Umsatzsteuer Newsletter 52/2020
EuGH zu Erschließungsmaßnahmen: voller Vorsteuerabzug und keine Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe
Der EuGH stärkt das Recht auf Vorsteuerabzug und damit die Neutralität der Mehrwertsteuer. Unternehmern, die Erschließungsanlagen errichten und diese später unentgeltlich der Gemeinde überlassen, steht der Vorsteuerabzug zu. Der EuGH geht mit seinem Urteil vom 16.09.2020 in der Rs. Mitteldeutsche Hartstein-Industrie AG (C-528/19) sogar noch einen Schritt weiter und stellt fest, dass auch die Versteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe unterbleiben kann.
1 Hintergrund
Im Jahr 2011 hatte der BFH seine bisherige Rechtsprechung geändert und festgestellt, dass einem Unternehmer kein Vorsteuerabzug aus dem Bau einer Erschließungsstraße zusteht, wenn diese später unentgeltlich einer Gemeinde zugewendet wird. Dies wird der BFH nun – dank dem neuen Urteil des EuGH vom 16.09.2020 in der Rs. Mitteldeutsche Hartstein-Industrie AG (C-528/19) – erneut revidieren müssen. Die Finanzverwaltung hatte sich der Rechtsprechung des BFH angeschlossen und muss nun ebenfalls die „Rolle rückwärts“ vollführen. Der Irrweg ist damit beendet. Unternehmer werden aufatmen. Ihnen steht der Vorsteuerabzug aus dem Bau einer Erschließungsstraße wieder zu. Und der EuGH setzt noch eins obendrauf: Die Versteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe kann ebenfalls unterbleiben.
 
2 Sachverhalt
Die Klägerin wollte einen Kalksteinbruch betreiben und stellte deshalb einen Antrag beim Regierungspräsidium zur Genehmigung. Das Präsidium genehmigte das Vorhaben unter der Auflage, dass der Steinbruch über eine öffentliche Straße der Gemeinde, auf deren Gebiet sich der Steinbruch befand, erschlossen wird. Die Klägerin schloss daraufhin mit der Gemeinde eine Vereinbarung, mit der sich die Klägerin verpflichtete, diese öffentliche Straße auszubauen und der Gemeinde unentgeltlich zu überlassen. Die Klägerin beanspruchte den Vorsteuerabzug aus den Baukosten. 
 
Das Finanzamt gewährte zunächst den Vorsteuerabzug, wollte aber zusätzlich eine unentgeltliche Wertabgabe versteuern. Das Finanzgericht verweigerte hingegen den Ansatz einer steuerpflichtigen unentgeltlichen Wertabgabe bei gleichzeitiger Versagung des Vorsteuerabzugs. Wie der BFH urteilen würde, war eigentlich vorprogrammiert, da dieser erst in 2011 entschieden hatte, dass der Vorsteuerabzug grundsätzlich zu verneinen ist, wenn die Eingangsleistung zur Ausführung einer unentgeltlichen Wertabgabe bezogen wird. Der BFH hatte aber aufgrund der neueren Rechtsprechung des EuGH in den Rs. Sveda und Iberdrola Zweifel, ob seine bisherige Linie weiterhin mit dem Unionsrecht vereinbar ist. 
 
3 Entscheidung des EuGH
Die Zweifel des BFH waren berechtigt. Der EuGH bejaht den Vorsteuerabzug und lehnt die Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe ab. Er stellt für den Vorsteuerabzug maßgeblich darauf ab, dass ohne die Arbeiten zum Ausbau der in Rede stehenden Gemeindestraße der Betrieb des Kalksteinbruchs sowohl praktisch als auch rechtlich unmöglich gewesen wäre. Denn der notwendige Schwerlastverkehr kann den Steinbruch nur über eine ausgebaute Straße erreichen. Darüber hinaus wurden die Kosten für den Ausbau der Straße in die steuerpflichtigen Ausgangsumsätze eingepreist. Der Umstand, dass die Öffentlichkeit die Straße kostenlos befahren kann, ist für den EuGH hingegen ohne Belang. Für den Umfang des Vorsteuerabzugs stellte der EuGH aber klar, dass nur diejenigen Aufwendungen zum Vorsteuerabzug berechtigen, die zum Betrieb des Kalksteinbruchs unerlässlich sind. Unerlässlich sind Aufwendungen dann, wenn die Klägerin ihre wirtschaftliche Tätigkeit sonst nicht hätte ausüben können. Der BFH wird diese zwingende Notwendigkeit nun im weiteren Verfahren nochmals genau unter die Lupe nehmen müssen. Auch die Annahme eines tauschähnlichen Vorgangs lehnt der EuGH ab. Die erteilte Genehmigung zum Betrieb des Steinbruchs könne nicht als Gegenleistung für die Erschließung der Gemeindestraße gesehen werden. Der EuGH verweist zu Recht darauf, dass es sich bei der Genehmigung um einen einseitigen Hoheitsakt handelt, der grundsätzlich kein Rechtsverhältnis begründen kann, welches zu einem Leistungsaustauschverhältnis führt. Überdies wurde die Genehmigung von der Bezirksregierung erteilt, während die Arbeiten auf einer Straße im Eigentum der Gemeinde durchgeführt wurden. 
 
Besonders interessant ist, was der EuGH zur Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe ausführt. Der EuGH verneint sowohl den Verbrauch für den privaten Bedarf als auch den Verbrauch für das Personal des Unternehmers. Schließlich verfolge der Unternehmer auch keine unternehmensfremden Zwecke. Zwar nimmt der EuGH (wie auch das deutsche Gesetz) auch bei Abgaben zu unternehmerischen Zwecken eine unentgeltliche Wertabgabe an. Hier besteht aber keine Gefahr eines unversteuerten Letztverbrauchs oder eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Die Arbeiten zum Ausbau der Straße kommen nämlich der Klägerin zugute und weisen einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit ihrer gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit auf. Die Kosten gehören weiter zu den Kostenelementen der von der Klägerin vorgenommenen Ausgangsumsätze. Die Argumente, mit denen zuvor der Vorsteuerabzug gerechtfertigt wurde, zieht der EuGH nunmehr erneut heran, um die Annahme einer steuerpflichtigen unentgeltlichen Wertabgabe zu verneinen. Letztlich schränkt er damit den Tatbestand der unentgeltlichen Wertabgaben in Fällen der Lieferung ein: Eigentlich liegen solche unentgeltlichen Wertabgaben auch in Fällen der Abgabe für unternehmerische Zwecke vor. Dies gilt nach der aktuellen Entscheidung des EuGH jedoch nicht, wenn keine Gefahr eines unversteuerten Letztverbrauchs besteht.
 
4 Folgen für die Praxis
Der BFH wird seine bisherige restriktive Linie aufgeben müssen. Die Finanzverwaltung wird sich dem anschließen. Das Urteil ist ein Segen für jeden Unternehmer, der Erschließungsanlagen errichten und diese der Gemeinde später unentgeltlich überlassen muss. Die Versagung des Vorsteuerabzugs war ungerecht. Denn kein Unternehmer will einer Gemeinde unentgeltlich etwas zukommen lassen. Er baut die Straßen ausschließlich vor dem Hintergrund, dass er sein Unternehmen betreiben kann und steuerpflichtige Umsätze generieren möchte. Die unentgeltliche Überlassung der Straße an die Gemeinde ist nur ein Reflex, nicht mehr und nicht weniger.
 
Ansprechpartner:
 
 
Prof. Dr. Thomas Küffner
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht,
Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
Tel.: +49 89 217501230
 
Stand: 09.10.2020