Umsatzsteuer Newsletter 25/2024
BFH sieht Reihengeschäft entgegen Finanzverwaltung auch bei gebrochener Beförderung / Versendung
Der BFH hat in seinem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 22.11.2023 entschieden, dass – entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung – auch bei „gebrochener“ Versendung ein Reihengeschäft vorliegt. Die Entscheidung betrifft die Rechtslage bis 2019, müsste aber auch darüber hinaus für die aktuelle Rechtslage analog anwendbar sein. Unternehmen sind sicher gut beraten, sich weiterhin an UStG und UStAE zu orientieren. Im Streitfall können die Feststellungen des BFH aber sehr hilfreich sein.
1 Hintergrund
Bei Lieferungen mit mehreren Beteiligten stellt sich grundsätzlich die Frage, ob ein Reihengeschäft vorliegt, und wenn ja, welcher Lieferung die Warenbewegung zuzuordnen ist. Ein Reihengeschäft setzt voraus, dass der Gegenstand unmittelbar vom ersten Lieferer zum letzten Abnehmer gelangt. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist ein unmittelbares Gelangen dann nicht gegeben, wenn die Beförderung oder Versendung durch mehrere Beteiligte erfolgt (sog. „gebrochene“ Beförderung oder Versendung, Abschn. 3.14 Abs. 4 Satz 1 UStAE, BMF-Schreiben v. 23.04.2023). 
 
2 BFH-Beschluss vom 22.11.2023 (XI R 1/20)
Mit dem am 25.04.2024 veröffentlichten Beschluss hat der BFH für ein Reihengeschäft mit drei Parteien gemäß dem bis 31.12.2019 geltenden („alten“) Recht entschieden:
  • Für die Zuordnung der Warenbewegung ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls maßgeblich, ob der Ersterwerber dem Zweiterwerber die Verfügungsmacht im Inland übertragen hat.
  • Ein ordnungsgemäß ausgestellter und unterzeichneter Frachtbrief erbringt keinen Beweis darüber, ob der Ersterwerber dem Zweiterwerber Verfügungsmacht im Inland übertragen hat.
  • Ob eine „gebrochene“ Versendung vorliegt, spielt für die Frage, ob der Ersterwerber dem Zweiterwerber die Verfügungsmacht im Inland übertragen hat, keine Rolle.
Hinsichtlich der Zuordnung der Warenbewegung ist der Beschluss nicht überraschend. Er wiederholt die Rechtsprechung des EuGH und die darauf aufbauende Rechtsprechung des BFH zum „alten“ Recht. Besonders interessant und vielleicht auch für das seit 01.01.2020 geltende („neue“) Recht relevant sind aber die Ausführungen zur „gebrochenen“ Versendung. 
 
3 Reihengeschäft trotz gebrochener Versendung – bis 2019
Im Streitfall wurden die Gegenstände von Deutschland zunächst in ein Spediteurslager in den Niederlanden transportiert und von dort nach Kasachstan. Wer welchen Transportabschnitt beauftragt hatte, war dabei nicht eindeutig geklärt. Laut BFH kam es hierauf aber auch nicht an. Auch im Fall einer „gebrochenen“ Versendung läge ein Reihengeschäft vor. Unabhängig von einer ggf. fraktionierten Transportverantwortung verschaffte nach Überzeugung des BFH der Ersterwerber dem Zweiterwerber die Verfügungsmacht bereits im Inland. Die bewegte Lieferung erfolgte daher im Verhältnis Ersterwerber an Zweiterwerber. Für den BFH war auch die vorübergehende Einlagerung im Spediteurslager vor dem Weitertransport nach Kasachstan irrelevant, weil diese nur zu einer unschädlichen kurzen Unterbrechung des Transports führte. 
 
4 Gebrochener Transport auch nach 2019 weiterhin unschädlich?
Das unmittelbare Gelangen vom ersten Lieferer zum letzten Abnehmer ist sowohl nach „altem“ als auch nach „neuem“ Recht Voraussetzung für ein Reihengeschäft. Am Wortlaut der Definition in dem am 01.01.2020 in Kraft getretenen § 3 Abs. 6a Satz 1 UStG hat sich jedenfalls gegenüber dem bis 2019 geltenden § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG nichts geändert. Liegt nun laut BFH nach „altem“ Recht entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung ein Reihengeschäft vor, selbst wenn einzelne Transportabschnitte von unterschiedlichen Beteiligten beauftragt bzw. durchgeführt werden, müsste dies eigentlich auch für das „neue“ Recht gelten. Es muss nur eine einheitliche und nicht in schädlicher Weise unterbrochene Beförderung bzw. Versendung erfolgen (im Sinne der BFH-Urteile vom 16.11.2016 – V R 1/16 und vom 11.03.2020 – XI R 7/18).
 
5 Folgefrage: Zuordnung der Warenbewegung
Wenn also ein Reihengeschäft laut BFH bei „gebrochener“ Beförderung oder Versendung möglich ist, schließt sich die Folgefrage an, wie man in einem solchen Fall die bewegte Lieferung zuordnet. Das deutsche UStG stellt auf die Transportverantwortung beim ersten Lieferer, Zwischenhändler oder letzten Abnehmer ab. Die Möglichkeit der fraktionierten Transportverantwortung sieht das UStG aber nicht vor, ebenso wenig tut es die MwStSystRL. Wie der BFH nun bestätigt hat, kommt es für das „alte“ Recht nach der EuGH-Rechtsprechung ohnehin nur darauf an, wo die Verfügungsmacht vom Ersterwerber auf den Zweiterwerber übertragen wird, und nicht auf den Transportauftrag allein. Die noch offene Frage wäre, ob auch für das seit 2020 geltende „neue“ Recht auf die Verschaffung der Verfügungsmacht abzustellen ist, wenn es mehrere Transportaufträge gibt (und trotzdem ein Reihengeschäft vorliegt). Die vom BFH zitierte EuGH-Rechtsprechung könnte jedenfalls fortgelten, weil mit der Einführung des Art. 36a MwStSystRL zum 01.01.2020 nur der spezielle Fall eines Reihengeschäfts geregelt worden ist, in dem der Zwischenhändler die Gegenstände befördert oder versendet. Die MwStSystRL regelt aber (entgegen dem UStG) weiterhin nicht, wie die Warenbewegung zuzuordnen ist, wenn der erste Lieferer oder der letzte Abnehmer den Transport verantwortet. Hierzu bedarf es aber wohl erst einer Ansage des EuGH.
 
6 Auswirkungen auf die Praxis 
Es ist kaum davon auszugehen, dass der UStAE oder gar das UStG aufgrund dieses BFH-Beschlusses geändert werden. Für das tägliche Geschäft wird also alles beim Alten bleiben. Die Unternehmen sollten sich am UStG und am UStAE orientieren. Damit haben sie eine gewisse Rechtssicherheit. Zu beachten ist nur weiterhin, dass für Reihengeschäfte innerhalb der EU auch immer die ggf. abweichende Sichtweise anderer betroffener Mitgliedstaaten zu berücksichtigen ist. 
 
Unternehmen, die sich mit dem Finanzamt über die Behandlung von Reihengeschäften streiten, könnten jedoch mit den im Widerspruch zu UStG und UStAE stehenden Feststellungen des BFH argumentieren, sofern in der jeweiligen Frage hilfreich. Und das wäre sowohl für die „alte“ wie auch für die „neue“ Rechtslage denkbar, zumindest so lange, wie der EuGH sich noch nicht anderweitig geäußert hat. Einschränkungen gibt es ggf. nur für die in Art. 36a MwStSystRL geregelten Fälle. 
 
Ansprechpartner:
 
 
Dipl.-Finanzwirt (FH), Steuerberater
Tel.: +49 89 217501250
 
Stand: 22.05.2024