Umsatzsteuer Newsletter 31/2024
Der EuGH hat entschieden: Innenumsätze innerhalb der Organschaft sind nicht steuerbar
Der Beschluss, in welchem der BFH den EuGH fragte, ob Innenleistungen innerhalb der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft steuerbar sind, war ein Paukenschlag. Wäre der EuGH von der Steuerbarkeit ausgegangen, hätte die Organschaft ihren Sinn verloren. Doch der Generalanwalt am EuGH Rantos beruhigte mit seinem Schlussantrag in dem Verfahren die Nerven vieler Steuerpflichtiger vorläufig. Sehr zeitnah hat sich jetzt der EuGH selbst in seinem Urteil dem Generalanwalt angeschlossen. Auch er hält Innenleistungen für nicht steuerbar. Es bleibt zu hoffen, dass der BFH diese Sichtweise nunmehr ohne Wenn und Aber ebenfalls übernimmt.
Ein BFH-Verfahren, das für viel Wirbel gesorgt hat, neigt sich anscheinend dem Ende entgegen. In diesem ging es für alle Betroffenen um (fast) alles: zunächst für den Fiskus, da im Raum stand, dass Organträger in Deutschland gar nicht mehr besteuert werden dürfen (der BFH sprach von potenziellen Steuerverlusten i. H. v. EUR 234,8 Milliarden im Jahr 2018). Nachdem geklärt war, dass die grundsätzliche Konstruktion der deutschen Organschaft unionsrechtskonform ist, mussten die Steuerpflichtigen zittern, denn jetzt war fraglich, ob Innenleistungen (ggf. im Fall von Vorsteuerabzugsbeschränkungen der Beteiligten) steuerbar sind. Darauf hat der EuGH nunmehr eindeutig geantwortet. Aber der Reihe nach.
 
1 Sachverhalt
Eine Stiftung des öffentlichen Rechts erbrachte einerseits nicht steuerbare (hoheitliche) und andererseits steuerpflichtige Ausgangsumsätze. Die Stiftung war Organträgerin einer GmbH. Die GmbH erbrachte Reinigungsdienstleistungen in den unternehmerischen und in den nicht-unternehmerischen Bereich der Stiftung. Strittig ist, ob die Leistungen für den nicht-unternehmerischen Bereich der Umsatzsteuer unterliegen. 
 
Das erste EuGH-Verfahren zu diesem Rechtsstreit behandelte die Frage, ob der Organträger – wie vom deutschen Recht vorgesehen – der Steuerpflichtige sein kann oder ob der Organkreis als solcher der Steuerpflichtige sein muss. Insoweit bestätigte der EuGH die deutsche Auffassung, sodass die Organträger weiter als Steuerpflichtige herangezogen werden können. Daneben stellte der EuGH fest, dass es sich bei den Leistungen der GmbH in den nicht-unternehmerischen Bereich der Stiftung nicht um unentgeltliche Wertabgaben handelt. Unentgeltliche Wertabgaben in den nicht-wirtschaftlichen Bereich i.e. S. sieht die MwStSystRL nicht vor. 
 
Im Anschluss fragte der BFH den EuGH erneut. Diesmal wollte er wissen, ob die Leistungen der GmbH in den nicht-unternehmerischen Bereich der Stiftung, obwohl sie Innenleistungen innerhalb der Organschaft darstellen, vielleicht trotzdem steuerbar sind. Für den BFH sprach einiges dafür, dass derartige Innenleistungen steuerbar sind.
 
2 Urteil des EuGH v. 11.07.2024 – Rs. C-184/23 – Finanzamt T II
Das verhältnismäßig kurze EuGH-Urteil ist schnell zusammengefasst: Unabhängig davon, ob einer der Beteiligten Vorsteuerabzugsbeschränkungen unterliegt, sind Innenleistungen zwischen den Beteiligten eines Organkreises nicht steuerbar. Für die eigentliche Begründung benötigt der EuGH nur 20 Randnummern. Er folgert seine Rechtsauffassung aus dem Wortlaut der MwStSystRL und seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach die Mitglieder einer Organschaft einen einzigen Steuerpflichtigen bilden. Für diese Sichtweise sprechen auch die vom Generalanwalt bereits zitierte Leitlinie des Mehrwertsteuerausschusses sowie eine Mitteilung der Kommission. Das EuGH-Urteil, welches der BFH insbesondere zur Begründung seiner Fragestellung herangezogen hat, betraf dagegen eine ganz andere Fragestellung, weswegen die dortigen Ausführungen der Beantwortung der vorliegenden Frage laut EuGH nicht vorgreifen.
 
3 Praxisfolgen
Das Ergebnis ist weniger ein rechtliches als vielmehr ein tatsächliches: großes Aufatmen bei vielen Unternehmern. Dies gilt vor allem für Steuerpflichtige mit steuerfreien Ausgangsumsätzen wie z. B. Banken, Versicherungen und soziale Einrichtungen (Krankenhäuser, Altenheime usw.). In diesen Bereichen bestehen oftmals Organschaften. Insoweit wäre es im Fall von steuerbaren Innenleistungen zu Kostensteigerungen durch eine Belastung mit Umsatzsteuer gekommen. Materiell-rechtlich ändert sich durch das Urteil hingegen nichts, da die Innenleistungen schon bisher vollumfänglich als nicht steuerbar angesehen wurden. 
 
Für das konkrete Verfahren bedeutet dies nun hoffentlich, dass der BFH den „Deckel drauf macht“. Auch die Leistungen in den nicht-unternehmerischen Bereich sind als Innenleistungen nicht steuerbar. Allerdings kommt es für Eingangsleistungen, welche die GmbH für die Erbringung der Reinigungsleistungen bezogen hat (z. B. Reinigungsmittel), zum (anteiligen) Ausschluss des Vorsteuerabzugs. Diese Leistungsbezüge nutzt die Organschaft auch für ihre nicht steuerbaren Tätigkeiten.
 
Nachdem nunmehr alle EuGH-Verfahren im Bereich der Organschaft abgeschlossen sind, besteht weitergehende Klarheit. Neben der Frage zu den Innenleistungen haben EuGH und BFH zuletzt Folgendes entschieden: Deutschland darf den Organträger selbst als einzigen Steuerpflichtigen der Organschaft vorsehen. Die Organschaft umfasst neben dem unternehmerischen auch den nicht-unternehmerischen Bereich eines Beteiligten. Unentgeltliche Wertabgaben innerhalb der Organschaft an den nicht-unternehmerischen Bereich gibt es nicht. Personengesellschaften können Organgesellschaft sein, auch wenn der Organträger diese Organgesellschaft nicht zu 100 % beherrscht.
 
Einige der Entscheidungen des EuGH wird das BMF noch im UStAE umsetzen müssen (z. B. die Entscheidungen zum Umfang der Organschaft und zur Beteiligung von Personengesellschaften als Organgesellschaft). Schließlich bleibt noch ein wesentliches Thema anzugehen, wobei insoweit der Gesetzgeber gefordert ist: Immer wieder entstehen bei Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung Unsicherheiten, ob eine Organschaft vorliegt oder nicht. Oft stellt sich im Nachhinein heraus, dass eine Organschaft unentdeckt bestand oder unentdeckt entfallen ist. Es kommt zu ungewollten Steuernachzahlungen oder Steuerausfällen. Insoweit bleibt die Hoffnung bestehen, dass der Gesetzgeber sich dieses Themas (wieder) annimmt. Eine „Organschaft auf Antrag“ würde diese Rechtsunsicherheiten lösen.
 
Ansprechpartner:
 
 
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Tel.: +49 89 217501274
 
Stand: 15.07.2024