Umsatzsteuer Newsletter 41/2020
Jahressteuergesetz 2020 (Teil 10): Reverse-Charge-Verfahren für Telekommunikationsdienstleistungen
Im zehnten Teil unserer Newsletter-Serie zum JStG 2020 beschäftigen wir uns mit der vom Gesetzgeber beabsichtigten Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens für Telekommunikationsdienstleistungen (= TK-Leistungen). Der Gesetzgeber will durch diese Maßnahme Betrugsmodellen Herr werden. Die Neuregelung gilt jedoch nur für TK-Leistungen an einen Unternehmer, der selbst Wiederverkäufer von TK-Leistungen ist. Unternehmen, die TK-Leistungen ein- und/oder verkaufen, müssen ihre internen Prozesse und Systeme eingangs- und ausgangsseitig entsprechend anpassen. Es gibt eine Reihe ungeklärter Fragen und es zeichnen sich erhebliche Anwendungsschwierigkeiten ab. Der Gesetzgeber täte gut daran, die Regelung nachzubessern.
1 Hintergrund
Schuldner der Umsatzsteuer für Telekommunikationsdienstleistungen (= TK-Leistungen) ist bisher gem. § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG der leistende Unternehmer. Der Gesetzgeber sieht nun vermehrt Anzeichen dafür, dass es im Bereich Voice over IP (= VoIP) zu Umsatzsteuerausfällen kommt. Dies geschehe häufig dadurch, dass Hintermänner eines solchen Betrugsmodells typischerweise eine deutsche Mantelfirma erwerben. Die Mantelfirma bezieht TK-Leistungen von einem sog. Missing Trader. Diese TK-Leistungen verkauft sie im Anschluss weiter, i.d.R. ins Dritt- oder EU-Ausland, sodass die Leistung in Deutschland nicht steuerbar ist. Die Mantelfirma nimmt den Vorsteuerabzug aus dem Einkauf der TK-Leistungen vor. Der Missing Trader seinerseits führt jedoch keine Umsatzsteuer ab. Dieses Zusammenwirken von Mantelfirma und Missing Trader führt zu besagtem Umsatzsteuerausfall:
 
 
2 Gesetzliche Neuerungen
Durch das Jahressteuergesetz (JStG) 2020 will der Gesetzgeber nun entsprechenden betrügerischen Handlungen einen Riegel vorschieben, indem er das Reverse-Charge-Verfahren anordnet. Auf Grundlage des Art. 199a Abs. 1 lit. g MwStSystRL wird § 13b Abs. 2 UStG um eine Nr. 12 für „sonstige Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation“ ergänzt. Außerdem erhält § 13b Abs. 5 UStG nach dem bisherigen Satz 5 einen zusätzlichen Satz. Danach schuldet der Empfänger von TK-Leistungen (Abs. 2 Nr. 12) die Steuer, „wenn er ein Unternehmer ist, dessen Haupttätigkeit in Bezug auf den Erwerb dieser Leistungen in deren Erbringung besteht und dessen eigener Verbrauch dieser Leistungen von untergeordneter Bedeutung ist“ (sog. Wiederverkäufer). Diese beiden Merkmale müssen kumulativ erfüllt sein.
 
3 Auswirkungen
Damit § 13b Abs. 2 Nr. 12 UStG n.F. zur Anwendung kommen kann, müssen zum einen TK-Leistungen vorliegen und zum anderen muss es sich beim Erwerber um einen Wiederverkäufer handeln:
 
TK-Leistungen:
Eine Definition des Begriffs TK-Leistungen findet sich in Art. 24 Abs. 2 MwStSystRL i. V. m. Art. 6a MwStDVO und in Abschn. 3a.10 UStAE. Somit fallen z. B. Telefonie, SMS, Datenübertragungen, VoIP, Internetzugang etc. unter die neu eingeführte Regelung. 
 
Wiederverkäufer:
Der Gesetzentwurf orientiert sich mit dem Merkmal des Wiederverkäufers offensichtlich an den Regelungen aus dem Bereich Strom und Gas, §§ 3g, 13b Abs. 2 Nr. 5, Abs. 5 S. 3 und S. 4 UStG. Nach den Vorgaben der Finanzverwaltung ist das Kriterium der „Haupttätigkeit“ hier erfüllt, wenn der Unternehmer mehr als die Hälfte der von ihm erworbenen Menge weiterveräußert (vgl. Abschn. 3g.1 Abs. 2 S. 2 UStAE). Der eigene Verbrauch ist hier von untergeordneter Bedeutung, wenn nicht mehr als 5 % der erworbenen Menge zu eigenen Zwecken verwendet wird (vgl. Abschn. 3g.1 Abs. 2 S. 5 UStAE). Da der leistende Unternehmer die internen Verhältnisse beim Leistungsempfänger i. d. R. nicht kennt, hat die Finanzverwaltung die sog. Wiederverkäuferbescheinigung geschaffen. Legt der Leistungsempfänger dem Leistenden eine solche Bescheinigung vor, die im Zeitpunkt der Leistung gültig ist, kann der Leistende von der Wiederverkäufereigenschaft des Leistungsempfängers ausgehen (vgl. Abschn. 13b.3a Abs. 1 S. 5 UStAE). Völlig offen ist derzeit, wie ein entsprechender Wiederverkäufernachweis bei TK-Leistungen aussehen soll.
 
4 Fazit
Unternehmer, die TK-Leistungen ein- und/oder verkaufen, müssen sich auf eine Anpassung ihrer internen Prozesse und Systeme vorbereiten. Auf der Einkaufsseite gilt es einen zu hohen Vorsteuerabzug, auf der Ausgangsseite eine fehlerhafte Anwendung des § 13b UStG zu vermeiden. Der derzeitige Entwurf bringt sehr viel Rechtsunsicherheit. Erhebliche Anwendungsschwierigkeiten zeichnen sich ab. Die vorgesehene Neuregelung erstreckt sich auf alle TK-Leistungen. Eine Begrenzung auf den identifizierten Betrugsbereich VoIP – ähnlich wie in Großbritannien – wäre rechtlich möglich und verhältnismäßig. Die Zusammensetzung der Leistungen im TK-Bereich ist vielgestaltig und komplex, sodass es der gesetzlichen Klarstellung bedarf, ob ein Wiederverkauf nur bei unveränderter Weitergabe der eingekauften Leistung vorliegt. Wie die Zweifelsregelung des § 13b Abs. 5 S. 7 UStG eine gesetzliche Normierung erfahren hat, so sollte auch die Wiederkäuferbescheinigung gesetzlich verankert werden. Der angedachte Änderungszeitpunkt zum 01.01.2021 belastet die Unternehmen aufgrund der Steuersatzanpassung zum gleichen Zeitpunkt zusätzlich über Gebühr.
 
Ansprechpartner:
 

Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Stand: 07.08.2020