Umsatzsteuer Newsletter 49/2024
JStG 2024: Reform der Bildungsleistungen – für gewerbliche und Online-Anbieter geht das Chaos weiter
Anstelle der im Regierungsentwurf vorgesehenen großen Reform der Bildungsleistungen wurde schließlich ein Reförmchen verabschiedet. Aber eines, das es in sich hat. Das Bescheinigungsverfahren bleibt nun doch erhalten. Es bezieht sich jedoch auf einen neuen Inhalt, sodass alle Anbieter dringend eine neue Bescheinigung benötigen. Dies wird bis zum 01.01.2025 nicht möglich sein. Die Unterscheidung zwischen Aus- und Fortbildung in Bezug auf das Vorliegen systematischer Gewinnerzielungsabsicht wurde nicht umgesetzt. Im gewerblichen (Fort-)Bildungsbereich kann dies zu einer ungewollten Steuerbefreiung und zum Verlust des Vorsteuerabzuges führen. Es ist zudem unverständlich, wieso der Gesetzgeber das durch das BMF-Schreiben vom 29.04.2024 entstandene Chaos im Online-Bildungsbereich noch immer nicht beseitigt hat. Hier erfordert zudem eine neue Ortsvorschrift kurzfristige Anpassungsmaßnahmen.
1 Hintergrund
Da die nationalen Regelungen zur Steuerbefreiung im Bildungssektor dem Unionsrecht zuwiderlaufen, unternahm der Gesetzgeber nach 2013 und 2019 mit dem Regierungsentwurf zum JStG 2024 den dritten grundlegenden Reformversuch (vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 15 | 2024). Wohl aufgrund der daran vorgebrachten Kritik machte Mitte Oktober plötzlich ein stark veränderter Reformentwurf die Runde. Da wegen eines Vertragsverletzungsverfahrens der Reformdruck dieses Jahr ungleich höher ausfiel, wurde dieser mindestens ebenso kritikwürdige „Plan B“ nun verabschiedet. Wer Leistungen digital erbringt, muss daneben neue Vorschriften zum Leistungsort sowie das BMF-Schreiben vom 29.04.2024 beachten (vgl. KMLZ Umsatzsteuer-Newsletter 24 | 2024).
 
2 Neuregelung
Das Grundgerüst der geltenden Rechtslage bleibt bestehen. Ab 01.01.2025 gelten im Einzelnen folgende Änderungen:
 
  • Befreite Leistungen: Der sachliche Anwendungsbereich umfasst nach den Vorgaben von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL fortan Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung und berufliche Umschulung. Bisher war die Vorbereitung auf einen Beruf oder eine vor einer jPdöR abzulegende Prüfung vorgesehen. Mit der Änderung wird die Norm an die Vorgaben des Unionsrechts angepasst. Die im Referentenentwurf enthaltene Unterscheidung zwischen Aus- und Fortbildung in Bezug auf das Vorliegen systematischer Gewinnerzielungsabsicht wurde nicht umgesetzt.
  • Bescheinigungsverfahren: Die Landesbehörden müssen dem sachlichen Anwendungsbereich folgend bescheinigen, dass die Einrichtung Schulunterricht, Hochschulunterricht, Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung erbringt.
  • Privatlehrer: Neu eingeführt wird § 4 Nr. 21 Buchst. c UStG. Danach ist (lediglich) Schul- und Hochschulunterricht von Privatlehrern befreit. Der Begriff des Privatlehrers basiert auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL und soll nur natürliche Personen umfassen. Die Befreiung findet im Subunternehmerverhältnis keine Anwendung, sondern nur dann, wenn der Privatlehrer selbst Träger der Bildungsmaßnahme ist. Dies ist etwa bei unmittelbar gegenüber den Kunden erbrachten Nachhilfeleistungen der Fall. Für Subunternehmer gilt § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG unverändert fort, sodass die unterrichtende Einrichtung eine Bescheinigung benötigt.
  • Öffentliche Einrichtungen: § 4 Nr. 21 Buchst. a UStG wird ergänzt um „Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind“. Hierzu gehören insbesondere in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft betriebene allgemeinbildende oder berufsbildende Schulen und staatliche Hochschulen im Sinne des § 1 HRG.
  • Anwendungsvorrang: Nach § 4 Nr. 21 Satz 2 UStG sind Bildungsleistungen im Rahmen von Eingliederungsleistungen nach dem SGB II, Leistungen der Arbeitsförderung nach dem SGB III sowie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach SGB IX nur unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 15b und 15c UStG umsatzsteuerfrei.
3 Besonderheiten bei Online-Bildung – BMF-Schreiben vom 29.04.2024 und neue Ortsregelung
Unabhängig von der Neuregelung müssen Anbieter das BMF-Schreiben vom 29.04.2024 berücksichtigen, das in der Praxis für erhebliches Unbehagen sorgt. Demnach sind vorproduzierte Inhalte wie Video-Kurse, Lernplattformen etc. von der Steuerbefreiung ausgeschlossen. Gleiches gilt, wenn Live-Inhalte aufgezeichnet werden. In Betriebs- und Umsatzsteuer-Sonderprüfungen wird derzeit die Auffassung vertreten, dass jegliche (auch untergeordnete) elektronischen Dienstleistungselemente die gesamte Leistung infizieren. Erste Landesbehörden erteilen bereits keine Bescheinigung mehr, wenn – trotz überwiegend menschlicher Elemente – Aufzeichnungen zur Verfügung gestellt werden.
 
Losgelöst von der Steuerbefreiung müssen im Online-Bereich die Neuregelungen zum Leistungsort beachtet werden. Für virtuelle B2C- (§ 3a Abs. 3 Nr. 3 UStG) und B2B-Leistungen (§ 3a Abs. 3 Nr. 5 UStG) befindet sich der Veranstaltungsort fortan am (Wohn-)Sitz des Empfängers. Im B2C-Bereich wurde abweichend davon bislang am Sitz des Leistenden, d. h. in Deutschland besteuert. Die Rechtsänderung basiert auf einer entsprechenden Anpassung der MwStSystRL.
 
4 Folgen für die Praxis
Aus der geplanten Reform ist aufgrund des Drucks auf den Gesetzgeber ein Reförmchen geworden. Eines, das es für gewerbliche Anbieter in sich hat. Hat Berlin die praktischen Folgen der Neuregelung schlichtweg übersehen? Zunächst müssen alle Anbieter schnellstmöglich eine neue Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG beantragen. Denn der Inhalt der Bescheinigung ist ein anderer. Es wird unmöglich sein, bis zum 01.01.2025 allen Betroffenen neue Bescheinigungen zu erteilen. Ferner ist es unglücklich, dass die Landesbehörden fortan über die Auslegung der dem Unionsrecht entstammenden Tatbestandsmerkmale Schulunterricht, Ausbildung etc. entscheiden. Fortbildungsanbieter, die bisher steuerpflichtig abrechnen, können durch die Steuerbefreiung erheblich schlechter gestellt werden. Das Bescheinigungsverfahren ist kein Wahlrecht. Die Bescheinigung kann auch von Dritten (z. B. Finanzamt) beantragt werden. Liegen die Voraussetzungen vor, muss die Landesbehörde bescheinigen. Anbieter sind sodann mit nicht abziehbarer Vorsteuer, §15a-Korrekturen, Schadensersatzverpflichtungen ggü. Vermietern u. a. konfrontiert. Und im Online-Bildungsbereich gelten neue Ortsregelungen. Für ausländische Kunden müssen neue Prozesse zur Ansässigkeitsprüfung eingerichtet und ggf. im Ausland Umsatzsteuern gezahlt werden. Und auch die inländischen Umsätze können – trotz Bescheinigung – im Lichte des BMF-Schreibens vom 29.04.2024 umsatzsteuerpflichtig sein. Der Gesetzgeber wäre besser standhaft geblieben und hätte sich um eine für alle Anbieter faire Ausgestaltung bemüht …
 

Ansprechpartner:

 

Steuerberater, Dipl.-Finanzwirt (FH)
Tel: +49 211 54 095 387
 
Stand: 26.11.2024