1 Hintergrund
Im Stromsteuerrecht sorgt der Anlagenbegriff immer wieder für Diskussionen. Zuletzt hat sich das Finanzgericht Düsseldorf im Rahmen der Stromsteuerbefreiung für Strom aus erneuerbaren Energieträgern nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG erneut mit dieser Frage befasst (Urt. v. 21.02.2024, 4 K 1324/22 VSt). Die Definition der „Anlage“ wird für die Nutzung der Steuerbefreiung dann entscheidend, wenn sich mehrere Stromerzeugungseinheiten (z. B. PV-Anlagen oder Blockheizkraftwerke) an unterschiedlichen Standorten befinden. Vom Anlagenbegriff hängt es dann ab, ob die einzelnen Einheiten als eine Anlage gelten, so dass ihre elektrischen Nennleistungen zusammenzurechnen sind. Hat die Anlage dann eine elektrische Nennleistung von mehr als zwei Megawatt (MW), ist eine Steuerbefreiung gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG möglich, wenn der Betreiber den Strom am Ort der Erzeugung zum Selbstverbrauch entnimmt. Stellt man hingegen auf die Nennleistung jeder einzelnen Stromerzeugungseinheit ab, die unter 2 MW liegt, käme eine Stromsteuerbefreiung nur unter den Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG in Betracht. Danach ist Strom aus erneuerbaren Energieträgern steuerfrei, wenn der Betreiber den Strom im räumlichen Zusammenhang zu der Anlage zum Selbstverbrauch entnimmt oder den Strom an Letztverbraucher leistet, die diesen im räumlichen Zusammenhang zu der Anlage entnehmen.
Anders als bei § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG ist der Anlagenbegriff im Bereich des § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG definiert. Nach § 12b Abs. 2 Satz 1 StromStV gelten Stromerzeugungseinheiten an unterschiedlichen Standorten als eine Anlage i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG, sofern die einzelnen Einheiten fernsteuerbar sind und der erzeugte Strom zumindest teilweise in das Versorgungsnetz eingespeist werden soll. Für die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG wendet die Zollverwaltung hingegen den sog. standortbezogenen Anlagenbegriff an (vgl. Informationsschreiben der GZD zum Anlagenbegriff im Stromsteuerrecht, Stand 11.03.2021). Nach Auffassung der Zollverwaltung gilt § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG nur für Stromerzeugungseinheiten an einem Standort. Eine entsprechende Anwendung des § 12b Abs. 2 Satz 1 StromStV ist nicht möglich. Somit scheidet eine Zusammenrechnung der Nennleistungen von Einheiten an verschiedenen Standorten über das Kriterium der Fernsteuerbarkeit aus.
2 Sachverhalt
Die Klägerin (Kl.) betreibt an fünf Standorten jeweils zwei Blockheizkraftwerke (BHKW) in Modulbauweise zur Stromerzeugung. In den Jahren 2018 und 2019 entnahm sie den erzeugten Strom am jeweiligen Standort zum Selbstverbrauch. Weiterhin leistete die Kl. den Strom an Letztverbraucher, die ihn auf dem Betriebsgelände der jeweiligen Anlage entnahmen. Darüber hinaus speiste die Kl. den überschüssigen Strom im Wege der Direktvermarktung in das allgemeine Versorgungsnetz ein. Die Kl. meldete die entnommenen Strommengen als steuerfrei nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 StromStG an. Das Hauptzollamt (HZA) lehnte beide Steuerbefreiungen ab und setzte Stromsteuer fest. Die BHKW an den unterschiedlichen Standorten stellten wegen ihrer Fernsteuerbarkeit eine Anlage gem. § 12b Abs. 2 Satz 1 StromStV dar. Diese Anlage weise eine elektrische Nennleistung von mehr als 2 MW auf, die eine Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG ausschließe. Eine Steuerbefreiung gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG i. d. F. ab dem 01.07.2019 komme nicht in Betracht, da die Anlagen keine elektrische Nennleistung von jeweils mehr als 2 MW hätten.
3 Entscheidung
Das FG lehnte die Steuerbefreiung gem. § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG ebenfalls ab. Das Gericht stellte jedoch fest, dass der ab dem 01.07.2019 entnommene Strom zum Selbstverbrauch gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG n. F. steuerfrei ist. Die Nennleistungen der einzelnen Stromerzeugungseinheiten sind für Zwecke des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG als eine Anlage zusammenzufassen. Der Anlagenbegriff i. S. v. § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG beurteilt sich nach den bereits vom BFH entwickelten Grundsätzen (VII R 30/19). Daran änderte auch die Neuregelung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG nichts. Sie bezieht sich ausschließlich auf den Ort der Entnahme des erzeugten Stroms und bestimmt den Anlagenbegriff nicht neu. Somit gilt kein standortbezogener, sondern ein funktionsbezogener Anlagenbegriff. Dieser verbietet eine isolierte Betrachtung einzelner Stromerzeugungseinheiten. Vielmehr ist auf die Gesamtheit der technischen Einrichtungen und auf den Funktionszusammenhang abzustellen. Der räumliche Zusammenhang ist lediglich ein – wenn auch starkes – Indiz für die Zusammenfassung mehrerer Einheiten zu einer Anlage. Weitere wichtige Anhaltspunkte sind die messtechnische Erfassung, die Steuerungsmöglichkeiten, der Betrieb durch einen Betreiber sowie die Versorgung eines bestimmten Abnehmerkreises. Aus der Intention des Gesetzgebers ergibt sich nicht, dass in den Fällen des § 12b Abs. 2 StromStV der entnommene Strom in Anlagen mit einer Nennleistung von mehr als 2 MW überhaupt nicht mehr von der Steuer befreit sein sollte. Damit würde der Gesetzgeber gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung sowie auch gegen das sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebende Folgerichtigkeitsgebot verstoßen.
4 Praxisfolgen
Das FG setzt der Zollverwaltung erneut Grenzen. Betreiber von Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern, die fernsteuerbar sind, sollten daher die Voraussetzungen sowohl des § 9 Abs. 1 Nr. 3 als auch des Nr. 1 StromStG genau prüfen. Anlagenbetreiber, denen die Zollverwaltung die Steuerbefreiung gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG unter Anwendung des standortbezogenen Anlagenbegriffs verwehrt hat, sollten prüfen, inwieweit die Stromerzeugungseinheiten unter Anwendung des funktionsbezogenen Anlagenbegriffs als eine Anlage zu betrachten sind, und ggfls. Einspruch gegen die Stromsteuerbescheide einlegen sowie die Aussetzung der Vollziehung beantragen. Die Zollverwaltung hat unter dem Az. VII R 5/24 Revision beim BFH eingelegt.
Finanzgericht setzt der Zollverwaltung erneut Grenzen bei der Stromsteuerbefreiung von Strom aus erneuerbaren Energieträgern
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Stand: 06.05.2024