1 Hintergrund
Die Finanzverwaltung geht von einem tauschähnlichen Umsatz (Entsorgungsleistung gegen Lieferung des Abfalls) aus, wenn dem zur Entsorgung überlassenen Abfall ein wirtschaftlicher Wert beizumessen ist (sog. werthaltiger Abfall) und nach den übereinstimmenden Vorstellungen der Vertragspartner der überlassene Abfall die Höhe der Barvergütung für die Entsorgungsleistung oder die übernommene Entsorgung die Barvergütung für die Lieferung des Abfalls beeinflusst hat (Abschn. 3.16 Abs. 1 und Abschn. 10.5 Abs. 2 UStAE). Der BFH hat nunmehr in seinem Urteil vom 18.04.2024 – V R 7/22 entschieden, dass bei einer Abfallentsorgung, die zum Entstehen werthaltiger Stoffe führt, nicht zwingend ein tauschähnlicher Umsatz gegeben ist.
2 Sachverhalt
Die Klägerin ist ein Entsorgungsunternehmen. Sie nahm ihren Kunden verunreinigte Chemikalien zum Zwecke der Entsorgung nach dem in Anlage 2 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes aufgeführten Verwertungsverfahren ab. Die Chemikalien bereitete sie im Rahmen eines chemischen Prozesses dergestalt auf, dass sie die Verunreinigungen herauslöste und diese entsorgte. Bei der Verwertung des Abfalls entstanden Stoffe, die einen wirtschaftlichen Wert haben und vom Entsorgungsunternehmen entgeltlich veräußert wurden. Das Finanzamt und das Finanzgericht waren davon ausgegangen, dass ein tauschähnlicher Umsatz vorliege. Die Klägerin erhalte für ihre Entsorgungsleistung neben dem vereinbarten Entsorgungspreis als Gegenleistung eine Lieferung. Liefergegenstand seien die verunreinigten Chemikalien, die die Klägerin von ihren Kunden erhalte. Daher erhöhe der Wert der verunreinigten Chemikalien die Bemessungsgrundlage für die von der Klägerin erbrachte Entsorgungsleistung.
3 Entscheidung des BFH
Der BFH entschied in seinem erst Ende August veröffentlichten Urteil vom 18.04.2024 – V R 7/22, dass lediglich eine vom Unternehmer erbrachte Entsorgungsdienstleistung vorliegt. Die Annahme eines tauschähnlichen Umsatzes komme mangels Lieferung des gefährlichen Abfalls an den Unternehmer nicht in Betracht. Für eine Lieferung gegen Entgelt müsse dem Abfall als solchem im Zeitpunkt der Überlassung ein Wert zukommen, was nicht der Fall sei. Das der Leistungserbringung zugrunde liegende Rechtsverhältnis zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger war ausschließlich auf die Erbringung einer Entsorgungsleistung, nicht aber auch auf eine Lieferung an die Klägerin gerichtet. Hierbei stellte die Übergabe der verunreinigten Chemikalien lediglich eine untergeordnete Handlung zum Erhalt der Entsorgungsleistung dar, da sie notwendig war, um die Entsorgungsleistung durchführen zu können.
Hieran ändere sich auch nichts dadurch, dass der Unternehmer einen möglichen Verkaufspreis von Stoffen, die er durch die spätere Verwertung des gefährlichen Abfalls gewinnen und wieder verkaufen kann, kalkulatorisch als Preisnachlass zugunsten der Kunden berücksichtigt.
Auch eine Lieferung von gereinigten Chemikalien an das Entsorgungsunternehmen verneinte der BFH mangels Verschaffung der Verfügungsmacht. Die Herstellung von Chemikalien im Rahmen des Entsorgungsprozesses sei allein dem Entsorgungsunternehmen zuzurechnen. Der BFH maß dem Umstand, dass das Entsorgungsunternehmen aus den verunreinigten Chemikalien – nach einer Bearbeitung - verkaufsfähige, gereinigte Chemikalien herstellen konnte, keine maßgebliche Bedeutung bei.
4 Auswirkungen auf die Praxis
Das Urteil ist von anderen Urteilen des BFH und des EuGH abzugrenzen. In seinem Urteil vom 10.01.2019 – C – 410/17 entschied der EuGH beispielsweise, dass Metallschrott und Mobiliar jeweils als Gegenleistung für eine Entsorgungsdienstleistung anzusehen waren, weil beide unmittelbar verwertbar waren. Es ist daher eine Abgrenzung des Sachverhalts im Einzelfall vorzunehmen. Der BFH macht in seinem aktuellen Urteil deutlich, dass gerade kein tauschähnlicher Umsatz anzunehmen ist, wenn es sich bei dem überlassenen Abfall nicht um eine marktfähige Handelsware handelt, sondern erst aufwändige Aufarbeitungsprozesse notwendig sind, um verkaufsfähige Stoffe zu erhalten. Die bisherige Auffassung der Finanzverwaltung führt zu einer wesentlich weiteren Auslegung tauschähnlicher Umsätze. Es bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung die differenzierte Auffassung des BFH übernimmt.
Das Urteil des BFH hat nicht nur Relevanz für Entsorgungsfachbetriebe, sondern auch für Recycling-Unternehmen. Unternehmen der einschlägigen Branchen ist anzuraten, ihre Sachverhalte im Hinblick auf deren (Nicht-)Steuerbarkeit zu überprüfen.
Ansprechpartnerin:
Dr. Kristina Echterfeld
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Steuerrecht
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Stand: 11.09.2024