1 Hintergrund
Substitute für Tabakwaren (sog. Liquids) unterliegen seit dem 01.07.2022 der Tabaksteuer (vgl.
KMLZ Zoll Newsletter 03 ǀ 2022). Bis zum Ablauf des 12.02.2023 war der Handel mit unversteuerten Altwaren noch zulässig. Altwaren sind solche, die sich am 01.07.2022 bereits im Handel, also im steuerrechtlich freien Verkehr befanden. Die Zollverwaltung gewährte dafür eine „Abverkaufsfrist” als Übergangsregelung. Das TabStG sah in diesem Fall keine Nachversteuerung vor. Um die Altware auch nach dem 13.02.2023 noch verkaufen zu können, bestand für die Händler die Möglichkeit einer vorherigen Nachversteuerung. Andernfalls entstand die Tabaksteuer für die in Besitz gehaltenen Altwaren ab dem 13.02.2023 gemäß § 23f Abs. 1 Nr. 4 Alt. 2 TabStG. Steuerschuldner ist u. a. der Besitzer der Ware. In der Folgezeit führte die Zollverwaltung zahlreiche Kontrollen bei Tabakwarenhändlern durch, beschlagnahmte die vorgefundenen Waren ohne Steuerzeichen und setzte die Tabaksteuer gegen die Händler fest. Zudem leitete sie Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung gegen die betroffenen Personen ein.
2 Beschluss des Finanzgerichts Düsseldorf vom 29.09.2023 (Az.: 4 V 1068/23 A (VTa))
Nun entschied das FG Düsseldorf über den Antrag eines Tabakwarenhändlers auf Aussetzung der Vollziehung eines gegen ihn erlassenen Tabaksteuerbescheids. Am 15.02.2023 hatten Zollbeamte die Geschäftsräume des Händlers kontrolliert. Im Laderaum eines Kleintransporters fanden sie eine nicht geringe Menge an Substituten und stellten diese sicher. Der Kleintransporter befand sich auf dem Firmengelände und war auf den Händler zugelassen. Das HZA setzte die Tabaksteuer auf die sichergestellten Substitute gem. § 23f Abs. 1 Nr. 4 Alt. 2 TabStG fest. Der Händler legte Einspruch gegen den Bescheid ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Nach Ablehnung des Antrags durch das HZA stellte der Händler den Antrag beim FG Düsseldorf. Das FG Düsseldorf äußerte ernstliche rechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids und setzte seine Vollziehung aus. Der Händler muss somit die Tabaksteuer vorerst nicht zahlen, bis das Einspruchsverfahren abgeschlossen ist.
3 Entscheidung des Finanzgerichts
Das Gericht setzte sich mit mehreren Fragen auseinander, die teilweise nur für den konkreten Fall relevant waren. Von großer Bedeutung über den Einzelfall hinaus sind jedoch die Ausführungen des Gerichts zum Anwendungsbereich der Steuerentstehungsregelung des § 23f Abs. 1 Nr. 4 Alt. 2 TabStG. Danach entsteht die Tabaksteuer, „wenn Tabakwaren in anderen als den in § 22 Abs. 1 und § 23 Abs. 1 genannten Fällen entgegen § 17 Abs. 1 aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbracht oder dorthin versandt werden: mit dem erstmaligen Besitz im Steuergebiet; in allen anderen Fällen: mit dem Inbesitzhalten von Tabakwaren des steuerrechtlich freien Verkehrs, wenn die Steuer im Steuergebiet noch nicht erhoben wurde.“ Entscheidungserheblich war hier die zweite Alternative (fett). Das Gericht hinterfragt insbesondere die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „wenn die Steuer im Steuergebiet noch nicht erhoben wurde“. Laut Zollverwaltung umfasse die Regelung alle Waren, die Tabaksteuergegenstand sind und bisher nicht besteuert wurden. Die Vorschrift sei ein Auffangtatbestand zur Besteuerung sämtlicher Tabakwaren ohne Steuerzeichen. Die Zollverwaltung setzt somit nicht voraus, dass die Waren zuvor von einem Steuerentstehungstatbestand erfasst wurden und dabei die Steuererhebung ausblieb.
Das Gericht hält jedoch eine andere Auslegung für möglich. Zur Steuerentstehung führe lediglich der Besitz solcher Waren, die bereits zuvor einen Steuerentstehungstatbestand ausgelöst haben, gleichwohl aber noch nicht besteuert wurden. § 23f Abs. 1 Nr. 4 TabStG könnte ein Auffangtatbestand nur für die Fälle sein, in denen zwar eine Steuer entstanden ist, sich aufgrund der unklaren Warenherkunft aber nicht feststellen lässt, nach welchen Vorschriften die Steuerentstehung und der Steuerschuldner zu bestimmen sind. Substitute für Tabakwaren unterlagen vor dem 01.07.2022 noch keiner Besteuerung. Auch danach ist eine Steuerentstehung für die sich schon im steuerrechtlich freien Verkehr befindenden Altwaren nicht vorgesehen. Einen Nachversteuerungstatbestand für die Altwaren hat der Gesetzgeber nicht geschaffen. Mangels einschlägiger Steuerentstehungsvorschrift sei auch der Bezug von Steuerzeichen nicht erforderlich, sodass auch kein Verstoß gegen § 17 TabStG vorläge. Diese Auslegung stehe auch im Einklang mit der zugrunde liegenden Unionsvorschrift des Art. 6 Abs. 3b, Abs. 2 RL 2020/262/EU. Somit wäre § 23f Abs. 1 Nr. 4 Alt. 2 TabStG auf die streitgegenständlichen Altwaren nicht anwendbar. Eine Besteuerung dürfe nicht erfolgen.
Das FG bezweifelt weiterhin, ob die Regelung den Besitz sämtlicher unversteuerter Substitute unabhängig von ihrer Herkunft erfasst. Im Hinblick auf den Wortlaut und die systematische Stellung im 4. Abschnitt des TabStG könnten hingegen auch nur solche Waren erfasst sein, die aus einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland verbracht wurden. Eine Anwendung auf in Deutschland hergestellte oder aus Drittländern eingeführte Waren wäre dann ausgeschlossen.
4 Praxisempfehlung
Das Gericht schiebt der Zollverwaltung bei der Besteuerung von Substituten erstmals einen Riegel vor. Es handelt sich zwar zunächst nur um ein summarisches vorläufiges Verfahren. Die Entscheidung im Hauptsacheverfahren, das ohne weiteres noch bis zu zwei Jahren dauern kann, bleibt abzuwarten. Betroffene Unternehmer sollten aber zwingend gegen solche Tabaksteuerbescheide Einspruch einlegen, um die Bescheide offenzuhalten, und ggfls. die Aussetzung der Vollziehung beantragen. Dies ist auch auf Grund der kurzen Festsetzungsfrist von einem Jahr im Verbrauchsteuerrecht zwingend erforderlich. Spannend ist auch, wie die Zollverwaltung auf diese Entscheidung reagiert, insbesondere, ob sie weiterhin ausnahmslos Steuerstrafverfahren einleitet. Denn ohne eine Steuerschuld kann die Steuer auch nicht hinterzogen werden. Die Grundlage für die Strafverfahren würde entfallen.
Ansprechpartnerin:
Dobrinka Atanasova
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Steuerrecht
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Stand: 15.11.2023