Umsatzsteuer Newsletter 42/2023
Tankkartenumsätze: Reihengeschäfte bei Kommission – Leitlinien / Working Paper des MwSt-Ausschusses
Fast einstimmig konnten sich die Mitglieder des Mehrwertsteuerausschusses der EU-Kommission nun einigen: Umsätze unter Verwendung einer Tankkarte gelten in einer (Handels-)Kommissionsstruktur mehrwertsteuerrechtlich als fingierte Reihengeschäftsumsätze. Auch wenn die Leitlinien rechtlich nicht bindend sind, bieten sie im Umgang mit den umstrittenen EuGH-Urteilen Auto Lease Holland und Vega International willkommene Anhaltspunkte für die Vertragsgestaltung. Für etliche Unternehmen entsteht Handlungsbedarf.
1 Hintergrund
Umsätze in der Tankkartenbranche unterliegen spätestens seit dem EuGH-Urteil in der Rs. Auto Lease Holland (C-185/01) und verstärkt mit dem EuGH-Urteil in der Rs. Vega International (C-235/18, siehe KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 25 | 2019) erheblicher Rechtsunsicherheit in der umsatzsteuerlichen Einordnung. Ungeachtet der zivilvertraglichen Vereinbarungen und tatsächlichen Abrechnungen zwischen Mineralölgesellschaften (MÖG), Kartenemittenten (KE) und Kartenkunden (KK) hatte der EuGH Zweifel an der tatsächlichen Übertragung der Verfügungsmacht am Kraftstoff an den KE und verneinte daher die Ausgestaltung als Reihengeschäft. Im Nachgang zum Vega-Urteil zeichneten sich weitere divergierende Entwicklungen auf nationaler Finanzverwaltungsebene bei Tankkartenumsätzen quer durch die EU ab. Daraufhin machte die Tankkarten- und Logistikbranche über Verbände und Wirtschaftsvertreter mobil und strengte eine Diskussion auf Ebene der EU-Kommission an. Gut zwei Jahre intensiver Beschäftigung haben nun zu dem am 22.09.2023 veröffentlichten Working Paper 1067 und zu den Leitlinien des Mehrwertsteuerausschusses vom 06.09.2023 geführt.
 
2 Leitlinien des MwSt-Ausschusses vom 06.09.2023
Der Mehrwertsteuerausschuss hat fast einstimmig folgende Leitlinien für Tankkartenumsätze festgehalten:
  • Wird Kraftstoff an einen KK im Rahmen eines Tankkartengeschäfts geliefert, erbringt der KE an den KK nach Feststellung des EuGH in der Rs. Vega grundsätzlich keine Kraftstofflieferung, sondern eine Finanzdienstleistung.
  • Wird Kraftstoff im Rahmen eines Tankkartengeschäfts geliefert, das als Kommissionsgeschäft ausgestaltet ist (Art. 14 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL), erbringt die MÖG an den KE eine Kraftstofflieferung, ohne dass tatsächlich die Verfügungsmacht am Kraftstoff auf diesen KE übergegangen sein muss. 
Damit Tankkartengeschäfte unter Art. 14 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL fallen, müssen kumulativ folgende Bedingungen erfüllt sein:
1. Das Eigentum am Kraftstoff im Sinne eines formalen Rechtstitels wird auf den KE übertragen.
2. Die Umsätze an und von dem KE (Zwischenhändler) sind ähnlich.
3. Es besteht eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Kommissionär und dem Kommittenten.
 
Diese drei Voraussetzungen konkretisieren die Leitlinien weiter anhand bestimmter Kriterien – nah am Inhalt des BMF-Schreibens vom 15.06.2004 zum EuGH-Urteil Auto Lease Holland. Nur wenn die genannten Kriterien als Mindestmaßstab erfüllt sind, sollen Kommissionsgeschäfte vorliegen. Hierzu gehören nicht nur allgemeine Anforderungen an ein Kommissionsgeschäft, wie z. B. eine Vereinbarung, dass der KE auf fremde Rechnung handelt (als Einkaufs- oder Verkaufskommissionär). Gefordert sind auch spezielle Detail-Regelungen, wie etwa zum Zahlungsausfall, zu Schadenersatzansprüchen und zu Preisvereinbarungen.
 
Abschließend hält der Mehrwertsteuerausschuss (ebenfalls fast einstimmig) fest, dass diese Leitlinien keine Auswirkung auf bisherige Einordnungen von Tankkartenumsätzen haben und insbesondere keine Rückwirkung entfalten sollen.
 
3 Working Paper 1067
Das Working Paper 1067 enthält darüber hinaus weitere Erläuterungen. So wird dem „buy/sell“-Modell, d. h. dem vertraglich als Reihengeschäft ausgestalteten Tankkartengeschäft, in dem der KE im eigenen Namen und für eigene Rechnung Kraftstoffe ein- und verkauft, mit Verweis auf das Vega-Urteil eine Absage erteilt. Etwas anderes soll nur gelten, wenn dargelegt werden kann, dass der KE tatsächliche Verfügungsmacht am Kraftstoff erlangt, so dass eine Lieferung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL vorliegt. Bei der in den Leitlinien dargestellten Kommissionsstruktur wird hingegen aufgrund des abweichenden Wortlauts in Art. 14 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL („Übertragung eines Gegenstands aufgrund eines Vertrags“) keine tatsächliche Übertragung der Verfügungsmacht verlangt. Für Art. 14 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL soll die Übertragung des zivilrechtlichen Eigentums für die Annahme einer Lieferung genügen. Faktisch greift danach für Tankkartenumsätze, die in einer Kommissionsstruktur aufgesetzt sind, die für Umsatzsteuerzwecke bekannte Reihengeschäftsfiktion mit all ihren Konsequenzen.
 
4 Auswirkung auf die Praxis und Handlungsempfehlung
Die Leitlinien des Mehrwertsteuerausschusses entfalten keine rechtliche Bindung. Sie geben ausschließlich die Ansichten eines beratenden Ausschusses zu konkreten von Kommission oder Mitgliedstaaten gestellten Fragen zur Anwendung der EU-Mehrwertsteuervorschriften wieder. Nationale Einlassungen zum Thema Tankkartengeschäft bleiben weiterhin aktuell. Mit der hohen Zustimmungsrate werden die Leitlinien die Rechtsentwicklung aber auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten beeinflussen. Einzelne Mitgliedstaaten dürften z. B. Verwaltungsanweisungen finalisieren, die wegen der Diskussionen des Mehrwertsteuerausschusses zurückgestellt wurden. Auch die Begründungen künftiger Auskunftsersuchen oder Urteile werden auf die Leitlinien Bezug nehmen. Ob auch das deutsche BMF-Schreiben, das Ende 2021 im Entwurf kursierte (siehe KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 36 | 2021), an die Leitlinien angepasst und veröffentlicht wird, bleibt abzuwarten.
 
Betroffenen Unternehmen ist zu empfehlen, ihre Vertragswerke zu Tankkartenumsätzen an den Leitlinien auszurichten. Denn mit den Leitlinien und der Rechtslage um Art. 14 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL sollte sich gerade in Abgrenzung zu den umstrittenen EuGH-Urteilen eine relative Rechtssicherheit in vielen Mitgliedstaaten erlangen lassen.
 
Ansprechpartnerin:
 
 
Fresa Amthor
Rechtsanwältin, Steuerberaterin
Tel.: +49 (0) 89 217 50 1245
 
Stand: 06.10.2023