Umsatzsteuer Newsletter 30/2023
Feste Niederlassung: Neue EuGH-Entscheidung bringt Klarheit für Lohnveredelungsfälle
Erfreuliche Entscheidung des EuGH zur Thematik fester Niederlassungen: Der EuGH bestätigt in der Rechtssache Cabot Plastics Belgium SA (C-232/22), dass ein Unternehmer mit Sitz im Drittland am Ort seines Dienstleisters (Lohnveredelers) in Belgien keine feste Niederlassung begründet. Dies gilt selbst dann, wenn der Dienstleister ausschließlich für den Auftraggeber im Rahmen eines Exklusivvertrags tätig wird. Das Urteil sollte auf Unternehmer mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat übertragbar sein und bringt daher für Fälle der Lohnveredelung Rechtssicherheit.
1 Hintergrund
Erbringt ein Unternehmer sonstige Leistungen an eine feste Niederlassung (bzw. Betriebstätte) eines anderen Unternehmers, liegt der Leistungsort da, wo sich die feste Niederlassung befindet (vgl. § 3a Abs. 2 Satz 2 UStG). Ob eine feste Niederlassung des Unternehmers vorliegt, ist jedoch häufig nicht leicht zu bestimmen. Der jüngsten Entscheidung des EuGH (Rs. C-232/22 – Cabot Plastics Belgium SA) zum Bestehen einer festen Niederlassung lag ein Lohnveredelungssachverhalt (d.h. die Be- und Verarbeitung von Material eines Auftraggebers durch einen Auftragnehmer) zugrunde. Im Kern ging es um die Frage, ob der Auftraggeber am Ort des Auftragnehmers eine feste Niederlassung begründet, wenn der Auftragnehmer ausschließlich für den Auftraggeber tätig wird.
 
2 Sachverhalt
Cabot Switzerland schloss mit der Cabot Belgium einen Lohnveredelungsvertrag ab. Cabot Switzerland und Cabot Belgium gehören zum selben Konzern und sind mittelbar über eine Holding miteinander verbunden. Rechtlich sind beide Unternehmen voneinander unabhängig. Gemäß dem Lohnveredelungsvertrag verarbeitet Cabot Belgium Rohstoffe, die ihr die Cabot Switzerland beistellt, zu Zwischenprodukten, die dann zur Herstellung von Kunststoffen verwendet werden. Cabot Belgium nutzt ihre Produktionsanlagen ausschließlich zur Verarbeitung der Rohstoffe der Cabot Switzerland. Dadurch machen die an Cabot Switzerland erbrachten Dienstleistungen nahezu den gesamten Umsatz der Cabot Belgium aus. Neben der Rohstoffverarbeitung erbringt Cabot Belgium auch eine Reihe von Zusatzleistungen, wie z.B. Zwischenlagerung der Zwischenprodukte, Empfehlungen zur Optimierung des Produktionsverfahrens, technische Kontrollen, Unterstützung bei Zollformalitäten etc. Die Zwischenprodukte verkauft die Cabot Switzerland an Kunden weltweit.
 
Die Cabot Belgium wies in ihren Rechnungen an die Cabot Switzerland keine belgische Mehrwertsteuer aus. Sie nahm an, dass die Leistungen am Sitz der Cabot Switzerland in der Schweiz steuerbar seien. Die belgische Finanzverwaltung vertrat dagegen die Auffassung, die Cabot Switzerland verfüge über eine feste Niederlassung in Belgien, weshalb die Leistungen in Belgien steuerbar und steuerpflichtig seien. Entsprechend setzte die belgische Finanzverwaltung belgische Mehrwertsteuer fest. Die Cabot Belgium klagte gegen die Steuerfestsetzung. Das Berufungsgericht in Lüttich ersuchte den EuGH um Vorabentscheidung, ob ein Steuerpflichtiger in dem EU-Mitgliedstaat, in dem ein von ihm rechtlich unabhängiger Dienstleister ansässig ist, eine feste Niederlassung begründet, wenn der Dienstleister sich vertraglich verpflichtet, seine Anlagen und sein Personal ausschließlich für die Erbringung der Leistungen an den Steuerpflichtigen zu verwenden.
 
3 Entscheidung des EuGH
In seinem Urteil vom 29.06.2023 verneint der EuGH die vom Berufungsgericht vorgelegten Fragen. Es sei zwar nicht erforderlich, dass die personellen und technischen Ressourcen dem Steuerpflichtigen selbst gehören. In jedem Fall aber müsse der Steuerpflichtige über die personelle und technische Ausstattung des Dienstleisters in derselben Weise verfügen können wie über eine eigene (d.h. unmittelbarer und ständiger Zugang zur Ausstattung). Ein Dienstleistungsvertrag (auch als Exklusivvertrag) allein habe nicht zur Folge, dass die Ausstattung des Dienstleisters zur Ausstattung des Auftraggebers werde. Bei einer juristischen Person sei zudem davon auszugehen, dass sie ihre personelle und technische Ausstattung für ihren eigenen Bedarf einsetze und dafür verantwortlich bleibe, auch wenn sie nur einen einzigen Kunden bedient.
 
Der Umstand, dass Cabot Switzerland und Cabot Belgium miteinander verbundene Unternehmen sind, führe allein auch nicht zur Annahme einer festen Niederlassung. Ebenfalls habe die Erbringung von Zusatzleistungen, die auch die wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen (vorliegend: Verkauf der Zwischenprodukte) erleichtern, keinen Einfluss auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer festen Niederlassung. Darüber hinaus urteilt der EuGH, dass die der Cabot Switzerland zur Verfügung gestellten personellen und technischen Mittel, die zur Begründung einer festen Niederlassung herangezogen würden, die gleichen seien, mit denen Cabot Belgium die Dienstleistungen erbringt. Dieselben Mittel können aber nicht gleichzeitig zur Erbringung und zum Empfang derselben Leistung verwendet werden.
 
4 Praxisfolgen
Frühere Entscheidungen des EuGH zu den Voraussetzungen fester Niederlassungen warfen oftmals viele Fragen auf. Umso erfreulicher ist das aktuelle Urteil – zumindest für diejenigen Unternehmer, die Ware von einem Dienstleister / Auftragnehmer in einem anderen EU-Mitgliedstaat lohnveredeln lassen. Zwar hat der EuGH im zugrunde liegenden Fall nur für einen Unternehmer im Drittland entschieden. Die Entscheidung sollte aber auch auf Unternehmer mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat übertragbar sein. Für diese Fälle bringt das Urteil Klarheit und auch Rechtssicherheit. Die Urteilsbegründung des EuGH ist auch bemerkenswert ausführlich, greift vergangene Rechtsprechung auf und bringt diese in einen Kontext. 
 
Trotzdem sind noch lange nicht alle Fragen geklärt. Unter welchen Voraussetzungen ist eine Tochtergesellschaft bzw. ein verbundenes Unternehmen die feste Niederlassung der Muttergesellschaft? Gibt es diese Konstellation – auch mit Blick auf die neueren Entscheidungen des EuGH in den Rs. Berlin Chemie A. Menarini SRL (C-333/20) und Titanium (C-931/19) – überhaupt? Die Thematik der festen Niederlassungen ist überaus komplex. Hinzu kommt, dass die EU-Mitgliedstaaten diese Thematik nach wie vor unterschiedlich behandeln. Während die deutsche Finanzverwaltung die Begründung und Beteiligung von festen Niederlassungen eher zurückhaltend bewertet, legen andere Länder die Voraussetzungen sehr weit aus. Unternehmen sollten die Entwicklungen in diesem Bereich daher unbedingt im Blick behalten. 
 
Ansprechpartnerin:
 

Inge Söltl
Steuerberaterin, Master of Science (M.Sc.)
Telefon: +49 (0) 89 217 50 12-82

Stand: 06.07.2023