Zollbehörden müssen von Amts wegen das Vorliegen der Voraussetzungen für Erstattungen von Einfuhrabgaben überprüfen. Diese Auffassung vertrat der Generalanwalt am EuGH in der Rechtssache C-206/24 (YX, Logística i Gestió Caves Andorranes i Vidal SA) in seinen Schlussanträgen in begrüßenswerter Deutlichkeit. Die Entscheidung des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren steht allerdings noch aus. Die vorgelegten Fragen betreffen eine Rechtsvorschrift, die in den alten Zollkodex übernommen wurde. Die noch ausstehende Entscheidung wird auch Einfluss auf die Neufassung dieser Regelung im aktuellen Zollkodex der Union (UZK) haben.
1 Ausgangsfall und Vorlagefragen
Andorranische Unternehmer führten in den Jahren 1988 bis 1991 Waren in Andorra ein. Dabei durchquerten die Waren französisches Staatsgebiet. Nach damaliger Auffassung der französischen Zollverwaltung war es erforderlich, Waren aus Drittländern mit dem Bestimmungsland Andorra in Frankreich in den freien Verkehr zu überführen. Dementsprechend entrichteten die Unternehmer Einfuhrabgaben in Frankreich. Die Kommission rügte diese Praxis, die gegen damaliges Gemeinschaftsrecht verstieß. Daraufhin gab die französische Zollverwaltung das Erfordernis der Überführung in den freien Verkehr Mitte 1991 auf.
Im Jahr 2015 erhoben die Rechtsnachfolger der andorranischen Unternehmer Klage gegen die französische Zollverwaltung. Sie verlangten die Erstattung der in den Jahren 1988 bis 1991 unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhobenen Einfuhrabgaben. Die Klage wurde in erster und zweiter Instanz abgewiesen. Begründet wurde dies damit, dass den französischen Zollbehörden nicht alle Informationen vorgelegen hätten, um die Erstattungsbeträge zu ermitteln und die Zollschuldner, denen die Einfuhrabgaben hätten erstattet werden müssen, ausfindig zu machen. Dies wäre, wenn überhaupt, nur mit Nachforschungen in unverhältnismäßigem Ausmaß möglich gewesen. Die Klageparteien legten Rechtsmittel gegen die Entscheidung in zweiter Instanz ein. In dritter Instanz wurden dem EuGH nun zwei Fragen vorgelegt, die auf die Reichweite der Nachforschungspflichten der Zollbehörden abzielen.
2 Rechtlicher Rahmen
Gegenstand der Verfahren vor den französischen Gerichten war die Auslegung des Art. 2 Abs. 2 der VO Nr. 1430/79 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrausgaben. Diese Regelung ist in Art. 136 Abs. 2 UAbs. 3 des später eingeführten Zollkodex (ZK) eingegangen. Danach nehmen die Zollbehörden die Erstattung von Amts wegen vor, wenn sie innerhalb der vorgesehenen Frist feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erstattung vorliegen.
3 Schlussanträge des Generalanwaltes
Der Generalanwalt führt in seinen Schlussanträgen aus, dass Anträge auf Erstattung grundsätzlich innerhalb von drei Jahren nach der buchmäßigen Erfassung der Einfuhrabgaben gestellt werden können. Die Erstattung selbst muss hingegen nicht innerhalb dieser drei Jahre erfolgen. Zollbehörden hätten außerdem die Erstattung von Amts wegen vorzunehmen, wenn sie innerhalb dieser drei Jahre Kenntnis über Umstände erlangen, auf deren Basis rechtsgrundlos Einfuhrabgaben erhoben wurden, sofern die Prüfung ergibt, dass die Voraussetzungen für die Erstattung vorliegen. Während im Falle des Antrags eindeutig ist, ab wann eine Überprüfung stattfinden muss, bleibt unklar, welches Maß an Gewissheit es braucht, um die Überprüfungspflicht von Amts wegen auszulösen.
Nach Ansicht des Generalanwalts müssen die Zollbehörden Kenntnis über die wesentlichen Gesichtspunkte des Erstattungsanspruchs erlangen. Dies umfasse die Zollvorgänge, die Identität der betroffenen Unternehmen, die gezahlten Beträge und den Grund des Fehlens der Zollschuld. Die Zollbehörden seien hier dazu verpflichtet, selbst Nachforschungen in verhältnismäßigem Umfang anzustellen. Dies gelte sowohl für die Identität der Zollschuldner als auch für den Grund der Erstattung. Im vorliegenden Fall hätte die französische Zollverwaltung unbedingt Nachforschungen anstellen müssen, weil sie selbst das Gemeinschaftsrecht jahrelang falsch angewendet hatte. Diese Praxis habe sie erst nach der Rüge der Kommission beendet. Den Unternehmern selbst seien diese Vorgänge hingegen nicht zwangsläufig bewusst gewesen. Deshalb könne sich die Zollverwaltung auch nicht darauf berufen, dass keine Erstattungsanträge gestellt wurden. Jedenfalls bei solch schweren Verstößen der Zollverwaltung selbst hält der Generalanwalt zusätzliche Nachforschungsmaßnahmen für erforderlich. Jedoch müssten Nachforschungen nicht in unverhältnismäßigem Ausmaß erfolgen.
4 Auswirkungen auf das heutige Unionsrecht
Die streitentscheidenden Normen sind inzwischen in Art. 116 Abs. 4, 121 Abs. 1 UZK übergegangen. Der Generalanwalt weist darauf hin, dass der Regelungsgehalt im Laufe der Zeit gleichgeblieben ist. Auch für Vorgänge nach der Einführung des UZK wird die ausstehende Entscheidung des EuGH deshalb Auswirkungen haben. Denkbar ist freilich, dass der EuGH den Schlussanträgen nicht folgt und seinerseits das Antragserfordernis stärkt. Folgt der EuGH hingegen dem Generalanwalt, können Unternehmer auf Erstattungen hoffen, auch wenn sie selbst keinen Erstattungsantrag gestellt haben. Relevant dürften künftig vor allem die Fälle sein, in denen die Rechtsprechung die Rechtswidrigkeit von Erhebungspraktiken der Zollverwaltung in der Vergangenheit feststellt. In gleichgelagerten Fällen müsste die Zollverwaltung dann von Amts wegen ebenfalls nachforschen, ob Einfuhrabgaben erstattet werden müssen. Auch die eigene Erkenntnis, in der Vergangenheit rechtwidrig Einfuhrabgaben erhoben zu haben, würde zur Erstattungspflicht von Amts wegen führen. Erkennbar wird eine solche Erkenntnis beispielsweise durch eine Änderung der Verwaltungsvorschriften.
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Dr. Christian Salder
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Stand: 24.04.2025