Umsatzsteuer Newsletter 47/2024
VAT in the Digital Age (Teil 4): Die „einzige Mehrwertsteuerregistrierung“ und ihre Praxisfolgen im B2B-Bereich
In Teil 4 unserer Newsletter-Reihe zur Reform „VAT in the Digital Age“ behandeln wir die sog. einzige Mehrwertsteuerregistrierung. Hinter diesem Begriff verbirgt sich eine Vielzahl von Maßnahmen, die die bisher notwendigen mehrwertsteuerlichen Registrierungen im Ausland entbehrlich machen sollen. Hierzu werden das One-Stop-Shop-Verfahren und die Regelungen zum Steuerschuldübergang für B2B-Umsätze von nicht ansässigen Unternehmen im EU-Ausland schrittweise erweitert, und zwar zum 01.01.2027 und zum 01.07.2028. Der Teufel steckt dabei jedoch wie so oft im Detail: Die Mitgliedstaaten können Wahlrechte ausüben. Und bestimmte Umsätze führen auch weiterhin zur Registrierungspflicht im Ausland.
1 Hintergrund
Infolge internationaler Lieferketten sind viele Unternehmen verpflichtet, sich im Ausland umsatzsteuerlich zu registrieren. Damit sind nicht nur Befolgungskosten verbunden, sondern die Unternehmer begeben sich auch auf ein in vielen Bereichen leider nicht EU-weit harmonisiertes Terrain. Hierzu zählen neben den umsatzsteuerrechtlichen Regelungen auch verfahrensrechtliche Anforderungen, u. a Fristen, Korrekturvorschriften, Zinsen, Strafen, etc. Unter dem Begriff „einzige Mehrwertsteuerregistrierung“ ergreift die EU nun verschiedentliche Maßnahmen, die die bisherige Notwendigkeit von Registrierungen im Ausland entbehrlich machen soll.
 
2 Die wesentlichen Neuregelungen für B2B-Umsätze im Überblick
Zum 01.01.2027 wird das OSS-Verfahren ausgeweitet. Es umfasst dann auch Lieferungen von Gas, Elektrizität, Wärme und Kälte, sofern der leistende Unternehmer im Mitgliedstaat der Steuerbarkeit nicht ansässig ist. Zum 01.07.2028 treten mehrere aufeinander abgestimmte Änderungen in Kraft:
  • Steuerschuldübergang: Art. 194 MwStSystRL wird grundlegend neu geregelt für im Mitgliedstaat des Umsatzes nicht ansässige Unternehmer. Bisher können die Mitgliedstaaten frei entscheiden, ob sie hierfür ein Reverse-Charge-Verfahren überhaupt einführen, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen. Vielfach sind Auslandsregistrierungen notwendig, weil Art. 194 MwStSystRL im konkreten Fall keine Anwendung findet. Zukünftig ist die Regelung verpflichtend anzuwenden bei lokalen B2B-Umsätzen, wenn der Leistende im Mitgliedstaat der Steuerbarkeit weder ansässig noch mehrwertsteuerlich registriert ist und zugleich der Kunde in diesem Mitgliedstaat registriert ist. Ist der Leistende zwar nicht ansässig, aber ggf. registriert, und/oder der Kunde nicht registriert, können die Mitgliedstaaten für diese Fallkonstellationen individuell entscheiden, ob die Steuerschuld übergeht.
  • Weitere Ausdehnung des OSS-Verfahrens: Neben lokalen Lieferungen durch nicht ansässige Unternehmen können auch innergemeinschaftliche Verbringenstatbestände im OSS-Verfahren gemeldet werden. Die Besteuerung des Erwerbs im Bestimmungsland ist steuerfrei, sofern das Verbringen aus dem Abgangsstaat im OSS-Verfahren deklariert wird. Zudem wird das OSS-Verfahren erweitert um die Lieferung von Gegenständen mit Installation oder Montage sowie um Lieferungen an Bord von Schiffen, Flugzeugen oder Eisenbahnen durch nicht Ansässige.
  • Konsignationslager-Vereinfachung: Durch die vorweg genannten Maßnahmen wird die im Rahmen der „Quick Fixes“ zum 01.01.2020 eingeführte Regelung entbehrlich. Sie gilt noch für Einlagerungen bis zum 30.06.2028 und läuft damit nach Ablauf der 12-Monats-Frist für eingelagerte Gegenstände faktisch zum 30.06.2029 aus.
3 One-fits-all-Lösung oder verbleibende Registrierungspflichten?
Die von der EU-Kommission gewählte Formulierung einer „einzigen Mehrwertsteuerregistrierung“ lässt vermuten, dass selbst ein global tätiger Unternehmer künftig nur eine einzige mehrwertsteuerliche Registrierung benötigt. Doch ganz so einfach ist es nicht: Zwar kann die Anzahl der notwendigen Registrierungen tatsächlich auf eine einzige Mehrwertsteuerregistrierung im Sitzstaat reduziert werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Unternehmer seine wirtschaftliche Tätigkeit auf jene Umsätze limitiert, die in den verpflichtenden Anwendungsbereich der Neuregelungen fallen. Die folgenden Umsätze führen auch zukünftig zu einer Umsatzsteuerregistrierung im EU-Ausland:

Eingangsumsätze im EU-Ausland:
  • i.g. Erwerb von Dritten (Zukäufe)
  • i.g. Erwerb durch Verbringen ohne Nutzung des OSS-Verfahrens
Ausgangsumsätze im EU-Ausland:
  • i.g. Lieferung oder Ausfuhrlieferung
  • i.g. Lieferung oder Ausfuhrlieferung in einem grenzüberschreitenden Reihengeschäft
  • lokale Lieferung an einen nicht registrierten Unternehmer
  • jeglicher Umsatz bei Vorliegen einer festen Niederlassung
4 Folgen für die Praxis
Der Grundgedanke dieser Säule der Reform ist sehr zu begrüßen. Eine genauere Analyse legt jedoch offen, dass die Regelungen ausverhandelte Kompromisse darstellen. Kompromisse sind wichtig, in der Umsatzsteuerwelt führen sie aber zur Verkomplizierung. So dürfen sich im Ergebnis – wie bereits beim derzeitigen OSS-Verfahren – nur diejenigen Unternehmer freuen, die ausschließlich von den Vereinfachungen erfasste Umsätze erbringen. Für alle anderen bleibt es bei der Notwendigkeit, sich im EU-Ausland zu registrieren und ggf. auch, Umsatzsteuer an den dortigen Fiskus zu entrichten. Die Reform hält damit nicht, was ihr Name verspricht.
 
Alle Unternehmen müssen ihre Liefer- und Leistungsbeziehungen im Lichte der neuen Vorgaben würdigen. Diese Aufgabe wird durch die Umsetzungsspielräume beim Steuerschuldübergang erschwert. Hier wird es bei länderspezifischen Bestimmungen bleiben. Wer die „einzige Mehrwertsteuerregistrierung“ anstrebt, muss sich erst recht vor Fehlern hüten. Werden z.B. Reihengeschäfte falsch eingeordnet, umsatzsteuerliche Betriebstätten verkannt, Verbringenstatbestände nicht korrekt abgebildet oder schlichtweg OSS-Meldungen nicht oder verspätet eingereicht, gilt auch weiterhin die (rückwirkende) Registrierungs- und Steuerentrichtungspflicht im EU-Ausland. Zudem greifen dann lokale steuer- und verfahrensrechtliche Bestimmungen, die oft von den bekannten deutschen Regelungen abweichen.
 
Nicht nur aufgrund der beschriebenen Risiken kann ein (freiwilliges) Aufrechterhalten der Auslandsregistrierungen geboten sein. Vorsteuerbeträge lassen sich auch zukünftig nicht im OSS-Verfahren geltend machen. Fallen hohe Erstattungsüberhänge an, kann eine freiwillige Registrierung Cashflow-Vorteile mit sich bringen.
 

Ansprechpartner:

 

Steuerberater, Dipl.-Finanzwirt (FH)
Tel: +49 211 54 095 387
 
Stand: 11.11.2024