Umsatzsteuer Newsletter 20/2024
EuGH zur Definition von Einzweck-Gutscheinen und zum mehrstufigen Gutscheinvertrieb
Auf Vorlage des BFH hat der EuGH sein zweites Urteil zur Anwendung der noch recht jungen Gutscheinregelungen veröffentlicht (EuGH, Urt. v. 18.04.2024 – Rs. C-68/23 – Finanzamt O). Während das Urteil die Voraussetzungen zur Einordnung als Einzweck-Gutschein klarstellt, verbleiben erhebliche Unsicherheiten bei der Frage, wo die Übertragung des Einzweck-Gutscheins zwischen Unternehmern zu versteuern ist.
1 Hintergrund
Das Umsatzsteuerrecht differenziert seit dem 01.01.2019 zwischen Einzweck- und Mehrzweck-Gutscheinen. Stehen bei der Ausgabe Leistungsort und geschuldete Steuer für die dem Gutschein zugrunde liegende Leistung bereits fest, handelt es sich um einen Einzweck-Gutschein, dessen Ausgabe und Übertragung(en) jeweils steuerbar sind. Andernfalls liegt ein Mehrzweck-Gutschein vor, der erst mit Einlösung zu einem steuerbaren Umsatz führt. Der BFH hatte bezüglich der Abgrenzung dieser Kategorien Zweifel, wie sich Vertriebsketten auf den feststehenden Leistungsort auswirken, und rief den EuGH an (KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 10 | 2023). Dieser lieferte nun klarstellende Hinweise, ließ aber wesentliche Fragen offen.
 
2 Sachverhalt 
Die Klägerin kauft von Sony herausgegebene Guthabenkarten für den Sony-PlayStation Store (PSN Cards) von Zwischenhändlern aus dem EU-Ausland ein und verkauft sie an Endkunden. Die Erwerber können mithilfe der PSN Cards Guthaben auf ihr Nutzerkonto laden und damit im PlayStation Store digitale Inhalte beziehen. Die strittigen PSN Cards haben eine deutsche Länderkennung. Nach den Vorgaben von Sony können sie nur von solchen Nutzerkonten eingelöst werden, die auf eine deutsche Adresse registriert sind. Sony fordert seine Nutzer zur wahrheitsgemäßen Dateneingabe auf. 
 
3 Vorlage des BFH
Nach Auffassung des BFH stehen Leistungsort und Steuer für die von den PSN Cards verkörperten Leistungen an den Endkunden fest. Bei vertragsgemäßer Nutzung seien die PSN Cards aufgrund der Länderkennung nur für im Inland steuerbare elektronische Dienstleistungen zum Regelsteuersatz einlösbar. 
 
Allerdings hat der BFH Zweifel, wie sich die zuvor stattfindenden grenzüberschreitenden B2B-Übertragungen der PSN Cards auf die Qualifizierung der Gutscheine auswirken. Sieht man die PSN Cards als Einzweck-Gutscheine an, gilt jede Übertragung als die Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht. Insoweit wirft der BFH in seinem Beschluss die Frage auf, wo diese fiktive B2B-Leistung steuerbar ist: an dem Ort, an dem die Leistung an den Endkunden erbracht wird, oder – nach der allgemeinen B2B-Regel – am Sitz des individuellen Empfängers? Letzteres würde dazu führen, dass Übertragungen von Einzweck-Gutscheinen an Zwischenhändler im Ausland steuerbar sein können, obwohl die Einordnung als Einzweck-Gutschein darauf beruht, dass der Ort der dem Gutschein zugrunde liegenden Leistung stets im Inland liegt. Dies könnte nach Auffassung des BFH gegen die Einordnung als Einzweck-Gutschein sprechen. 
 
4 Entscheidung des EuGH (Urteil v. 18.04.2024 – C-68/23 – Finanzamt O)
Der EuGH stellt klar: Stehen Leistungsort und Steuer der bei Einlösung an den Endkunden zu erbringenden Leistung fest, liegt ein Einzweck-Gutschein vor. Inwieweit der Gutschein im Rahmen des Vertriebs zwischen (ausländischen) Unternehmern übertragen wird, ist für die Einordnung unbeachtlich. Die Steuerbarkeit der Übertragung ist Rechtsfolge der Einordnung als Einzweck-Gutschein und berührt nicht deren Voraussetzungen. Zudem könne die mit der Regelung bezweckte einheitliche Behandlung von Gutscheinen innerhalb der EU nur dann erreicht werden, wenn die Einordnung der Gutscheine unabhängig von deren Verkauf in einer grenzüberschreitenden oder in einer nationalen Vertriebskette erfolgt.
 
Weiterhin stimmt der EuGH dem BFH zu, dass die mögliche vertragswidrige Nutzung der PSN Cards durch ausländische Endkunden irrelevant ist. Darüber hinaus nimmt der EuGH jedoch keine Einordnung der PSN Cards vor. Vielmehr betont er, dass der BFH festzustellen hat, ob die Voraussetzungen des Einzweck-Gutscheins erfüllt sind. Auf die zweite, hilfsweise gestellte Frage des BFH antwortet der EuGH, dass für den Fall der Einordnung der PSN Cards als Mehrzweck-Gutschein der BFH prüfen muss, ob der Weiterverkauf eine steuerbare Vertriebs- oder Absatzförderungsleistung darstellt.
 
5 Auswirkungen für die Praxis
Das Urteil bringt die erhoffte Klarheit für die Abgrenzung von Einzweck- zu Mehrzweck-Gutscheinen in Vertriebsketten: Entscheidend sind Leistungsort und Steuer der an den Einlösenden erbrachten Leistung. 
 
Zu der für Vertriebsketten wichtigen Folgefrage, wo die durch die B2B-Übertragung des Einzweck-Gutscheins fingierte Leistung steuerbar ist, bleiben jedoch erhebliche Unsicherheiten. Während der BFH diese Frage in seinem Beschluss noch offen diskutierte, schien er in der Vorlagefrage zu implizieren, dass sich der Leistungsort nach den Beteiligten des B2B-Umsatzes richten soll. Die Ausführungen des EuGH jedoch können in beide Richtungen gedeutet werden. Der erhoffte klärende Hinweis blieb aus. Dabei enthält die Frage nach dem Leistungsort einige Sprengkraft. Umfasst die Leistungsfiktion auch den Leistungsort, müssten Unternehmer, die im B2B-Geschäft Einzweck-Gutscheine über Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat verkaufen, dort gegebenenfalls Umsatzsteuer zahlen. Neben umsatzsteuerlichen Registrierungen wäre auch die Anpassung der Abrechnung notwendig.
 
Angesichts des Urteils bleibt die Vorfrage, ob es sich im jeweiligen Einzelfall überhaupt um einen Einzweck-Gutschein handelt, umso bedeutender. Dies ist für jeden Fall individuell zu prüfen. Daher bleibt bei dieser Frage wesentlicher Gestaltungs- und Argumentationsspielraum. Es ist vor allem anhand der individuellen Gutscheinbedingungen zu beurteilen, ob Leistungsort und anfallende Steuer hinreichend bestimmt sind. Hier hat der BFH unseres Erachtens noch nicht alle Umstände des vorliegenden Einzelfalls ausreichend berücksichtigt und diskutiert. 
 
Ansprechpartnerin:
 
 
Steuerberaterin, Master of Science (M.Sc.)
(Rechts- und Wirtschaftswissenschaften)
Telefon: +49 89 217501296
 
Stand: 30.04.2024