Umsatzsteuer Newsletter 09/2013
Vorsteuerabzug: Anwendung der neuen unternehmerfreundlichen EuGH-Rechtsprechung durch den BFH bleibt weiter ungeklärt
Der BFH hatte in seinem Beschluss vom 18.02.2013 einen in der Praxis häufig vorkommenden Sachverhalt zu entscheiden: Die Finanzbehörden versagten der Klägerin K den Vorsteuerabzug hinsichtlich von ihr bezogener Waren u. a. mit dem Argument der vermeintlichen Einbeziehung in einen Umsatzsteuerbetrug. Obwohl K ausdrücklich die neue Rechtsprechung des EuGH zum Vorsteuerabzug anführte, konnte der BFH hierauf infolge von Versäumnissen von K in der ersten Instanz nicht eingehen.


1. Sachverhalt und Verfahrensgang

Die Klägerin K bezog im Jahr 2002 von der B-GmbH im Zuge von 33 Einzellieferungen Prozessoren im Gesamtwert von netto rund EUR 8.250.000,00 und veräußerte diese an eine malaysische Firma weiter. K beauftragte einen Spediteur mit der Abholung der Ware bei der B-GmbH sowie der Versendung an den malaysischen Abnehmer, so dass die Ware nicht in die Geschäftsräume von K gelangte. Gegen Verantwortliche der B-GmbH wurden Strafverfahren wegen Umsatzsteuerhinterziehung geführt, zum Teil ergingen Strafurteile. Die Finanzbehörden und das Finanzgericht versagten K den Vorsteuerabzug einerseits mit der Begründung, anstelle der in den Rechnungen angegebenen hochwertigen Prozessoren sei tatsächlich Billigware geliefert worden. Andererseits hätte K wissen können, dass sie in eine vorgelagerte Umsatzsteuerhinterziehung einbezogen war. Das Wissen ihrer Angestellten sei K vollumfänglich zuzurechnen. Das Finanzgericht ließ die Revision nicht zu, hiergegen legte K Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH ein, die als unbegründet zurückgewiesen wurde.

2. Vollumfängliche Beweisaufnahme wichtig

K trug vor, das Finanzgericht habe die Vernehmung eines ausdrücklich benannten Zeugen unterlassen, der die tatsächliche Lieferung von hochwertigen Prozessoren hätte bestätigen können. Mit diesem Vortrag blieb K vor dem BFH ungehört. Der BFH verneint einen Verfahrensfehler mit der Begründung, K habe in der Beweisaufnahme der ersten Instanz zumindest konkludent auf die Vernehmung des Zeugen verzichtet. Sie habe erkennen können, dass das Finanzgericht den benannten Zeugen nicht vernehmen werde, dennoch habe sie rügelos zur Sache verhandelt. Die strenge Rechtsprechung des BFH zum – auch konkludent möglichen – Rügeverzicht zeigt gleichermaßen die Wichtigkeit als auch die Schwierigkeit der finanzgerichtlichen Beweisaufnahme auf: Der Steuerpflichtige und sein Vertreter haben stets sorgfältig darauf zu achten, dass der Sachverhalt vollumfänglich ermittelt wird und etwaige Beweismittel vollständig ausgeschöpft werden. Auch müssen zuvor gestellte Beweisanträge, die zum Schluss der mündlichen Verhandlung noch nicht behandelt wurden, explizit aufrechterhalten werden. Dies ist zu protokollieren.

3. Ausreichende Konkretisierung der gelieferten Waren?

Ob es sich bei der von den Vertragsparteien hinsichtlich der Prozessoren gewählten Bezeichnung „PT 4 – E2“ um eine ausreichend konkretisierte Leistungsbeschreibung handelte, lässt der BFH im Ergebnis offen. Als Begründung führt er an, im Streitfall seien jedenfalls nach den finanzgerichtlichen Feststellungen nicht die in der Rechnung angegebenen hochwertigen Prozessoren, sondern Billigwaren geliefert worden. Unabhängig hiervon reichen nach ständiger BFH-Rechtsprechung Rechnungsangaben aus, die eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung hinsichtlich der erbrachten Leistung ermöglichen.

4. Kenntnis von Angestellten einer GmbH reicht aus

Der vom BFH entschiedene Fall zeigt exemplarisch die für Unternehmen bestehenden Risiken hinsichtlich der Versagung des Vorsteuerabzugs auf: Nach der Rechtsprechung des BFH wird einer GmbH nicht nur das etwaige Wissen ihres Geschäftsführers als ihres gesetzlichen Vertreters zugerechnet, sondern analog § 166 BGB auch das ihrer sonstigen Angestellten.

5. Anwendung der neuen EuGH-Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug durch den BFH bleibt weiter ungeklärt

Infolge der Versäumnisse in der ersten Instanz war es dem BFH nicht möglich, sich mit der neuen unternehmerfreundlichen Rechtsprechung des EuGH zum Vorsteuerabzug auseinander zu setzen. Der EuGH hat in den Rs. Mahageben und Peter David (EuGH, Urt. v. 21.06.2012 –C-80/11 und C142/11) eindeutig festgestellt, dass bloße Zweifel der Finanzbehörde nicht ausreichen, den Vorsteuerabzug zu versagen. Vielmehr müsse die Finanzbehörde die objektiven Umstände nachweisen, aus denen sich ergibt, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bezogene Eingangsumsatz in eine Steuerhinterziehung einbezogen war. Diese Rechtsprechung hat der EuGH in den letzten Monaten mehrmals ausdrücklich bestätigt und konkretisiert.

Eben diese Frage der Feststellungslast im Rahmen des Vorsteuerabzugs war hier– ebenso wie bei zahlreichen derzeit bei Finanzbehörden und Finanzgerichten anhängigen gleichgelagerten Verfahren – entscheidend: Die Prozessoren wurden durch einen seitens K beauftragten Spediteur direkt beim Lieferanten abgeholt und an den Abnehmer versandt. K besaß damit zu keinem Zeitpunkt – in der Praxis bei Reihengeschäften an der Tagesordnung – Verfügungsmacht und physische Überprüfungsmöglichkeiten hinsichtlich der Ware. Insofern war das von K vorgebrachte Argument, sie habe die Einbeziehung in vorgelagerte Umsatzsteuerhinterziehungen nicht erkennen können, durchaus naheliegend. Obwohl K ausdrücklich die neue Rechtsprechung des EuGH anführte, konnte der BFH hierauf infolge der Versäumnisse in der ersten Instanz nicht eingehen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH trägt der Unternehmer die Feststellungslast hinsichtlich seines Vorsteuerabzugsrechts. Es bleibt zu hoffen, dass der BFH zeitnah zu der für die Praxis äußerst wichtigen Frage der Feststellungslast im Rahmen des Vorsteuerabzugs Position bezieht.

6. Handlungsempfehlung

Unternehmer sollten ihre Vertragspartner im Hinblick auf die „Absicherung ihres Vorsteuerabzugsrechts“ stets sorgfältig überprüfen. Dies kann z. B. im Zuge der Überprüfung der Handelsregisterauszüge und der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, der Besichtigung der Firmenräumlichkeiten oder der Überprüfung der Identität auftretender Personen geschehen. Die Finanzbehörden stellen hier je nach Einzelfall unterschiedliche Anforderungen. Kriterien sind z.B. die Umsatzhöhe, die Geschäftsbeziehungsdauer, die konkrete Branche oder die Unternehmensgröße.

Ansprechpartner:

Dr. Daniel Kaiser
Rechtsanwalt
Tel.: 089 / 217 50 12 - 62
daniel.kaiser@kmlz.de

Stand: 27.05.2013