1 Bisherige Rechtslage
Grundsätzlich sieht das Gesetz bei der Entstehung von Einfuhrzöllen und Einfuhrumsatzsteuer einen Gleichlauf vor. Aufgrund der Verweisung aus dem Umsatzsteuergesetz sind die Normen für die Entstehung und die Schuldnerschaft von Einfuhrzöllen sinngemäß auch für die Einfuhrumsatzsteuer anwendbar (§ 21 Abs. 2 UStG). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist in den vergangenen Jahren in den Fällen von Verstößen bei der Ein-fuhr mehr und mehr davon abgekommen, die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer mit der Entstehung der Zoll-schuld zu verknüpfen (zuletzt Rs. C-571/15 – Wallenborn – Urt. v. 01.06.2017). Grund hierfür war stets, dass im jeweiligen Fall zwar ein Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften gegeben war. Die Ware gelangte aber nicht in den Wirtschaftskreislauf der EU.
In dem Verfahren in der Rs. C-26/18 – Federal Express – v. 10.07.2019 hatte der EuGH sich dann mit einem Sachverhalt auseinanderzusetzen, in dem die Ware in den Wirtschaftskreislauf eines EU-Mitgliedstaats gelangt war. Die Ware wurde jedoch in einem anderen EU-Mitgliedstaat erstmalig in das Unionsgebiet verbracht. In diesem Zusammenhang kam es auch zu einem Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften.
2 Zum Verfahren
Der in Deutschland wohnhafte Kläger verbrachte sein Privatfahrzeug mit türkischer Zulassung aus der Türkei auf dem Landweg über Bulgarien nach Deutschland. Der Kläger beförderte das Fahrzeug nicht zur Einfuhrstelle und gestellte es nicht. Dies fiel aufgrund einer Polizeikontrolle in Deutschland auf. Das Fahrzeug befand sich auch nicht in einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren. Aufgrund dieser Verstöße kam das zuständige Haupt-zollamt Münster zu dem Schluss, dass der Kläger Einfuhrzoll und Einfuhrumsatzsteuer schuldet, und setzte diese gegen den Kläger fest. Das HZA Münster argumentierte, dass die Verstöße offensichtlich zwar in Bulgarien be-gangen wurden. Entdeckt wurden die Verstöße allerdings in Deutschland. Da die entstandenen Einfuhrzölle und die entstandene Einfuhrmehrwertsteuer zusammen weniger als EUR 10.000 betrugen, gelten Einfuhrzoll und Einfuhrumsatzsteuer gemäß Art. 87 Abs. 4 UZK daher als am Ort der Entdeckung der Verstöße, also in Deutsch-land, entstanden. Ungefähr einen Monat nach der Polizeikontrolle führte der Kläger das Fahrzeug wieder in die Türkei aus, um es dort zu verkaufen.
Im Rahmen des finanzgerichtlichen Verfahrens hatte das Finanzgericht Düsseldorf Zweifel, ob Art. 87 Abs. 4 UZK von der Verweisung des Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL bzw. § 21 Abs. 2 UStG umfasst ist. In diesem konkreten Fall wäre die Einfuhrumsatzsteuer ebenfalls in Deutschland entstanden. Das FG Düsseldorf legte diese Frage dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens vor.
3 Entscheidung des EuGH
Der EuGH bestätigt seine bereits in dem Urteil v. 10.07.2019 in der Rs. C-26/18 – Federal Express – gefundene Auffassung. Maßgeblich für den Ort der Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer ist demnach nicht der Ort des phy-sischen Verbringens von Ware in die Union oder der Ort des Verstoßes gegen zollrechtliche Vorschriften. Vielmehr komme es darauf an, wo die Ware in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen ist. Damit bleibt der EuGH dabei, dass die Vorschriften des Unionszollrechts über die Entstehung und Schuldnerschaft der Zollschuld für die Einfuhrumsatzsteuer nicht umfassend sinngemäß anzuwenden sind.
4 Bewertung
Grundsätzlich ist der Ansatzpunkt des EuGH nachvollziehbar. Schließlich soll die Mehrwertsteuer den tatsächli-chen Letztverbrauch der Ware belasten. Das kann und darf nicht von dem eher zufälligen Ort eines Verstoßes oder der Feststellung eines Verstoßes abhängen.
Es überrascht jedoch, dass der EuGH die vom FG Düsseldorf aufgeworfene Frage nicht konkret beantwortet. Antwortet er doch sonst so häufig stoisch auf die vom vorlegenden Gericht formulierte Frage, selbst dann, wenn seine Antwort damit faktisch selbst im konkreten Fall kaum hilfreich ist. In seiner aktuellen Entscheidung geht er nicht weiter darauf ein, ob die besondere Ortsbestimmung des Art. 87 Abs. 4 UZK auf die Einfuhrumsatz-steuer sinngemäß anzuwenden ist. In der Logik des EuGH mag es für den konkreten Fall darauf vielleicht gar nicht ankommen. Dann wäre es aber förderlich gewesen, wenn er seine Logik genauer erläutert hätte. Der EuGH stellt in seiner Entscheidung zwar fest, dass das Fahrzeug in den Wirtschaftskreislauf Deutschlands gelangte. Eine genauere Begründung gibt er hierfür jedoch nicht. Leider bleiben dadurch nämlich einige Fragen offen: Warum ist die Ware nach Auffassung des EuGH in den Wirtschaftskreislauf Deutschlands eingegangen? Liegt das am Wohnort des Eigentümers und Nutzers in Deutschland? Da das Fahrzeug auf dem Landweg (und auf eigener Achse) von der Türkei nach Deutschland verbracht wurde, ließe sich durchaus auch die Auffassung vertreten, dass es zuerst in den Wirtschaftskreislauf Bulgariens gelangte. Übrigens ist dies ein wesentlicher Unterschied zu dem in der Rechtssache Federal Express entschiedenen Sachverhalt. Dort wurde die Ware nicht auf dem Landweg, sondern per Luftfracht in der EU befördert. Oder hängt die Festlegung, in welchem Mitglied-staat die Ware in den Wirtschaftskreislauf eingetreten ist, davon ab, wo der Verstoß entdeckt wurde? In diesem Fall könnte also die Einfuhrumsatzsteuer auch von einem Mitgliedstaat auf der Reiseroute von Bulgarien nach Deutschland erhoben werden, wenn dort der Verstoß festgestellt würde. Dann hinge der Ort der Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer aber wieder von der sinngemäßen Anwendung des Art. 87 Abs. 4 UZK samt Wertgrenze ab.
Ansprechpartner:
Dr. Christian Salder
Rechtsanwalt, Steuerberater,
Fachanwalt für Steuerrecht
Tel.: +49 89 217501285
christian.salder@kmlz.de
Stand: 16.03.2021