1 Hintergrund
Bereits 2022 hatte das FG Hamburg entschieden, dass Geldbeträge, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht von Wirtschaftsbeteiligten erhoben oder ihnen vorenthalten wurden, zu verzinsen sind (FG Hamburg, Urteil v. 03.11.2022, 4 K 56/18). Vor seiner Entscheidung hatte das FG Hamburg dem EuGH Fragen zu insgesamt drei verschiedenen Konstellationen vorgelegt. Anschließend urteilte das FG Hamburg in Übereinstimmung mit Ausführungen des EuGH. Die Revision wurde nicht zugelassen. Das beklagte HZA Hamburg legte in einem Verfahren Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH ein. Nun hat der BFH die Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen (BFH, Beschluss vom 07.08.2024, VII B 168/22).
Eine Vielzahl an Verfahren ruhte bei den Hauptzollämtern unter Hinweis auf die noch anhängige Nichtzulassungsbeschwerde. Für diese Verfahren dürfte die jetzt ergangene Entscheidung des BFH ausschlaggebend sein. Den Hauptzollämtern entfällt dadurch ihr bisher wichtigstes Argument, mit dem sie den Wirtschaftsbeteiligten Zinsen verwehrt hatten. Es bleibt abzuwarten, ob der Streit damit nun beendet ist oder die Hauptzollämter weitere Vorbehalte gegen die Zinsforderungen finden. Spielraum dafür bieten zumindest die Gerichtsentscheidungen nicht mehr.
2 Ausgangsverfahren für die Vorlage beim EuGH
Gegenstand der Vorlageverfahrens beim EuGH waren drei Konstellationen aus Verfahren am FG Hamburg, in denen Geldbeträge unter Verstoß gegen das Unionsrecht zunächst erhoben bzw. vorenthalten und nach der jeweiligen Gerichtsentscheidung dann erstattet bzw. gewährt wurden. In allen drei Konstellationen weigerte sich jedoch das HZA Hamburg bzw. das HZA Kiel, Zinsen an die Wirtschaftsbeteiligten auszuzahlen.
In der ersten Konstellation (Rs. Gräfendorfer, C-415/20) verwehrte das HZA Hamburg einem Wirtschaftsbeteiligten Ausfuhrerstattungen unter Verweis auf die nicht vorhandene, aber erforderliche handelsübliche Qualität seiner Ware. Weiter verhängte es eine Geldbuße. In der zweiten Konstellation (Rs. Rehyer, C-419/20) erhob das HZA Hamburg Antidumpingzölle mit der Begründung, die Ware habe ihren Ursprung in der Volksrepublik China. In der dritten Konstellation (Rs. Flexi Montagetechnik, C-427/20) vertrat das HZA Kiel eine andere Einreihungsauffassung als der Wirtschaftsbeteiligte und setzte abweichend von der Einfuhranmeldung höhere Einfuhrabgaben fest.
Der EuGH festigte anhand dieser drei Beispiele die unionsrechtlichen Grundsätze, nach denen Wirtschaftsbeteiligten ein Anspruch auf Verzinsung der Geldbeträge zusteht, zu deren Zahlung sie unter Verstoß gegen das Unionsrecht herangezogen wurden, bzw. deren Auszahlung ihnen unter Verstoß gegen das Unionsrecht vorenthalten wurde. Die drei Beispiele zeigen anschaulich, dass es nicht primär auf die Art des Verstoßes ankommt. Insbesondere besteht der Zinsanspruch auch bei einer fehlerhaften Rechtsauslegung des Unionsrechts durch die Hauptzollämter.
3 Entscheidung des FG Hamburg
In Übereinstimmung mit den Ausführungen des EuGH bestätigte das FG Hamburg den Zinsanspruch, der seine Rechtsgrundlage unmittelbar im Unionsrecht hat. Das HZA Hamburg wehrte sich weiterhin mit der Begründung, der EuGH habe den Mitgliedstaaten einen Handlungsspielraum zur Regelung der Zinszahlungsmodalitäten zugebilligt, da diese auf EU-Ebene nicht geregelt seien. Die deutsche Regelung des § 236 AO bewege sich innerhalb dieses Handlungsspielraumes.
Das FG Hamburg verneinte die Einwände und gab den Wirtschaftsbeteiligten in zweifacher Hinsicht recht. Erstens entschied es, dass auch Zinsen für den Zeitraum zwischen Erhebung bzw. Vorenthaltung der Geldbeträge und Rechtshängigkeit einer Klage darüber zu gewähren sind. § 236 Abs. 1 AO sieht eine Verzinsung nur zwischen Rechtshängigkeit und Auszahlungstag vor. Zweitens entschied es, dass abweichend von der Regelung des § 236 AO auch dann eine Verzinsung stattfindet, wenn der Wirtschaftsbeteiligte überhaupt keine Klage erhebt.
Letzteres ist relevant für Fälle, in denen Erstattungen bzw. Gewährungen von Geldbeträgen von Wirtschaftsbeteiligten bereits im Einspruchsverfahren erwirkt werden können.
4 Handlungsempfehlung
Wirtschaftsbeteiligte, die in der Vergangenheit erfolgreich Anträge auf Erstattung oder Gewährung von Geldbeträgen gestellt haben, sollten prüfen, ob Zinsforderungen noch möglich sind. Die Festsetzungsfrist für Zinsen beträgt zwei Jahre, beginnend mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erstattung oder Gewährung der Geldbeträge erfolgt ist. Sofern der Zinsantrag gleichzeitig mit dem Erstattungsantrag gestellt wurde, kann das Verfahren unter Hinweis auf die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde wieder aufgenommen werden.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese relevante Entscheidung des BFH Einfluss auf die Prüfungspraxis der Hauptzollämter im Hinblick auf die Erhebung oder Gewährung von Geldbeträgen hat. Die Zollverwaltung kann Geldbeträge jetzt nicht mehr ohne Risiko erheben oder vorenthalten. Stattdessen muss sie damit rechnen, auf Zinsen in Anspruch genommen zu werden, sofern sich ihre Rechtsauffassung als unionsrechtswidrig herausstellt.
Ansprechpartner:
Dr. Christian Salder
Rechtsanwalt, Steuerberater,
Fachanwalt für Steuerrecht
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Stand: 30.08.2024