Umsatzsteuer Newsletter 57/2022
EuGH: Keine Steuerschuld durch Steuerausweis bei Rechnungen an Endverbraucher
Personen, die Umsatzsteuer in einer Rechnung unrichtig oder unberechtigt ausgewiesen haben (§ 14c UStG / Art. 203 MwStSystRL), können nun teilweise leichter einen Erstattungsanspruch ggü. ihrem Finanzamt geltend machen. Bisher musste der Rechnungsaussteller dafür die in § 14c UStG vorgesehenen Korrekturhandlungen vornehmen (u.a. Rechnungskorrektur). Abweichend davon hat der EuGH jetzt entschieden, dass es in manchen Fällen auf eine Korrekturhandlung nicht ankommt. Dazu muss feststehen, dass die ausgestellte Rechnung keine Gefahr des Vorsteuerabzugs beim Rechnungsempfänger begründet, weil dieser z.B. Endverbraucher ist. Rechnungsaussteller können sich die Aussagen des EuGH zunutze machen.
1 Hintergrund
Art. 203 MwStSystRL / § 14c UStG regeln, dass ein Rechnungsaussteller die Umsatzsteuer schuldet, die er zu Unrecht in einer Rechnung ausweist. § 14c UStG sieht in seinen beiden Absätzen verschiedene Korrekturmöglichkeiten vor. Zur erforderlichen Korrekturhandlung des Rechnungsausstellers gehört dabei u.a., dass er die ausgestellten Rechnungen berichtigt. Insbesondere bei Alltagsgeschäften mit Endverbrauchern ist eine Berichtigung jedoch häufig de facto ausgeschlossen, weil dem Rechnungssteller die Kontaktdaten seiner Kunden nicht vorliegen. In diesem Zusammenhang hatte sich das österreichische Bundesfinanzgericht (BFG) mit verschiedenen Fragen an den EuGH gewandt. Am 08.12.2022 veröffentlichte der EuGH nun sein Urteil (C 378/21 – P GmbH).
 
2 Sachverhalt
Die P-GmbH (= Klägerin) war Betreiberin eines Indoor-Spielplatzes. Ihre Kunden waren laut den Feststellungen des vorlegenden Gerichts im Streitjahr ausschließlich Endverbraucher, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt waren. Den Eintrittspreis stellte die Klägerin ihren Kunden unter Ausweis der österreichischen Umsatzsteuer von 20% in Rechnung. Tatsächlich war der Eintrittspreis aber zum ermäßigten Steuersatz von 13% zu versteuern. Die Klägerin berichtigte ihre Umsatzsteuererklärung und beantragte eine Steuererstattung. Das Finanzamt verweigerte seine Zustimmung. Es war der Auffassung, die Klägerin schulde die höhere Umsatzsteuer kraft Rechnungsstellung. Dies gelte zumindest so lange, bis sie ihre Rechnungen korrigiert habe. Dass die Kunden die Umsatzsteuer an die Klägerin gezahlt und damit wirtschaftlich getragen hatten, stünde einer Berichtigung der Umsatzsteuererklärung ebenfalls entgegen. Die Klägerin würde durch eine Steuererstattung nämlich ungerechtfertigt bereichert. Das BFG wandte sich hiermit an den EuGH. Es wollte beantwortet wissen, ob der Rechnungssteller die zu hoch ausgewiesene Umsatzsteuer auch dann schuldet, wenn eine Gefährdung des Steueraufkommens deshalb ausgeschlossen ist, weil die Rechnungsempfänger nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Endverbraucher waren. Geklärt werden sollte, ob eine Rechnungskorrektur und eine Rückzahlung an den Kunden unterbleiben können.
 
3 Entscheidungsgründe des EuGH
Der EuGH entschied, dass der Rechnungsaussteller die zu hoch ausgewiesene Umsatzsteuer nicht schulde, wenn er die Rechnungen ausschließlich an nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Endverbraucher ausgestellt hat. Seine Begründung hält der EuGH recht knapp. Wie er darin zunächst betont, habe er seine Entscheidung unter der Prämisse getroffen, dass die Kunden der Klägerin allesamt nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Endverbraucher waren. Das hatte das BFG festgestellt. Sinn und Zweck von Art. 203 MwStSystRL sei, der Gefährdung des Steueraufkommens entgegenzuwirken. Nur soweit eine solche Gefährdung vorliege, könne die Vorschrift ihrem Sinn und Zweck nach Anwendung finden. Wenn aber die Gefahr eines zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuerabzugs nicht vorliegt, weil die Rechnungsempfänger von vornherein nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, besteht auch keine abstrakte Gefährdung für das Steueraufkommen. Eine Steuerschuld nach Art. 203 MwStSystRL scheidet dann aus. Daher ist auch eine Berichtigung der Rechnungen nach Ansicht des EuGH nicht vonnöten.
 
4 Praxisfolgen
Die Entscheidung des EuGH hat Auswirkung auf die Anwendung des § 14c UStG. Die Steuerschuld entsteht nach § 14c Abs. 1 und Abs. 2 UStG auch dann, wenn im Einzelfall der Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist (z.B. in Fällen von Fernverkäufen, also bei Lieferungen an Endverbraucher). § 14c UStG ist insoweit strenger als das Unionsrecht und widerspricht diesem. Die Vorschrift muss entweder dahingehend unionsrechtskonform ausgelegt (teleologisch reduziert) werden, dass sich keine Steuerschuld ergibt, wenn feststeht, dass eine Steuergefährdung gar nicht eingetreten ist. Alternativ kann sich ein Rechnungsaussteller unmittelbar auf das für ihn günstigere Unionsrecht berufen. Folge ist, dass der Rechnungsaussteller keine Korrekturhandlung vornehmen muss: In Fällen des § 14c Abs. 1 muss er weder die Rechnungen berichtigen noch den zu viel vereinnahmten Steuerbetrag an den Rechnungsempfänger zurückzahlen. Denn nach der deutschen Rechtslage wird die Rückzahlung – wenn überhaupt – nur als eine Korrekturvoraussetzung des § 14c UStG gesehen. Wo aber nicht korrigiert werden muss, kann eine Rückzahlung auch keine Korrekturvoraussetzung sein. Auch in den Fällen des § 14c Abs. 2 UStG kommt es auf eine Rechnungskorrektur nicht mehr an. 
 
In zeitlicher Hinsicht wird dem Rechnungsaussteller der Erstattungsanspruch wohl für den Besteuerungszeitraum der Rechnungsausstellung zustehen, also gleichsam „rückwirkend“ mit der Folge, dass dem Rechnungsaussteller Erstattungszinsen nach § 233a AO zustehen. All das setzt jedoch voraus, dass keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt. In vielen Fällen werden neben Endverbrauchern auch Unternehmer zu den Rechnungsempfängern gehören. Dem Rechnungsaussteller wird der Nachweis fehlender Gefährdung also meist nur schwer gelingen. Hier könnte man eine Aufteilung durch Schätzung erwägen, wie es Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen vorgeschlagen hat. Alternativ könnte man über eine gestufte Beweislast nachdenken: Grundsätzlich trägt das Finanzamt die Feststellungslast für die Steuerentstehung. Teilt der Rechnungsaussteller dem Finanzamt entsprechend dem Gedanken des § 14c Abs. 2 Satz 3 – 5 UStG mit, an wen er welche Rechnung ausgestellt hat (bei Kleinbetragsrechnungen oft nicht möglich), so könnte das Finanzamt aufgrund der Sachnähe prüfen, ob die Rechnungsempfänger einen Vorsteuerabzug vorgenommen haben. Dies würde interessengerechte Ergebnisse ermöglichen. Letztlich ist der Gesetzgeber gefragt. Betroffene Rechnungsaussteller sollten zum Jahresende verjährungshemmende Maßnahmen erwägen.
 
Ansprechpartner:
 

 

Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Telefon: +49 89 217501275
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Stand: 20.12.2022