Umsatzsteuer Newsletter 10/2021
Umsatzsteuer auch auf ausgesonderte Ware?
Das BMF nimmt ausführlich zu der Frage Stellung, wie Sachspenden an gemeinnützige Einrichtungen umsatzsteuerrechtlich zu behandeln sind. Die Finanzverwaltung will dabei zwischen nicht mehr verkehrsfähigen, eingeschränkt verkehrsfähigen und verkehrsfähigen Gegenständen unterscheiden und die Bemessungsgrundlage danach bestimmen. Dieser Ansatz ist streitanfällig. Besser wäre es gewesen, den Tatbestand der unentgeltlichen Wertabgabe von vornherein zu verneinen.
1 Die Sachspende im Steuerrecht
Von dem ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann stammt der Satz: „Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den schwächsten ihrer Glieder verfährt.“ Was bedeutet diese Aussage aber in der Umsatzsteuer? 
 
Diese Frage stellt sich immer wieder, wenn Unternehmer an gemeinnützige Organisationen wie z. B. Tafeln Lebensmittel spenden oder andere Gegenstände abgeben möchten, die aus logistischen oder wirtschaftlichen Gründen bereits ausgesondert wurden. Für den Unternehmer haben sie keinen echten Wert mehr. Er möchte sie unentgeltlich für einen guten Zweck abgeben. Und exakt in diesem Moment droht die Steuerkeule zuzuschlagen. Weniger in der Ertragsteuer, denn dort besteht bei Sachspenden aus dem Betriebsvermögen das sog. Buchwertprivileg nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 4 EStG. Es kommt zu keiner Aufdeckung etwaiger stiller Reserven. Umsatzsteuerrechtlich stellt sich dies jedoch anders dar.
 
2 Das umsatzsteuerrechtliche Problem
Nur der Leistungsaustausch unterliegt der Umsatzsteuer. Spenden erfolgen jedoch ohne Entgelt. Daher kommt es zunächst nicht zu einem steuerbaren Leistungsaustausch. Das Umsatzsteuergesetz kennt aber noch die Fiktion eines Leistungsaustausches in Form der unentgeltlichen Wertabgabe. Werden Sachspenden geleistet, so stellt sich deshalb die Frage nach dem Tatbestand des § 3 Abs. 1b UStG und nach dessen Bemessungsgrundlage. Auf Druck zahlreicher Wohlfahrtsverbände hat das Bundesfinanzministerium (BMF) nun versucht, für die Problematik eine Lösung zu finden. Dies war kein leichtes Unterfangen, denn schließlich bestimmt sich die Bemessungsgrundlage einer Sachspende bisher nicht nach den ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten, sondern nach dem fiktiven Einkaufspreis im Zeitpunkt der Spende. Das gilt auch für im Unternehmen selbst hergestellte Gegenstände.
 
3 Der Lösungsansatz der Finanzverwaltung
Zunächst verweist das BMF darauf, dass sich das Problem mit der Bemessungsgrundlage nicht stellen würde, wenn die Waren oder Gegenstände statt als kostenlose Spenden zu einem sehr geringen Preis abgegeben würden. Dies ist richtig, jedoch keine Lösung des Problems. Denn derjenige, der etwas Gutes tun möchte, will sich das nicht bezahlen lassen. Das BMF sieht den Lösungsansatz deshalb in der Auslegung des sog. „fiktiven Einkaufspreises“. Die Finanzverwaltung will hierfür zwischen verkehrsfähigen und eingeschränkt verkehrsfähigen Waren und Lebensmitteln unterscheiden:
 
 
Ärgerlich ist, dass die Finanzverwaltung die Sachspende von Neuware als verkehrsfähige Ware einstuft, die mit dem fiktiven Einkaufspreis zu bewerten ist. Denn eine eingeschränkte Verkehrsfähigkeit liegt nach dem BMF nicht vor, wenn „Neuware ohne jegliche Beeinträchtigung aus wirtschaftlichen oder logistischen Gründen aus dem Warenverkehr ausgesondert wird“. Das soll selbst dann gelten, wenn diese Neuware sonst vernichtet werden würde. Abweichungen von dieser Regel soll es für Einzelhändler nur in Corona-Zeiten geben: Für Sachspenden zwischen 1.3.2020 und 31.12.2021 wird ausnahmsweise auf die Besteuerung verzichtet, wenn Einzelhändler wirtschaftlich erheblich von der Corona-Krise getroffen sind. 
 
4 Die eigene Bewertung
Die Ansätze des BMF werden in einigen Fallkonstellationen helfen und man wird die Bemessungsgrundlage von 0 EUR annehmen können. In vielen Fällen wird man ggf. auch zu einer geminderten Bemessungsgrundlage gelangen. Damit ist aber der Steuerstreit vorprogrammiert, da unklar ist, wie dieser geminderte Wert bestimmt werden soll. Die Folge wird sein, dass Sachspenden damit in den meisten Fällen unterbleiben. Denn welcher Unternehmer will etwas Gutes tun und dafür Jahre später mit Umsatzsteuernachforderungen konfrontiert sein?
Nach meinem Dafürhalten wäre es deshalb besser gewesen, die Lösung nicht über die Frage der Bemessungsgrundlage zu suchen, sondern den Tatbestand der unentgeltlichen Wertabgabe einschränkend auszulegen. Eine unentgeltliche Wertabgabe im Sinne von Art. 16 MwStSystRL liegt nämlich dann nicht vor, wenn ein unversteuerter Letztverbrauch nicht droht. Der deutsche Tatbestand des § 3 Abs. 1b UStG ist deshalb richtlinienkonform auszulegen. Dies ist auch ganz auf der Linie des EuGH (vgl. dazu EuGH, Urt. v. 16.09.2020, Rz. 66, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie, vgl. auch KMLZ Umsatzsteuer-Newsletter 52 | 2020). Denn ein unversteuerter Letztverbrauch droht doch gerade nicht, wenn die Sachspende an eine gemeinnützige Einrichtung geht und dort an bedürftige Menschen ausgegeben wird. Es fehlt in diesen Fällen an einem konkret identifizierbaren Leistungsempfänger. Dass der Vorteil möglicherweise final der Personengruppe der hilfsbedürftigen Menschen, den „schwächsten Gliedern“, zugutekommt, reicht für die Annahme der unentgeltlichen Wertabgabe jedenfalls nicht aus – ganz im Sinne von Gustav Heinemann.
 
Ansprechpartner:
 
 
Prof. Dr. Thomas Küffner
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht,
Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
Tel.: +49 89 217501230
 
Stand: 25.03.2021