Umsatzsteuer Newsletter 45/2024
VAT in the Digital Age (Teil 2): Die „Single VAT Registration“ und ihre Praxisfolgen im E-Commerce
Dieser Newsletter behandelt die Neuregelungen im Rahmen der Reform „VAT in the Digital Age“, die der E-Commerce-Branche zugutekommen sollen. Mit den Neuregelungen in diesem Bereich soll sich für viele Unternehmer, auch gerade für Onlinehändler, die Anzahl der notwendigen Registrierungen im EU-Ausland reduzieren. Als Voraussetzung hierfür wird vor allem eine deutliche Erweiterung der One-Stop-Shop-Verfahren angestrebt. Die Neuregelungen werden zeitlich in zwei Schritten eingeführt – zum 01.01.2027 und zum 01.07.2028. Ob davon alle Beteiligten profitieren können, bleibt abzuwarten.
1 Hintergrund
In der Wirtschaft schwelt schon länger ein Konflikt zwischen Mehrwertsteuerrecht und Praxis. Steuerpflichtige müssen in der heutigen Zeit immer globaler agieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Gleichwohl haben viele Unternehmer immer mehr rechtliche Pflichten zu erfüllen, so dass sie zeitlich und monetär unverhältnismäßig stark belastet werden. Dies war einer der Hintergründe für die gerade verabschiedete Reform „VAT in the Digital Age“. Mit den Neuregelungen soll sich für viele Unternehmer, aber gerade auch für Onlinehändler die Anzahl der notwendigen Registrierungen im EU-Ausland reduzieren. Damit bleiben Onlinehändlern, die Fulfillment-Strukturen nutzen, zukünftig zeit- und kostenaufwändige Deklarationspflichten erspart. Außerdem werden die Unternehmer einen großen Teil der im EU-Ausland zu besteuernde Leistungen zentral melden und die geschuldete Mehrwertsteuer einheitlich abführen können. 
 
2 Neuregelungen zum 01.01.2027
  • Aktuell wird eine „elektronische Schnittstelle“ (z. B. Online-Marktplatz) in bestimmten Konstellationen als Abnehmer der Lieferung des Onlinehändlers und als Lieferer an die Privatperson behandelt. Dadurch wird die „elektronische Schnittstelle“ zum Steuerschuldner. Diese Lieferkettenfiktion soll ausgedehnt werden, aber (nur) auf B2B-Lieferungen von Unternehmen mit Sitz im Drittland (Drittländer). Ein Drittländer wird für EU-Umsätze zukünftig stets eine ruhende steuerfreie Lieferung an die elektronische Schnittstelle erbringen. (siehe KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 44 | 2024)
  • Bisher konnten Unternehmer aus dem Drittland Dienstleistungen an in der EU ansässige Privatpersonen im One-Stop-Shop (OSS) melden. Zukünftig werden Drittländer die innerhalb der EU zu besteuernden Dienstleistungen an alle Privatpersonen, unabhängig von deren Ansässigkeit, im OSS melden können.
  • Der Schwellenwert von EUR 10.000 für innergemeinschaftliche Fernverkäufe und grenzüberschreitende B2C-Dienstleistungen wird präzisiert. Einerseits gilt diese Grenze nur für EU-Steuerpflichtige, die in lediglich einem Mitgliedstaat ansässig sind. Gleichzeitig wird klargestellt, dass dieser Schwellenwert nur für Fernverkäufe aus dem eigenen Ansässigkeitsstaat relevant ist. Ab Überschreiten des Schwellenwerts ist jeder Fernverkauf aus dem eigenen Ansässigkeitsstaat im Bestimmungsland zu besteuern. Dagegen ist jeder Fernverkauf aus einem anderen Mitgliedstaat (z. B. aus einem Lager) im Bestimmungsmitgliedstaat zu besteuern, unabhängig von dem Schwellenwert. Die Umsätze können im OSS gemeldet werden. 
  • Steuerentstehungszeitpunkt: Vorgesehen ist, dass die Steuer bei einer Leistung zum Zeitpunkt des Zahlungseingangs, spätestens bei Erbringung der Leistung entsteht, sofern die Leistung im OSS gemeldet wird.
3 Neuregelungen zum 01.07.2028
  • Lokale Lieferungen im EU-Ausland, für die der Leistende die Steuer schuldet, können im OSS gemeldet werden. Künftig werden also auch lokale Lieferungen aus einem Warenlager an Kunden im OSS gemeldet werden können.
  • Im OSS-Verfahren kann das innergemeinschaftliche Verbringen gemeldet werden. Das Verbringen von Waren, etwa in Fulfillment-Strukturen, soll meldepflichtig bleiben, nunmehr aber im OSS und nicht im EU-Ausland. Hierfür ist monatlich eine separate OSS-Meldung abzugeben. Der korrespondierende Erwerb wird steuerfrei gestellt.
  • Berichtigungen von OSS-Meldungen können bis zum Ablauf der jeweiligen Abgabefrist erfolgen. Danach werden Berichtigungen zu früheren Meldeperioden nur in der aktuellen Meldung zulässig sein. Reicht man eine OSS-Erklärung frühzeitig ein und merkt noch vor Abgabe der Frist, dass einem ein Fehler unterlaufen ist, kann man die aktuelle Erklärung berichtigen. Bisher waren Korrekturen erst in einer zukünftigen Erklärung möglich. 
  • Für Drittländer wird es zukünftig ein etwas erweitertes Wahlrecht bzgl. der Frage, welcher Mitgliedstaat als Mitgliedstaat der OSS-Identifizierung gelten soll, geben. 
4 Folgen für die Praxis
Onlinehändler dürfen sich freuen: Der OSS wird deutlich erweitert. Zukünftig können innergemeinschaftliche Verbringen ebenda deklariert werden. Und auch lokale Lieferungen im EU-Ausland werden im OSS meldefähig sein. Beides erspart Registrierungen im EU-Ausland. Eine solche kann aber auch weiterhin sinnvoll sein. Zum Beispiel, wenn in einem anderen Mitgliedstaat lokale Vorsteuern oder Einfuhrumsatzsteuer anfällt und man nicht das Vergütungsverfahren nutzen möchte, bei dem man oft sehr lange auf die Erstattung wartet. Und ohnehin würde nicht jeder Onlinehändler ohne ausländische Registrierungen auskommen. Denn auch künftig werden nicht alle Umsätze im EU-Ausland im OSS gemeldet werden können. So werden im EU-Ausland zu besteuernde innergemeinschaftliche Lieferungen und Ausfuhrlieferungen weiterhin zur Registrierungspflicht führen, auch wenn sie steuerfrei sind.
 
Bei all den Vereinfachungen darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich bei der im OSS gemeldeten Steuer um eine im Ausland geschuldete Steuer handelt. Alle steuer- und verfahrensrechtlichen Modalitäten müssen nach dem Recht des Landes betrachtet werden, in dem die Steuer geschuldet wird, und nicht nach dem Recht im Mitgliedstaat der OSS-Identifizierung. So sind u. a. die Korrekturvorschriften und die Regelungen zum einschlägigen Rechtsbehelfsverfahren größtenteils jeweils nach Länderrecht zu befolgen. 
 
Auch ansonsten gibt es noch viel zu tun. Das betrugsanfällige IOSS-Verfahren wurde bis auf geringfügige Maßnahmen zur Verknüpfung der IOSS-Nummer mit der Sendung gar nicht angefasst. Gerade an dieser Stelle leiden Onlinehändler unter dem unlauteren Wettbewerb aus dem Drittland. Hier wurde leider kein Kompromiss gefunden. Dieser soll erst mit der geplanten Zollrechtsreform kommen. 


Ansprechpartner:

Dr. Atanas Mateev
Dipl.-Wirtschaftsjurist (Univ.), Steuerberater
Tel.: +49 89 217501253
atanas.mateev@kmlz.de

Stand: 07.11.2024