1 Hintergrund
Bereits im letzten Jahr hatte der EuGH das E-Charging umsatzsteuerrechtlich eingeordnet. Der EuGH behandelt die komplexe Leistung bestehend aus Ladevorgang und Dienstleistungselementen umsatzsteuerrechtlich als Lieferung (vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 20 | 2023). Da jedoch einige Fragen offenblieben, insbesondere für die Konstellationen eines Drei-Personen-Verhältnisses, musste sich der EuGH im Urteil vom 17.10.2024 (Digital Charging Solutions GmbH – C‑60/23) erneut mit dem E-Charging auseinandersetzen.
2 Sachverhalt
Die Klägerin ist ein E-Mobilitätsbetreiber (E-Mobility Provider, „EMP“) und gewährt Nutzern von Elektrofahrzeugen Zugang zu einem Netzwerk von Ladepunkten. Dieses Netzwerk stellt den Nutzern in Echtzeit Informationen über Preise, Standorte und Verfügbarkeit der Ladepunkte zur Verfügung. Daneben bietet das Netzwerk Funktionen für das Auffinden von Ladepunkten sowie für die Routenplanung (im Folgenden: Dienstleistungselemente). Die Klägerin stattet die Nutzer mit einer Karte / App aus. Verwendet ein Nutzer die Karte / App beim Ladevorgang, wird er beim Ladesäulenbetreiber (Charging Point Operator, „OMP“) aus dem Netzwerk der Klägerin registriert.
Der Ladesäulenbetreiber rechnet den Ladevorgang gegenüber der Klägerin monatlich ab. Auf Basis der von den Ladesäulenbetreibern erhaltenen Rechnungen rechnet die Klägerin gegenüber den Nutzern ab, erstens über die pro Monat gelieferte Menge Elektrizität und zweitens über die Dienstleistungselemente. Der Preis für die Dienstleistungselemente ist eine feststehende Monatsgebühr. Diese fällt an, auch wenn tatsächlich kein Ladevorgang stattfindet.
Das schwedische Vorlagegericht stellte dem EuGH die Frage, ob der Ladevorgang eine umsatzsteuerrechtliche Lieferung darstellt. Weitaus interessanter für die Praxis ist die bis dato noch ungeklärte weitere Vorlagefrage, ob im vorliegenden Drei-Personen-Verhältnis dann eine Lieferkette im Sinne eines Kommissionsmodells (vgl. § 3 Abs. 3 UStG) vorliegt.
3 Entscheidung des EuGH
Der EuGH ordnet den Ladevorgang als Lieferung ein und bejaht eine Lieferkette. Nach Auffassung des EuGH sind die beiden Voraussetzungen eines Kommissionsgeschäfts nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL „offenbar erfüllt“:
- Die Klägerin wird im Rahmen eines Kommissionsvertrags im Sinne von Art. 14 Abs. 2 Buchst. c MwStSytRL im eigenen Namen, aber für Rechnung des Nutzers tätig.
- Die tatsächliche Lieferung von Elektrizität durch die Klägerin an den Nutzer unterscheidet sich nicht von der Lieferung von Elektrizität durch den Ladesäulenbetreiber an die Klägerin.
Die zweite Voraussetzung ist insbesondere vor dem hier gegebenen Hintergrund nicht offensichtlich, da die Klägerin die eingekaufte Elektrizität um weitere Dienstleistungselemente ergänzt. Wie der EuGH aber betont, ist die zweite Voraussetzung selbst dann erfüllt, wenn die von der Klägerin erbrachten Dienstleistungselemente jeweils unselbständige Nebenleistungen zur Lieferung von Elektrizität darstellen. Für die umsatzsteuerrechtliche Behandlung der Dienstleistungselemente verweist der EuGH zurück an das vorlegende Gericht. Der EuGH macht jedoch deutlich, dass viel dafür spricht, die Dienstleistungselemente als selbständige Leistungen zu behandeln. Denn die Klägerin rechnet diese monatlich gesondert als Pauschalentgelt ab, das weder nach der Menge des gelieferten Stroms noch nach der Zahl der Ladevorgänge variiert.
Sehr detailliert grenzt der EuGH den vorliegenden Fall von den Fällen zu Tankkartenumsätzen ab. Die Rechtsprechung zu den Tankkartenumsätzen ist nicht übertragbar, da sie andere Sachverhalte betrifft. Insbesondere übernimmt die Klägerin im vorliegenden Fall weder die Funktion eines Kreditgebers (vgl. Auto Lease Holland – C-185/01) noch die Organisation der konzernweiten Kraftstoffversorgung mittels Tankkarten (vgl. Vega International – C-235/18).
4 Praxisfolgen
Das EuGH-Urteil schafft die lang ersehnte Klarheit darüber, dass das E-Charging im klassischen Drei-Personen-Verhältnis unter den o.g. Voraussetzungen als Lieferkette zu behandeln ist. In dieser Konstellation finden die Grundsätze des EuGH aus den Rs. Auto Lease Holland und Vega International keine Anwendung. Bei Annahme einer Lieferkette ergeben sich für die E-Mobilitätsbetreiber jedoch höchst praxisrelevante Folgefragen:
- Bin ich ein Wiederverkäufer? (Reverse-Charge)
- Wo befindet sich die Ladesäule? (USt-Registrierung)
- Stellen die Dienstleistungselemente im konkreten Fall eine selbständige Leistung dar?
- Wenn ja: B2C-Fall oder B2B-Fall? (Ort der Leistung, Reverse-Charge)
- Liegt eine elektronische Dienstleistung im B2C-Fall vor? (Beweismittel notwendig)
Die komplexen Folgefragen bringen für die Praxis gewisse Risiken mit sich, welche sich jedoch in vielen Fällen durch kluge Vertragsgestaltung minimieren lassen.
Ansprechpartner:

Dr. Matthias Oldiges
Rechtsanwalt
Tel.: +49 211 54 095 366
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Stand: 22.10.2024