1 Hintergrund
Viele Ärzte und insbesondere Privatkliniken kennen die Problematik: „Mit Umsatzsteuer oder ohne?“. Handelt es sich um eine Heilbehandlung oder nicht? Liegen die Voraussetzungen der Steuerbefreiung vor, wenn eine Privatklinik eine Heilbehandlungsleistung erbringt? Privatkliniken sind Krankenhäuser, die zwar eine Zulassung nach § 30 GewO besitzen, aber keine Möglichkeit zur Abrechnung gegenüber gesetzlichen Krankenkassen haben.
2 Die bisherige Rechtsprechung zur Steuerbefreiung von Privatkliniken
Gerade im Bereich der Privatkliniken war in den letzten Jahren in der Rechtsprechung ordentlich was los. Es ging dabei jeweils um Streitjahre zwischen 2009 und 2019. In dieser Zeit hatte das UStG keine Steuerbefreiung für Privatkliniken vorgesehen. Laut MwStSystRL wäre dies aber zwingend notwendig gewesen. Daher konnten sich Privatkliniken unmittelbar auf die Steuerbefreiung nach dem Unionsrecht berufen. Voraussetzung dafür war insbesondere, dass die Privatklinik ihre Leistungen unter Bedingungen erbringt, die sozial vergleichbar mit den Bedingungen sind, unter denen öffentlich-rechtliche Krankenhäuser ihre Leistung erbringen. Was das im Detail meint, ist bis heute unklar. Die vom BFH gefundene Auslegung haben zuletzt vor allem die Finanzgerichte aus Niedersachsen und München in Frage gestellt (in beiden Verfahren sind wiederum Revisionen anhängig). Dabei hatte das Niedersächsische Finanzgericht vorab sogar den EuGH gefragt.
Seit dem Jahr 2020 gibt es zwar eine Norm im UStG, welche die Steuerbefreiung von Privatkliniken regelt. Klar ist die Rechtslage damit aber nicht. Viele Fragen blieben offen, z. B., ob die Regelung überhaupt unionsrechtskonform ist oder wie die einzelnen Tatbestandsmerkmale auszulegen sind. Das aktuelle Urteil des BFH geht auf eine weitere umsatzsteuerrechtliche Facette im Bereich der Heilbehandlungen in Privatkliniken ein.
3 Sachverhalt BFH, Urt. v. 19.12.2024 – V R 10/22
Die klagende GmbH erbrachte im Jahr 2009 gegenüber ihren Patienten Behandlungen im Bereich der ästhetisch-plastischen Chirurgie bei stationärem Aufenthalt. Finanzamt und Klägerin hatten sich im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung geeinigt, in welchem prozentualen Umfang diese Behandlungen Heilbehandlungen darstellten. Die Klägerin führte ihre Sprechstunden und Operationen jeweils mit einem eigenen Arzt (ihrem Geschäftsführer) in den Räumen eines von drei verschiedenen Krankenhäusern durch. Die „Krankenhausleistung“ rechnete die Klägerin den Patienten gegenüber insgesamt in einer Rechnung ab. Die Klägerin musste allerdings an den Betreiber des Krankenhauses für dessen Leistungen (Aufenthalt, Anästhesie, ärztlicher Bereitschaftsdienst usw.) Entgelte entrichten.
4 Entscheidung des BFH
Ob die Krankenhausbehandlung als solche steuerfrei ist, ließ das Finanzgericht offen. Auch der BFH griff die Frage nicht auf. Er bestätigt aber, dass eine GmbH ärztliche Heilbehandlungsleistungen erbringen kann. Dies entspricht der bisherigen EuGH- und BFH-Rechtsprechung, ebenso wie die Aussage, dass ärztliche Heilbehandlungen steuerfrei sein können, auch wenn sie bei einer Behandlung in einem von einem anderen Steuerpflichtigen betriebenen Krankenhaus erbracht werden. Was aber gilt, wenn ein und derselbe Steuerpflichtige sowohl die Heilbehandlung als auch die weiteren Bestandteile der Krankenhausbehandlung (Aufenthalt, Pflege usw.) erbringt? Um dieses Grundproblem dreht sich das BFH-Urteil.
Die Entscheidung des BFH führt dabei zurück zu den Wurzeln des Umsatzsteuerrechts. Der BFH gibt dem Finanzgericht auf zu prüfen, was der genaue Gegenstand der Leistung ist. Im Ergebnis kritisiert der BFH in seiner Entscheidung, dass das Finanzgericht einen Leistungsbestandteil – nämlich das Element des Aufenthalts und der Verpflegung – unter den Tisch fallen ließ. Das Finanzgericht muss daher prüfen, ob die Klägerin zwei Elemente (Heilbehandlung + Krankenhausaufenthalt) einer einheitlichen Leistung erbringt oder ob es sich bei den beiden Elementen um zwei Leistungen handelt. Sind es zwei Leistungen, wäre die Heilbehandlung steuerfrei. Die andere Leistung in Form des Aufenthalts wäre steuerpflichtig. Damit wäre i. E. ein Teil des Entgelts der Klägerin steuerfrei. Handelt es sich hingegen um eine einheitliche Leistung, ist diese insgesamt vollständig steuerfrei oder vollständig steuerpflichtig.
5 Praxisfolgen
Oftmals geht die Finanzverwaltung davon aus, dass Privatkliniken die jeweiligen Anforderungen der Steuerbefreiung für Krankenhausleistungen nicht erfüllen. Für Privatkliniken können die Überlegungen des vorliegenden Verfahrens einen weiteren Weg zur (zumindest teilweisen) Steuerbefreiung ihrer Leistungen aufzeigen. Bis 31.12.2008 war eine solche Aufteilung sogar gesetzlich entsprechend vorgesehen. Diese ehemalige gesetzliche Regelung könnte daher durch die Rechtsprechung eine Renaissance erfahren oder sogar ausgeweitet werden. Ob eine einheitliche Leistung vorliegt und ob diese steuerfrei oder steuerpflichtig ist, muss anhand der Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Handelt es sich um mehrere Leistungen, stellt sich die (ebenfalls einzelfallabhängig zu beantwortende) Anschlussfrage, welcher Anteil des regelmäßig in einer Summe abgerechneten Entgelts auf die Heilbehandlung entfällt.
Aktuell laufen bei vielen Privatkliniken noch Betriebsprüfungen zu lange zurückliegenden Veranlagungszeiträumen. Vielfach steht in Streit, ob die Voraussetzungen der Steuerbefreiung für Privatkliniken vorliegen oder nicht. Auch die Finanzverwaltung weiß nicht so recht, wie mit diesen Fällen umzugehen ist. Die Kriterien des BMF und der Rechtsprechung sind schlicht unklar und widersprüchlich. Daher könnte die Aufteilung in zwei Leistungen, von denen eine steuerfrei ist, ggf. eine Kompromisslösung sein. Es ist aber auch Vorsicht geboten, denn infolge der sodann erheblichen steuerfreien Umsätze ergeben sich an anderer Stelle wieder Nachteile (Vorsteuerabzug, Option bei Anmietung, zivilrechtliche Ansprüche, …).
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Stand: 23.04.2025