95) entschied der EuGH, dass eine Gesellschaft, die als bloße Hilfsperson eines anderen Unternehmers handelt, eine feste Niederlassung begründen kann. In Dong Yang (Rs. C-547/18, vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 17 | 2020) führte er aus, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine Tochtergesellschaft die feste Niederlassung der Muttergesellschaft sein kann. Daraufhin begannen Finanzverwaltungen und Unternehmer in Konzernstrukturen nach festen Niederlassungen zu suchen.
Die Entscheidungen Berlin Chemie AG (Rs. C-333/20) und Cabot Plastics Belgium (C-232/22) brachten bereits ein wenig Licht ins Dunkel (vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 16 | 2022 und 30 | 2023). Auch die aktuelle Entscheidung Adient ist erfreulich. Der EuGH präzisiert die Anforderungen, ob und wann eine eigenständige Gesellschaft zugleich die feste Niederlassung einer anderen eigenständigen (Konzern-)Gesellschaft sein kann. Das erhöht die Rechtssicherheit – insbesondere für Unternehmer, die Ware von einem Auftragnehmer in einem anderen EU-Mitgliedstaat bearbeiten lassen.
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Steuerberaterin, Master of Science (M.Sc.)
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Stand: 20.06.2024