Umsatzsteuer Newsletter 38/2024
Stromlieferung als selbständige Leistung bei Wohnraumvermietung
Die Lieferung von Strom durch den Vermieter kann unter bestimmten Voraussetzungen eine selbständige, steuerpflichtige Leistung sein. Als solche berechtigt sie den Lieferer von Mieterstrom zum vollen Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen, die in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit der steuerpflichtigen Stromlieferung stehen. Der BFH macht in seinem am 26.09.2024 veröffentlichten Urteil deutlich, unter welchen konkreten Voraussetzungen eine selbständige steuerpflichtige Leistung vorliegt, und weicht dabei explizit von der Auffassung der Finanzverwaltung (Abschn. 4.12.1 Abs. 5 S. 3 UStAE) ab.
1 Hintergründe
Vermieter erbringen neben der eigentlichen Vermietungsleistung regelmäßig weitere Leistungen. Energielieferungen eines Vermieters ordnet die Finanzverwaltung bislang als Nebenleistung zur Vermietungsleistung ein (Abschn. 4.12.1 Abs. 5 S. 3 UStAE). Diese Energielieferungen teilen demnach umsatzsteuerrechtlich das Schicksal der Vermietungsleistung. Abweichend hierzu entschied der EuGH bereits am 16.04.2015, dass die Energielieferung eines Vermieters grundsätzlich als selbständig zu beurteilen sei (s. hierzu KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 14 ǀ 2015). Daher musste der BFH (Urteil vom 17.07.2024 –XI R 8/21) klären, ob die Auffassung der Finanzverwaltung im UStAE weiter zutreffend ist. Daran schließt sich die Frage an, ob der Bezug einer PV-Anlage, für die der Vermieter den Vorsteuerabzug begehrt, den (von der Vermietung gesonderten) Stromlieferungen oder der Vermietungsleistung zuordenbar ist. Zum Vorsteuerabzug entschied der V. Senat erst kürzlich (s. hierzu KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 09 ǀ 2024), dass dieser bei der Installation einer Heizungsanlage zur Wärmelieferung ausscheide.
 
2 Sachverhalt
Der Kläger vermietete Wohnungen steuerfrei. Auf den Mietobjekten installierte er PV-Anlagen. Den damit erzeugten Strom lieferte er an seine Mieter zu handelsüblichen Preisen. Die individuelle Abrechnung erfolgte über Zähler für jeden Mieter. Hinsichtlich der Stromlieferung schloss der Vermieter mit den Mietern eine Zusatzvereinbarung. In dieser wurde ein von der Wohnungsvermietung unabhängiges Kündigungsrecht vorgesehen. Vertragsgemäß mussten die Mieter im Falle der Kündigung der Zusatzvereinbarung anderweitig Strom beziehen und die Kosten der erforderlichen Umbaumaßnahmen tragen. Der Kläger machte die Vorsteuer aus den Kosten der PV-Anlage geltend. Das Finanzamt war der Ansicht, dass die Stromlieferung eine unselbständige Nebenleistung zur Wohnraumvermietung ist, und verwehrte den Vorsteuerabzug.
 
3 Entscheidung des BFH
Der BFH entschied, dass es sich bei der gegenständlichen Lieferung von Mieterstrom um eine selbständige steuerpflichtige Leistung handelt und der Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen im Zusammenhang mit der Stromlieferung daher rechtmäßig ist. Zunächst zeigt der BFH lehrbuchartig die Qualifikation einer einheitlichen bzw. mehrerer selbständiger Leistungen auf. Daraufhin geht er in Anlehnung an den EuGH auf zwei grundsätzliche Fallkonstellationen bei der Vermietung von Immobilien ein: Einerseits kann der Mieter die Möglichkeit haben, die Lieferanten und/oder die Nutzungsmodalitäten bestimmter (Dienst )Leistungen frei zu wählen. In diesem Fall lägen grundsätzlich neben der Vermietung selbständige (Dienst )Leistungen vor. Das gilt insb., wenn der Mieter über den Verbrauch selbst entscheiden kann. Andererseits kann dem Mieter keine Wahlmöglichkeit hinsichtlich bestimmter (Dienst )Leistungen zustehen, was indiziell für eine einheitliche Leistung spreche. Demnach liegen hinsichtlich der streitgegenständlichen Lieferungen von Mieterstrom selbständige steuerpflichtige Leistungen vor. Der BFH betont, dass bei Stromlieferungen ein gesetzliches Kopplungsverbot zur Vermietungsleistung (§ 42a Abs. 2 EnWG) besteht. Der Mieter kann den Stromlieferanten frei wählen, sein Verbrauch wird individuell abgerechnet und die Kündigungsmöglichkeiten für den Strombezug weichen von denjenigen des Mietvertrags ab. Die Kostentragungspflicht für erforderliche Umbaumaßnahmen bei einem Stromanbieterwechsel führe zu keinem anderen Ergebnis. Damit sei keine faktische Unmöglichkeit der Wahlrechtsausübung verbunden. Schließlich entspreche das Ergebnis dem Grundsatz der Neutralität. Der Lieferer von Mieterstrom tritt in Wettbewerb mit anderen Stromanbietern, die Strom nur steuerpflichtig als Hauptleistung anbieten können. 
 
Der BFH nimmt auch eine Abgrenzung zur Entscheidung des V. Senats vor, wonach Kosten des Vermieters für eine neue Heizungsanlage dann im direkten und unmittelbaren Zusammenhang zur umsatzsteuerfreien Vermietung stehen, wenn es sich dabei nicht um Betriebskosten handelt, die der Mieter gesondert zu tragen hat (s. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 09 ǀ 2024). Der Vermieter von Wohnraum schuldet zum vertragsgemäßen Gebrauch zwar die Versorgung mit Wärme und warmem Wasser, das gelte aber nach dem EnWG nicht für die Stromlieferung. Daher ist der Vermieter zum Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen, die im Zusammenhang mit der steuerpflichtigen Stromlieferung stehen, berechtigt. 
 
4 Auswirkungen auf die Praxis
Der Entscheidung des BFH kommt praktische Bedeutung zu. Der BFH weicht explizit von der Auffassung der Finanzverwaltung ab. Die Reichweite dieser Entscheidung wird aber noch abzuwarten sein (Elektrizität, Wasser etc.). Da die Verwaltungsanweisung zunächst fortgilt, resultiert aus der Entscheidung für Vermieter kein akuter Handlungsbedarf. Die Stromlieferung kann mit Verweis auf Abschn. 4.12.1 Abs. 5 S. 3 UStAE bis auf Weiteres als unselbständige Nebenleistung zur Vermietungsleistung behandelt werden. Die Entscheidung eröffnet aber für Vermieter einen gewissen Gestaltungsspielraum. Es gilt zu prüfen, welche Vorsteuerpotentiale im Hinblick auf die Entscheidung bestehen. Allerdings werden die Gestaltungsmöglichkeiten seit dem 01.01.2023 vor dem Hintergrund des Nullsteuersatzes auf Lieferungen von PV-Anlagen nach § 12 Abs. 3 Nr. 1 UStG zumindest insoweit eingeschränkt. Wird neben der Wohnraumvermietung eine selbständige steuerpflichtige Stromlieferung angestrebt, macht der BFH klare Vorgaben, an denen man sich orientieren kann. Auf der anderen Seite muss man die weitere Entwicklung und mögliche Folgen bei den klassischen Wohnraummietverhältnissen im Blick behalten. Denn die Kehrseite der Medaille ist, dass für den Vermieter eine Steuerpflicht im Hinblick auf die Stromlieferungen besteht, wenn der Mieter seinen Strom nicht von einem separaten Stromanbieter, sondern vom Vermieter bezieht. Zu beachten ist insofern auch der vom BFH angesprochene Umstand, dass Vermieter, die Mieterstrom an ihre Mieter liefern, möglicherweise zum Wiederverkäufer von Strom werden, wenn sie Reststrom zukaufen und weiterliefern (müssen). Die Reaktion der Finanzverwaltung darf mit Spannung erwartet werden. 
 
Ansprechpartner:
 
 
Rechtsanwalt, Dipl.-Finanzwirt (FH)
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Stand: 30.09.2024