1 Hintergrund
Nach gesetzlicher Definition ist ein Gutschein, bei dem zum Zeitpunkt seiner Ausstellung der Ort der zugrunde liegenden Leistung und die dafür geschuldete Umsatzsteuer feststehen, ein Einzweck-Gutschein. Jede Übertragung eines Einzweck-Gutscheins durch einen Unternehmer gilt als die Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht.
Mit seinem Urteil in der Rs. Finanzamt O hat der EuGH klargestellt, dass die Definition des Einzweck-Gutscheins unabhängig von Vertriebsketten ist: Richtet sich ein Gutschein an Endverbraucher, liegt ein Einzweck-Gutschein vor, wenn der Leistungsort und die Steuerschuld für die an den Endverbraucher zu erbringende Leistung feststehen. Wie und wo der Gutschein vor Ausgabe an den Endverbraucher in der Vertriebskette verkauft wird, ist für die Einordnung als Einzweck-Gutschein unbeachtlich (siehe KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 20 | 2024).
Insoweit stellt sich insbesondere in grenzüberschreitenden Vertriebsketten die praktische Folgefrage, wo die fingierten Leistungen steuerbar sind. Hierzu warf der EuGH in seinem Urteil mehr Fragen auf als er beantwortete. Nachdem sich der MwSt-Ausschuss bereits in seiner 125. Sitzung am 18.11.2024 mit den Folgen des EuGH-Urteils auseinandergesetzt hatte, nahm er die Ergebnisse dieser Sitzung am 15.07.2025 in seine fortgeschriebenen Leitlinien auf.
2 Leitlinien des MwSt-Ausschusses
Bezüglich der Bestimmung des Leistungsorts bei der Übertragung von Einzweck-Gutscheinen vertritt der MwSt-Ausschuss fast einstimmig die folgenden Auffassungen:
- Geben Guthabenkarten den Mitgliedstaat an, in dem bei ihrer Einlösung elektronische Dienstleistungen an Endverbraucher erbracht werden, und erfüllen sie die Voraussetzungen eines Einzweck-Gutscheins, gilt jede Übertragung durch einen Steuerpflichtigen als Erbringung der elektronischen Dienstleistung.
- Die Ortsbestimmung nach Art. 58 MwStSystRL (§ 3a Abs. 5 UStG) findet dann Anwendung, wenn ein Nichtunternehmer Empfänger der elektronischen Dienstleistung ist. Bei der Übertragung der Guthabenkarten zwischen Steuerpflichtigen handelt es sich jedoch um einen B2B-Umsatz.
- Unter den in der Rs. Finanzamt O gegebenen Umständen liegt daher der Leistungsort für jede Übertragung der Guthabenkarten durch einen im eigenen Namen handelnden Unternehmer an einen anderen Unternehmer gem. Art. 44 MwStSystRL (§ 3a Abs. 2 UStG) am Sitz des Unternehmers, der die Guthabenkarte empfängt.
- Es kann auch Fälle geben, in denen der Ort der Leistung, auf die sich der Einzweck-Gutschein bezieht, nicht vom Status des Empfängers abhängt. Dies gilt z. B. bei Dienstleistungen im Zusammenhang mit Grundstücken oder unbewegten Lieferungen. In diesen Fällen soll der Ort der Gutscheinübertragung derselbe sein wie der Ort der dem Gutschein zugrunde liegenden Leistung an den Endverbraucher. Der MwSt-Ausschuss erkennt die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung an.
Tiefergehende Ausführungen zu den zugrunde liegenden Überlegungen hinsichtlich des Leistungsorts der Übertragung von Einzweck-Gutscheinen finden sich zudem im Working Paper No. 1089 REV. Dieses enthält unter anderem den klärenden Hinweis, dass für die gem. Art. 44 MwStSystRL zu verortenden fiktiven Leistungen das Reverse-Charge-Verfahren zur Anwendung kommen soll.
3 Auswirkungen auf die Praxis
Die Leitlinien des MwSt-Ausschusses liefern eine wichtige Klarstellung zur Ortsbestimmung der B2B-Leistungen, die durch die Übertragung von Einzweck-Gutscheinen fingiert werden. Der MwSt-Ausschuss erteilt der in der Praxis diskutierten Auffassung, dass die gesetzliche Fiktion auch den Leistungsort umfasse, eine eindeutige Absage. Vielmehr richtet sich der Leistungsort für jede Übertragung zwar nach dem fingierten Leistungsinhalt, aber unter Berücksichtigung der tatsächlichen beteiligten Parteien.
Es mag auf den ersten Blick verwundern, dass Übertragungen von Einzweck-Gutscheinen damit im Ausland steuerbar sein können, obwohl die Einordnung als Einzweck-Gutschein darauf beruht, dass der Ort der dem Gutschein zugrunde liegenden Leistung stets im Inland liegt. Die meisten Unternehmer in Gutschein-Vertriebsketten werden die Klarstellung jedoch begrüßen. Denn sie schränkt die Fälle, in denen der Verkauf von Einzweck-Gutscheinen über Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat zu einer Steuerschuld und Registrierungspflicht des übertragenden Unternehmers in diesem Mitgliedstaat führen kann, erheblich ein. Dennoch müssen Unternehmer weiterhin für jeden Gutschein prüfen, welche Leistung ihm zugrunde liegt und wie sich der Leistungsort bei einer B2B-Leistung im individuellen Einzelfall bestimmt.
Zu beachten ist, dass die Leitlinien des MwSt-Ausschusses weder die EU-Kommission noch die Mitgliedstaaten binden. Der BFH hat in seinem Vorlagebeschluss – auf dem das EuGH-Urteil Finanzamt O beruht – jedoch bereits angedeutet, dass auch er im betroffenen Fall von einer Ortsbestimmung nach der allgemeinen Regelung gem. § 3a Abs. 2 UStG ausgeht. Es ist zu erwarten, dass er dies in seinem Folgeurteil bestätigt. Entsprechend wäre es zu begrüßen, wenn auch die deutsche Finanzverwaltung die Leitlinien ausdrücklich übernehmen würde. Die derzeit in Abschn. 3.17 Abs. 5 UStAE enthaltenen Ausführungen zum Leistungsort bei Einzweck-Gutscheinen sind insoweit zumindest präzisierungsbedürftig.
Ansprechpartnerin:
Steuerberaterin, Master of Science (M.Sc.)
(Rechts- und Wirtschaftswissenschaften)
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Stand: 30.07.2025