Umsatzsteuer Newsletter 21/2025
Die Geister, die der EuGH rief: Der Vorsteuerabzug der Holding
Wenn eine Gesellschaft die Mehrheit der Anteile an einer anderen Gesellschaft hält, kann die „Holding-Rechtsprechung“ des EuGH anwendbar sein. Da der EuGH der Muttergesellschaft die unternehmerische Tätigkeit ihrer Tochtergesellschaft nicht zurechnet, kommt es auf beiden Seiten – Holding und Finanzverwaltung – immer wieder zu Überlegungen, wie sich die Situation in Bezug auf den Vorsteuerabzug zu den eigenen Gunsten verbessern lässt. Die Folge sind Rechtsstreitigkeiten, welche nicht selten beim EuGH enden. Konkret geht es in diesem Zusammenhang vorliegend um die Mindestbemessungsgrundlage.
1 Sachverhalt EuGH, Urt. v. 03.07.2025 – Rs. C-808/23
Der EuGH hatte hier einen, mit Blick auf den Vorsteuerabzug typischen, Holding-Sachverhalt zu entscheiden. Eine schwedische Konzern-Muttergesellschaft (Holding) erbrachte an alle ihre 19 Tochtergesellschaften entgeltliche Leistungen in den Bereichen Unternehmensführung, Wirtschaft, Immobilienverwaltung, Investitionen, Personalverwaltung und IT. Insgesamt rechnete die Holding etwa EUR 200.000 zzgl. EUR 50.000 Umsatzsteuer gegenüber ihren Tochtergesellschaften ab. Auf diesen Betrag kam sie mit der Cost-Plus-Methode. Sie berechnete also ihre eigenen Kosten zur Erbringung der Dienstleistungen an die Tochtergesellschaften, zusammen mit einem prozentualen Gewinnaufschlag. Bei der Berechnung der eigenen Kosten berücksichtigte die Holding aber nicht ihre vollständigen Auslagen von ca. EUR 2.500.000 (hiervon etwa die Hälfte umsatzsteuerbelastet, im Übrigen z. B. Personalkosten). Vielmehr rechnete sie einen Teil ihrer Eingangsleistungen den „Aktionärskosten“ (Buchführung, Revision, Hauptversammlung, Kapitalbeschaffung) zu. An fremde Dritte erbrachte die Holding keine Leistungen. Sie machte den vollen Vorsteuerabzug aus ihren Eingangsleistungen geltend. Die Tochtergesellschaften erbrachten zum Teil steuerfreie Ausgangsleistungen. Sie waren daher nicht vollständig zum Vorsteuerabzug berechtigt.
 
 
2 Entscheidung des EuGH
Durch die gewählte Vorgehensweise macht die Holding den vollen Vorsteuerabzug in Höhe von EUR 312.500 geltend. Zu einem anteiligen Vorsteuerausschluss bei den Tochtergesellschaften kam es aber nur aus einem Betrag von EUR 50.000. Die Finanzverwaltung versuchte, den Betrag der Leistungen, die zwischen Holding und Tochtergesellschaften abzurechnen waren, durch die Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage auf EUR 2.500.000 (also die gesamten Kosten der Holding) heraufzusetzen. Dadurch wäre der Vorsteuerausschluss auf Grundlage dieses höheren Betrags zu berechnen gewesen. Die Mindestbemessungsgrundlage nach den Kosten zu bestimmen, ist aber nur denkbar, wenn es auf dem freien Markt keine Leistungen gibt, die mit den von der Holding erbrachten Leistungen vergleichbar wären.
 
Die einzelnen Elemente der Holding-Leistung (Unternehmensführung, Personalverwaltung, IT usw.) könnten auch Dritte erbringen. Muss man alle Elemente aber zu einer einheitlichen Leistung zusammenfassen, kann diese Gesamtleistung so möglicherweise nur die Holding erbringen. Der EuGH hatte daher die klassische Grundfrage zu entscheiden: Erbringt die Holding an ihre Tochtergesellschaften jeweils eine einheitliche Leistung oder mehrere Einzelleistungen? Der EuGH folgt in seiner Entscheidung der Auffassung der Generalanwältin: Es handelt sich um einzelne Leistungen, die die Holding an ihre Tochtergesellschaften erbringt. Auch ein einheitlicher Preis für alle Leistungen zusammen ändert daran nichts. Daher kann der Preis dieser Leistung der Holding nicht anhand ihrer Ausgaben bemessen werden. 
 
3 Praxisfolgen
Der Fall betrifft eine typische Holding-Konstellation: Die Holding erbringt an Tochtergesellschaften entgeltliche Leistungen, verrechnet aber nicht alle ihre Kosten weiter. Die Finanzverwaltung versucht zu einer erhöhten Bemessungsgrundlage oder einem Vorsteuerausschluss bei der Holding zu kommen. Wenn die Tochtergesellschaften Beschränkungen beim Vorsteuerabzug unterliegen, ist dieser Versuch nachvollziehbar. Anders sieht es aus, wenn die Tochtergesellschaften zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind. Wie die Generalanwältin in ihrem Schlussantrag treffend feststellt, ist das Grundproblem die EuGH-Rechtsprechung selbst: Würde man bei wirtschaftlicher Betrachtung der Holding die Tätigkeit ihrer Tochtergesellschaften zurechnen, würden sich viele Probleme (für Holding oder Finanzverwaltung) gar nicht erst stellen. 
 
Die Finanzverwaltung versucht in derartigen Fällen z. B., die Bemessungsgrundlage für die Leistungen der Holding an ihre Tochtergesellschaften heraufzusetzen. Unabhängig davon, ob ein solches Vorgehen gemäß der nationalen Regelung zur Mindestbemessungsgrundlage statthaft ist, stellt der EuGH klar, dass selbst bei deren Anwendung das marktübliche Entgelt für jede der in der Holding-Dienstleistung enthaltenen Einzeldienstleistungen die Bemessungsgrundlage bildet. Es ist also je ein marktübliches Entgelt für die IT-Dienstleistung, die Buchhaltung, die Steuerberatung usw. zu ermitteln. Gibt es im Konzern einen Cost-Plus-Ansatz, dürfte für eine Erhöhung der Bemessungsgrundlage kaum Spielraum bestehen.
 
Ein weiterer Ansatz der Finanzverwaltung liegt darin, der Holding unentgeltliche Wertabgaben an ihre Tochtergesellschaften in dem Umfang zuzuschreiben, wie sie Kosten nicht weiterverrechnet. Da aber oftmals durch die Cost-Plus-Methode und Verrechnungspreis-Zwänge alle Leistungen weiterverrechnet werden, läuft dieser Ansatz ins Leere. Es fehlt an einer (unentgeltlichen) Leistung. Gleiches gilt im Ergebnis für die Argumentation der Finanzverwaltung, dass es sich bei den Eingangsleistungen, die nicht weiterverrechnet werden, in Anlehnung an das Trick-17-Urteil des EuGH (vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 35 | 2022) um nicht zum Vorsteuerabzug berechtigende Eingangsleistungen handele. In der vom EuGH entschiedenen Fallgestaltung ging es um Eingangsleistungen, die 1:1 an die Tochtergesellschaft weitergegeben wurden. Das bedeutet im Ergebnis, trotz der nicht vollständigen Kostenweitergabe kann der Holding der volle Vorsteuerabzug zustehen.
 
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Stand: 08.07.2025