Umsatzsteuer Newsletter 09/2022
BFH folgt EuGH: Keine Steuerbefreiung für Schwimmunterricht
Der BFH ändert seine bisherige Rechtsprechung und gestattet fortan keine Umsatzsteuerbefreiung für Schwimmunterricht. Er folgt damit erwartungsgemäß der EuGH-Entscheidung Dubrovin & Tröger GbR – Aquatics (C-373/19). Demzufolge ist der Anwendungsbereich der Steuerbefreiung für Bildungsleistungen stark eingeschränkt. Zugleich gibt der BFH jedoch wertvolle Hinweise, wie auch in Zukunft ohne Umsatzsteuer abgerechnet werden könnte. Alle Bildungsanbieter sind von der Entscheidung betroffen und sollten die umsatzsteuerliche Würdigung ihrer Kurse und Veranstaltungen hinterfragen.
1 Hintergrund
Über Jahre wurden die Steuerbefreiungen für Bildungsleistungen durch den EuGH und die deutschen Finanzgerichte weit interpretiert. Das Pendel schlug mit der Entscheidung des EuGH in der Rs. A & G Fahrschul-Akademie (C-449/17) zurück. Der EuGH legte hier eine deutlich strengere Definition des in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL genannten Begriffs „Schul- und Hochschulunterricht“ zugrunde. Infolgedessen bat der BFH den EuGH um Vorabentscheidung, ob Schwimmunterricht – wie zuvor durch den BFH angenommen – noch von der Umsatzsteuer zu befreien ist.
 
Der EuGH verneinte in der Rs. Dubrovin & Tröger GbR – Aquatics (C-373/19) die Steuerbefreiung von Schwimmunterricht (vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 33 | 2021). Beim Schwimmunterricht handle es sich um einen spezialisierten und punktuell erteilten Unterricht, der für sich allein nicht den Kriterien entspreche, wie sie für den „Schul- und Hochschulunterricht“ charakteristisch sind: Schwimmunterricht diene nämlich nicht der Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen.
 
2 BFH-Folgeentscheidung vom 16. Dezember 2021 (V R 31/21)
Der BFH schließt sich der Auffassung des EuGH an und verneint die Anwendung der unionsrechtlichen Steuerbefreiungen für Schwimmunterricht. Ein unmittelbares Berufen auf die Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL scheidet aus. Der BFH ändert damit seine bisherige Rechtsprechung (Urt. v. 05.06.2014 – V R 19/13).
 
Das Gericht stellt ferner klar, dass die Steuerfreiheit im Urteilsfall auch nicht anderweitig abgeleitet werden konnte:
  • Für die nationale Befreiung des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG fehlte es an der Bescheinigung der Landesbehörde, dass die Schwimmkurse auf eine Prüfung, die vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegen ist, ordnungsgemäß vorbereiten. Dies sei bei Schwimmkursen aber denkbar.
  • Für eine Anwendung von § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG fehlte es der Schwimmschule bereits an der unternehmerbezogenen Voraussetzung.
  • Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL umfasst neben dem Schul- und Hochschulunterricht auch die Aus- und Fortbildung sowie die berufliche Umschulung. Vor diesem Hintergrund hat der BFH entschieden, dass Kurse eines Ballett- und Tanzstudios steuerfrei sind, wenngleich lediglich zwei Prozent der Teilnehmer eine entsprechende Berufsausbildung anstrebten. Im Streitfall fehlte es an solchen Kursteilnehmern jedoch gänzlich.
 
3 Auswirkungen auf die Praxis
Der BFH hatte mit guten Argumenten versucht, die Steuerbefreiung für Schwimmunterricht aufrechtzuerhalten. Leider ist der EuGH dem nicht gefolgt, so dass dem BFH nun nichts anderes übrig blieb, als seine begünstigende Rechtsprechung zu verwerfen. Diese Kehrtwende führt zu weitreichenden Änderungen bei den Steuerbefreiungen für Bildungsleistungen.
 
Schwimmschulen können sich nicht mehr unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL berufen, jedenfalls nicht unter Zugrundelegung von „Schul- und Hochschulunterricht“. Der Vertrauensschutz nach § 176 AO endet mit der Bekanntgabe des BFH-Urteils. Ein Rettungsanker kann jedoch im beruflichen Bezug liegen. Werden die Kurse auch nur von einem Bruchteil der Teilnehmer beruflich genutzt, könnte die Steuerbefreiung weiterhin Anwendung finden.
 
Andere allgemein bildende Einrichtungen i. S. von § 4 Nr. 21 UStG sind von der Entscheidung nicht unmittelbar betroffen. Das Urteil könnte aber dazu führen, dass die finanzgerichtliche Rechtsprechung zu Sprachschulen, Tanz- und Musikschulen etc. reihenweise hin zur Steuerpflicht derartiger Leistungen kippt. Auch hier könnte ein beruflicher Bezug der Ausweg aus der drohenden Umsatzsteuerpflicht sein.
 
Die Entscheidung betrifft ferner unmittelbar die in § 4 Nr. 22 UStG genannten Bildungsanbieter – juristische Personen des öffentlichen Rechts, Volkshochschulen, Einrichtungen ohne Gewinnstreben etc. Die begünstigten „Vorträge, Kurse und anderen Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art“ sind richtlinienkonform auszulegen als „Schul- und Hochschulunterricht“. Das enge Verständnis von EuGH und BFH wirkt daher unmittelbar und schränkt die nationale Befreiungsnorm ein. In manchen Fällen ist wegen Abschn. 4.22.1 Abs. 4 UStAE Vertrauensschutz zu gewähren. Vor der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts könnte eine Bescheinigung i. S. d. § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG schützen. Bisher benötigten die in § 4 Nr. 22 UStG genannten Bildungsanbieter diese Bescheinigung nicht.
 
Auch Dozenten an Bildungseinrichtungen sind betroffen. Entfällt die Steuerbefreiung für die Einrichtung nach § 4 Nr. 21 UStG, sind auch die Leistungen der freien Dozenten steuerpflichtig. Selbständige Lehrkräfte an in § 4 Nr. 22 UStG genannten Einrichtungen mussten sich mangels Befreiung nach nationalem UStG bisher unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL berufen. Infolge der geänderten Rechtsprechung wird dies kaum mehr möglich sein.
 
Das Urteil und seine Folgen zeigen eindrucksvoll, dass die nationalen Umsatzsteuerbefreiungen im Bildungsbereich einer Reform bedürfen. Hier ist nun die Politik gefragt. Im aktuellen Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Die Umsatzsteuerbefreiung für gemeinwohlorientierte Bildungsdienstleistungen wollen wir europarechtskonform beibehalten.“ Nun ist der Zeitpunkt gekommen. Berlin, bitte übernehmen!
 

Dr. Markus Müller, LL.M.
Steuerberater, Dipl.-Finanzwirt (FH)
Tel: +49 211 54 095 387
E-Mail: markus.mueller@kmlz.de
 

Stand: 16.03.2022