Umsatzsteuer Newsletter 07/2024
Vorsteuerabzug bei Erschließungsanlagen: BMF reagiert mit Nichtanwendungserlass
Die höchstrichterliche Rechtsprechung des EuGH und des BFH hat Hoffnung auf den Vorsteuerabzug beim Bau von sog. Erschließungsanlagen gegeben. Nun hat die deutsche Finanzverwaltung mit einem BMF-Schreiben reagiert und die Hoffnung weitgehend zunichtegemacht. Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass die Finanzverwaltung hier falsch liegt.
1 Hintergrund
Will ein Bauunternehmer ein Gebiet einer (steuerpflichtigen) Tätigkeit (in Form einer Nutzbarmachung) zuführen, so ist er auf das Wohlwollen der Kommune angewiesen. Die Kommune macht die Erschließung des Baugebiets deshalb nicht selten zur Bedingung. Der Bauunternehmer muss die erstellten Erschließungsanlagen (z. B. Straßen) sodann unentgeltlich der Kommune überlassen. In diesem Zusammenhang ergibt sich immer die Frage: Hat der Unternehmer den Vorsteuerabzug? Dafür spricht die Tatsache, dass er anderenfalls nicht seine wirtschaftliche Tätigkeit entfalten kann. Dagegen spricht der Umstand, dass er die Erschließungsanlagen final unentgeltlich der Kommune zukommen lassen muss. Weiter ist jeweils zu klären, ob im Fall des Vorsteuerabzugs nicht eine unentgeltliche Wertabgabe versteuert werden muss.
 
Vor diesem Hintergrund erscheint es nur folgerichtig, dass die umsatzsteuerliche Behandlung von Erschließungsmaßnahmen seit langem umstritten ist. Während im Jahr 2011 der BFH feststellte, dass einem Unternehmer kein Vorsteuerabzug aus dem Bau einer Erschließungsanlage zusteht, wenn diese später unentgeltlich einer Gemeinde zugewendet wird, hat der BFH sich im Jahr 2020 dank eines Urteils des EuGH vom 16.09.2020 (C-528/19) wieder von seiner restriktiven Rechtsprechung bezüglich des Vorsteuerabzugs bei Erschließungsmaßnahmen abgewendet.
 
In der Rechtssache Mitteldeutsche Hartstein-Industrie stellte der EuGH fest, dass dem Steuerpflichtigen aus den Kosten für den Ausbau einer Straße zum Betrieb eines Kalksteinbruches der Vorsteuerabzug zusteht. Auch die Versteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe kann unterbleiben. Nachdem die Finanzverwaltung bis dahin immer der restriktiven Rechtsprechung des BFH im Jahr 2011 gefolgt war, wartete man nun gespannt auf die Kehrtwende. Das BMF-Schreiben vom 24.01.2024 kam, die Kehrtwende aber blieb aus. 
 
2 Rechtsprechung
Nach dem EuGH-Urteil in der Rechtssache Mitteldeutsche Hartstein-Industrie ruderte der BFH von seinem früheren Rechtsprechungskurs zurück: Während der BFH für den Vorsteuerabzug früher einen unmittelbaren Zusammenhang der Eingangsleistungen zu steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen forderte, akzeptiert er nun auch einen mittelbaren Zusammenhang. Und: Eine unentgeltliche Wertabgabe ist gemäß der EuGH-Rechtsprechung dann nicht zu versteuern, wenn kein unversteuerter Endverbrauch droht. Der BFH hat vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils schließlich eine unionsrechtskonforme Reduktion der deutschen Regelung zur unentgeltlichen Wertabgabe im Sinne von § 3 Abs. 1b Nr. 3 UStG vorgenommen. Solange kein unversteuerter Letztverbrauch droht, bleibt kein Bereich für die Umsatzsteuer. Wenn also die Eingangsleistung für das Unternehmen erforderlich bzw. unerlässlich ist und die Kosten (kalkulatorisch) in den Preis der getätigten Ausgangsumsätze einfließen, kann die Besteuerung in Form einer unentgeltlichen Wertabgabe entfallen. Etwaige Vorteile für die Allgemeinheit sind dann nebensächliche Reflexe, die keine Versteuerung bedingen. Dies entspricht auch der Logik, da die Eingangsleistung ja gerade in die besteuerten Umsätze mit einfließt.
 
3 BMF-Schreiben v. 24.01.2024
So weit, so gut. Nun aber die Finanzverwaltung: Mit dem BMF-Schreiben v. 24.01.2024 reagierte sie in unerwarteter Weise auf die neue Rechtsprechung. Das BMF betont, dass es keinen Änderungsbedarf bei dem alten BMF-Schreiben aus dem Jahr 2012 zu Erschließungsanlagen sieht, weil in den dort genannten Fällen im Regelfall die unentgeltliche Weitergabe von Leistungen zu einem unversteuerten Endverbrauch führen würde. Im Endeffekt wird also alles an der von der Rechtsprechung entwickelten Einschränkung der „Unerlässlichkeit“ festgemacht. Der Bezug einer Leistung ist insbesondere dann erforderlich bzw. unerlässlich, wenn der Unternehmer seine wirtschaftliche Tätigkeit ohne Ausführung dieser Leistung nicht ausüben oder fortführen könnte. Anders formuliert: Es ist keine Unerlässlichkeit gegeben, wenn ein Vorteil für die Gemeinde oder Allgemeinheit im Raum steht, der nicht nur nebensächlich ist. Folge ist, dass der Vorsteuerabzug zu versagen wäre. Die primären Interessen eines Unternehmens müssten dann in den Hintergrund treten. Dies gilt nach dem BMF selbst dann, wenn der Unternehmer die Erschließungsanlage aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung (wie z. B. einer behördlichen Auflage) errichtet. Vor diesem Hintergrund stellt das BMF-Schreiben vom 24.01.2024 nichts anderes als einen sog. versteckten Nichtanwendungserlass dar.
 
4 Bewertung
Ich halte dieses BMF-Schreiben für viel zu eng. Dass die Allgemeinheit (auch) einen Vorteil hat, sagt nichts darüber aus, ob der Bau einer Erschließungsanlage für den Unternehmer unerlässlich ist oder nicht. Wenn ein Bauunternehmer in einem Erschließungsgebiet ohne die Errichtung von Erschließungsanlagen nicht bauen kann, ist der Bau der Erschließungsanlagen selbstverständlich unerlässlich. Das letzte Wort ist hier definitiv noch nicht gesprochen. Die Fälle sind offenzuhalten und einer gerichtlichen Klärung zuzuführen. Die Chancen stehen nicht schlecht. Dies zeigt auch die jüngere Rechtsprechung. So hat das FG Münster in einem kürzlich entschiedenen Fall hervorgehoben, dass der Vorteil für die Allgemeinheit aus den dort gegenständlichen Erschließungsmaßnahmen bestenfalls nebensächlich sei. 
 
Deshalb bleibt nur das Fazit: Wir kämpfen weiter für die Neutralität der Umsatzsteuer. Unternehmer dürfen nicht mit Umsatzsteuer belastet sein, solange sie Aufwendungen für ihr Unternehmen tätigen. Wenn später die Allgemeinheit profitiert, kann und darf dies dem Unternehmer nicht zum Nachteil gereichen.
 
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Stand: 06.02.2024