Umsatzsteuer Newsletter 31/2025
EuGH: Überhöhter Steuerausweis gegenüber Endverbrauchern und Unternehmern
Weist eine Person zu viel Umsatzsteuer in einer Rechnung an einen Endverbraucher aus, entsteht keine Steuerschuld nach § 14c UStG / Art. 203 MwStSystRL. Das ist so weit nichts Neues. In seiner Entscheidung vom 01.08.2025 (P-GmbH II – C-794/23) hat der EuGH seine Rechtsprechung hierzu präzisiert: Ob eine Steuerschuld kraft Rechnungstellung entsteht, ist stets für jede Rechnung gesondert zu beurteilen. Der Begriff des Endverbrauchers ist eng auszulegen. Bei Rechnungen, die sowohl an Endverbraucher als auch an Unternehmer ausgestellt werden, darf das Verhältnis im Zweifel geschätzt werden. Der EuGH nennt hierfür entsprechende Kriterien. Hinter diesen Maßstäben bleibt die deutsche Finanzverwaltung bisher deutlich zurück.

1 Hintergrund
Gleich zweimal musste sich der EuGH mit der Rs. P-GmbH befassen. Mit seinem ersten Urteil (v. 08.12.2022 – C-378/21, vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 57 | 2022) hatte der EuGH klargestellt: Eine Rechnung mit überhöhtem Steuerausweis an Endverbraucher löst keine Steuerschuld nach Art. 203 MwStSystRL / § 14c UStG aus. Aufgrund der fehlenden Berechtigung der Endverbraucher zum Vorsteuerabzug sei eine Gefährdung des Steueraufkommens ausgeschlossen – die überhöht ausgewiesene und abgeführte Steuer ist daher zu erstatten. Die P-GmbH, Betreiberin eines österreichischen Indoor-Spielplatzes, hatte in ihren Kleinbetragsrechnungen an namentlich nicht bekannte Kunden einen zu hohen Steuersatz angegeben. Das vorlegende Gericht (Bundesfinanzgericht Österreich – BFG) und der EuGH hatten im ersten Verfahren noch angenommen, dass es sich bei den Rechnungsempfängern ausschließlich um Endverbraucher handelte. Im Nachgang zum EuGH hat das BFG in seiner Folgeentscheidung aus Sicherheitsgründen jedoch einen Abschlag im Schätzungswege vorgenommen. Es ging davon aus, dass 0,5 % der Rechnungsempfänger zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmer seien (112 von 22.557 Rechnungen), und nahm insoweit eine entsprechende Steuerschuld an.
 

2 Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs Österreich vom 21.12.2023
Die Schätzung des BFG führte dazu, dass das Finanzamt Revision zum Verwaltungsgerichtshof (VwGH) einlegte. Aus Sicht des Finanzamts deckte die Entscheidung des EuGH in der Rs. P-GmbH I einen Sachverhalt, in dem ein Unternehmer Rechnungen mit überhöhtem Steuerausweis sowohl an Endverbraucher als auch an Unternehmer ausstellt, nicht ab. Der VwGH legte daher dem EuGH weitere Rechtsfragen zur Klärung vor.
 

3 Entscheidung des EuGH: Urt. v. 01.08.2025, C-794/23 (P-GmbH II)
Der EuGH bestätigt und ergänzt seine Rechtsprechung aus der Entscheidung P-GmbH I. Er stellt klar:

  • Es ist für jede einzelne Rechnung gesondert zu beurteilen, ob diese eine Steuerschuld nach Art. 203 MwStSystRL auslöst. Eine Rechnung an einen Nichtsteuerpflichtigen (Endverbraucher) löst auch dann keine Steuerschuld aus, wenn der Steuerpflichtige vergleichbare Leistungen ebenfalls an Steuerpflichtige erbringt und auch an diese entsprechende Rechnungen ausstellt.
  • Der Begriff „Endverbraucher“ ist dabei eng zu verstehen. Darunter fallen ausschließlich Nichtsteuerpflichtige. Steuerpflichtige, die Leistungen im Einzelfall für private oder sonstige nicht zum Vorsteuerabzug berechtigende Zwecke in Anspruch nehmen, gelten dagegen nicht als Endverbraucher in diesem Sinne. Bei ihnen bestehe die abstrakte Möglichkeit eines Vorsteuerabzugs, was schädlich sei.
  • Bei Massengeschäften – wie im Fall der P-GmbH – ist eine einzelfallbezogene Prüfung der Rechnungsempfänger in der Praxis kaum möglich. Der EuGH erkennt daher ausdrücklich die Möglichkeit einer Schätzung an, stellt hierfür aber bestimmte Anforderungen. Die Schätzung muss auf objektiven, aktuellen und nachvollziehbaren Daten beruhen und sich an konkreten Anhaltspunkten orientieren, wie etwa der Art der erbrachten Leistung, den Modalitäten ihrer Erbringung, der Art der Rechnungslegung und vorhandenen statistischen Informationen über den Kundenkreis. Die Schätzung von Finanzamt oder Finanzgericht darf nur zu einer widerlegbaren Vermutung führen. Der Unternehmer muss die Möglichkeit haben, die Richtigkeit der Schätzung vor Erlass einer belastenden Maßnahme in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu bestreiten und entkräftende Umstände vorzutragen. Das Beweismaß darf dabei nicht übermäßig hoch angesetzt werden. Schließlich betont der EuGH im Lichte des Effektivitätsgrundsatzes, dass dem Unternehmer die Möglichkeit zur Berichtigung und Erstattung der zu Unrecht gezahlten Steuer nicht faktisch verwehrt werden darf. Vielmehr bestehe eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Steuer zu erstatten, soweit keine Steuergefährdung vorliegt.

4 Ausblick
Wie schon in der Rs. P-GmbH I stärkt der EuGH auch in der Rs. P-GmbH II die Rechte der Unternehmer. Das BMF hatte auf das EuGH-Urteil P-GmbH I mit Schreiben vom 27.02.2024 reagiert und die Anwendbarkeit des § 14c UStG bei Rechnungen an Endverbraucher teilweise eingeschränkt. Zugleich hatte es den Begriff des Endverbrauchers auf privat handelnde Unternehmer erweitert und eine Schätzung in sog. Mischfällen ausdrücklich ausgeschlossen. Zudem verlangt das BMF vom Rechnungsaussteller, den Nachweis dafür zu erbringen, dass die Rechnungsempfänger Endverbraucher sind. Gemessen an den Erkenntnissen des EuGH in der Rs. P-GmbH II, dürfte diese Sichtweise jedoch zu streng sein. Zwar können die Mitgliedstaaten ihr Verfahrensrecht grundsätzlich selbst regeln. Sie sind dabei aber u. a. an den Grundsatz der Neutralität, der Verhältnismäßigkeit und der Effektivität gebunden. Der deutsche Gesetzgeber, die Finanzverwaltung und die Gerichte müssten also einen Weg finden, dem Rechnungsaussteller in Mischfällen zumindest eine anteilige Steuererstattung zu ermöglichen, ohne dass er die Rechnungen berichtigen muss. Eine Schätzung mit Augenmaß insbesondere im Massengeschäft der Kleinbetragsrechnungen, orientiert an den Kriterien des EuGH, wäre ein probater Weg. Aber auch bei Rechnungen mit überhöhtem Steuerausweis an Unternehmer ist eine Steuererstattung ohne Rechnungskorrektur nicht immer ausgeschlossen. Handelt der Rechnungssteller gutgläubig, so muss auch hier eine Steuererstattung ohne Berichtigungshandlung gegenüber dem Rechnungsempfänger möglich sein (vgl. hierzu KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 02 | 2024).

Ansprechpartner: 
 


Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Telefon: +49 89 217501275
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Stand: 11.08.2025