1 Hintergrund
Die Steuerbefreiung des Art. 135 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL hat zwei Voraussetzungen: Einerseits muss der Unternehmer eine „Verwaltungsleistung“ im Sinne der Norm erbringen. Des Weiteren muss es sich dabei um die Verwaltung eines "Sondervermögens" handeln, das vom Mitgliedstaat als solches definiert wurde. Beide Tatbestandsmerkmale finden sich in § 4 Nr. 8 Buchst. h UStG, der die Steuerbefreiung ins nationale Recht umsetzt.
Im aktuellen EuGH-Urteil geht es um die Definition des Sondervermögens. Unstrittig fällt unter den Begriff des Sondervermögens ein Organismus für die gemeinsame Anlage in Wertpapiere (OGAW). Dies ist vereinfacht ausgedrückt ein Wertpapierfonds. Nach der aktuellen nationalen Gesetzesfassung ist aber auch die Verwaltung aller anderen Investmentvermögen im Sinne des KAGB steuerfrei. Derartige alternative Investmentfonds (AIF) können alle Organismen sein, in denen das Geld mehrerer Anleger zur Anlage nach einer festgelegten Anlagestrategie gebündelt ist, beispielsweise Immobilienfonds, Schiffsfonds, Wagniskapitalfonds, Kryptofonds oder Private Equity Fonds. Bis zum 31.12.2023 war die Vergleichbarkeit eines solchen AIF mit einem OGAW ergänzende gesetzliche Voraussetzung (vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 46 | 2023). Eine derartige Vergleichbarkeit fordert auch der EuGH im Hinblick auf Art. 135 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL.
2 Sachverhalt (EuGH-Urteil vom 05.09.2024 – Rs. C-639/22 bis C-644/22)
Strittig vor dem EuGH war die Steuerfreiheit von Verwaltungsleistungen gegenüber niederländischen Rentenfonds aus dem Bereich der betrieblichen Altersvorsorge. Arbeitnehmer zahlen in diese Rentenfonds einen Anteil ihres Gehalts ein. Die Höhe der Beiträge richtet sich danach, inwieweit bestehende Rentenverpflichtungen durch das Vermögen des Fonds gedeckt sind (sog. strategischer Deckungsgrad). Ebenfalls berücksichtigt wird bei der Beitragsberechnung die voraussichtliche Anlagerendite. Die Berechnung der Rentenleistungen selbst erfolgt jeweils auf Grundlage des Gehalts und der Anzahl der Arbeitsjahre des Arbeitnehmers oder der Beitragsquartale. Je nach strategischem Deckungsgrad des Fonds kann es sodann zu Kürzungen oder Zulagen zu den Rentenleistungen kommen. In einem der Fonds finanziert die Anlagerendite die Zulage vollständig.
3 Entscheidung des EuGH
Bereits in verschiedenen früheren Entscheidungen hatte der EuGH dargelegt, dass ein Sondervermögen, welches kein OGAW darstellt, mit OGAW vergleichbar sein muss, damit seine Verwaltung steuerfrei ist. Die Vergleichbarkeit setzt u. a. voraus, dass die Anleger das Anrecht auf Gewinne aus dem Sondervermögen haben und das Anlagerisiko tragen. Dies ist nicht der Fall, wenn die Rente aus dem Rentenfonds unabhängig von dessen Anlageerfolg allein anhand von Kriterien wie Höhe der Einzahlungen oder Betriebszugehörigkeit entschieden wird.
Da im entschiedenen Fall der strategische Deckungsgrad und damit verbunden die Berechnung von Zulagen und Kürzungen von Rentenzahlungen zumindest auch vom Anlageerfolg abhängig sind, tragen die Anleger ein gewisses Anlagerisiko. Der EuGH hat jetzt aber entschieden, dass nicht jedes geringfügige Anlagerisiko ausreicht. Vielmehr muss dieses Risiko auch dem Risiko eines Anlegers in einen OGAW vergleichbar sein. Die Höhe der Rentenzahlungen muss also „maßgeblich“ oder „in erster Linie“ von den Ergebnissen der Anlagen (positiv oder negativ) abhängen. In den vorliegenden Verfahren deutet der EuGH an, dass seiner Auffassung nach die Arbeitnehmer kein derartiges Risiko tragen, überlässt die endgültige Entscheidung aber dem nationalen Gericht.
Daneben spricht der EuGH einen zweiten interessanten Aspekt an. Vor dem Hintergrund der Steuerneutralität sind nach dem Urteil des EuGH auch Verwaltungsleistungen an Fonds steuerfrei, wenn der Mitgliedstaat die Verwaltung vergleichbarer Fonds als steuerfrei behandelt. Ein Fonds kann also nicht nur mit OGAW verglichen werden, sondern auch mit anderen Fonds, die von den Mitgliedstaaten als steuerfrei verwaltet behandelt werden.
4 Praxisfolgen
Der EuGH klärt in Bezug auf die in früheren Entscheidungen bereits angesprochene Notwendigkeit der Risikotragung ein weiteres Detail. Für eine Vergleichbarkeit mit OGAW reicht es nicht aus, ein minimales Risiko aus der Anlage zu tragen. In Deutschland kann diese Klärung nach dem Wortlaut der aktuellen Gesetzeslage vor allem relevant sein für „Altfälle“ (2023 und früher). Ob und inwieweit ein derartiges Anlagerisiko aktuell noch bestehen muss, damit der entsprechende Fonds steuerfrei verwaltet werden kann, ist fraglich. Der Gesetzgeber hat das Merkmal der Vergleichbarkeit zwischen OGAW und AIF seit dem 01.01.2024 aus dem Gesetz gestrichen.
In diesem Zusammenhang stellt sich insbesondere die Frage der Unionsrechtskonformität der deutschen Steuerbefreiungsnorm. Der EuGH hat noch einmal eindeutig auf die Notwendigkeit der Vergleichbarkeit mit OGAW verwiesen. Für Verwalter von AIF (oder auch Versorgungseinrichtungen i. S. d. VAG) könnte die Geltendmachung der Unionsrechtswidrigkeit interessant sein, wenn sie wegen des dann zulässigen Vorsteuerabzugs lieber steuerpflichtige Ausgangsumsätze erbringen möchten. Durch den Hinweis auf die Möglichkeit des Vergleichs mit anderen, vom Mitgliedstaat als steuerfrei angesehenen Fonds scheint der Mitgliedstaat aber einen gewissen Spielraum zu haben. Dies könnte wiederum für die Unionsrechtskonformität der jetzigen Regelung sprechen. Gerade um eine Benachteiligung in Deutschland ansässiger Fonds zu beenden, hat der Gesetzgeber das Vergleichbarkeitskriterium gestrichen.
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Stand: 13.09.2024