Umsatzsteuer Newsletter 51/2020
Regelungen zur Marktplatzhaftung im JStG 2020 stehen Zweck des One-Stop-Shops entgegen
Die im JStG 2020 geplanten Anpassungen der Regelungen zur Marktplatzhaftung stehen in Widerspruch zum Zweck des OSS-Verfahrens. Onlinehändler werden verpflichtet, dem Online-Marktplatz eine deutsche Umsatzsteuer-Identifikationsnummer vorzulegen. Onlinehändler aus dem EU-Ausland müssen sich somit in Deutschland für umsatzsteuerliche Zwecke registrieren. Genau dies sollte mit dem neuen OSS-Verfahren vermieden werden.
1 Zweck des OSS-Verfahrens
Onlinehändler können ihre innergemeinschaftlichen Fernverkäufe i.S.d. § 3c Abs. 1 UStG-E künftig im sog. OSS-Verfahren melden (vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 36 | 2020). Dazu führt der nationale Gesetzgeber die Vorschrift des § 18j UStG-E ein. Das OSS-Verfahren ist ein besonderes Besteuerungsverfahren, das es einem Steuerpflichtigen ermöglicht, im EU-Ausland geschuldete Umsatzsteuerbeträge zentral abzuführen. Auf diese Weise soll eine Registrierung für umsatzsteuerliche Zwecke in mehreren Mitgliedstaaten vermieden werden. EU-Unternehmer haben die Möglichkeit, ihre Meldepflichten für andere Mitgliedstaaten im eigenen Ansässigkeitsstaat zu erledigen. Gemäß den Leitlinien der EU-Kommission zum E-Commerce-Paket bezweckt das OSS-Verfahren, die Umsatzsteuerpflichten für Unternehmen im grenzüberschreitenden elektronischen Handel zu vereinfachen und damit den EU-Binnenmarkt zu stärken.
 
2 Anpassung der bestehenden Regelungen zur Marktplatzhaftung im JStG 2020
Neben dem OSS-Verfahren gelten weiterhin die Regelungen zur Marktplatzhaftung. Online-Marktplätze können gemäß § 25e UStG für die nicht entrichtete Umsatzsteuer aus der Lieferung des Onlinehändlers haften. Eine Exkulpation von dieser Haftung ist nach § 25e Abs. 2 S. 1 UStG möglich, wenn der Online-Marktplatz eine sog. Erfassungsbescheinigung des Onlinehändlers nach § 22f Abs. 1 S. 2 UStG vorhält. Diese Regelung wird nun angepasst. Danach soll der Online-Marktplatz nicht haften, wenn der Onlinehändler im Zeitpunkt der Lieferung über eine gültige, ihm vom BZSt nach § 27a UStG erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verfügt (§ 25e Abs. 2 S. 1 UStG-E). Entsprechend verpflichtet § 22f Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG-E den Online-Marktplatz, die deutsche Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Onlinehändlers aufzuzeichnen. 
 
3 Widerspruch zum Zweck des OSS-Verfahrens 
Folglich muss ein Onlinehändler aus dem EU-Ausland sich zunächst in Deutschland für umsatzsteuerliche Zwecke registrieren und eine deutsche Umsatzsteuer-Identifikationsnummer beim BZSt beantragen, bevor er innergemeinschaftliche Fernverkäufe nach Deutschland über einen Online-Marktplatz tätigen kann. Andernfalls würde der Online-Marktplatz den Onlinehändler aufgrund der Marktplatzhaftung nicht zum Marktplatz zulassen. Somit stehen die nationalen Regelungen zur Marktplatzhaftung dem Zweck des OSS-Verfahrens entgegen, wonach eine Registrierung für umsatzsteuerliche Zwecke in mehreren Mitgliedstaaten vermieden werden soll.
 
4 Zweifel an Unionsrechtskonformität
Bereits am 10.10.2019 hat die EU- Kommission beschlossen, ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland im Zusammenhang mit der Marktplatzhaftung einzuleiten (KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 42 | 2019). Nach Auffassung der EU-Kommission verstößt die Pflicht der Online-Marktplätze zur Vorlage einer Erfassungsbescheinigung des Onlinehändlers gegen Unionsrecht. Denn eine solche Pflicht ist nach Auffassung der Kommission ineffizient, unverhältnismäßig und behindert den Zugang von EU-Onlinehändlern zum deutschen Markt. 
 
Den Leitlinien zum E-Commerce-Paket zufolge sieht die EU-Kommission in einer umsatzsteuerlichen Registrierung in anderen Mitgliedstaaten eine erhebliche administrative Belastung für den Onlinehändler, die somit auch die Entwicklung des Online-Handels innerhalb der EU behindert. Daher dürfte auch die Pflicht zur Vorlage einer deutschen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, was zwingend eine umsatzsteuerliche Registrierung in Deutschland voraussetzt, den Zugang von EU-Onlinehändlern zum deutschen Markt behindern. Aus diesem Grund läuft Deutschland „sehenden Auges“ Gefahr, sich demnächst in einem weiteren Vertragsverletzungsverfahren erklären zu müssen. 
 
5 Folgen für die Praxis
Ein Großteil der Onlinehändler aus dem EU-Ausland liefert im Rahmen von innergemeinschaftlichen Fernverkäufen Waren an Endkunden in Deutschland über Online-Marktplätze. Nach dem derzeitigen Gesetzesentwurf müssten sich diese Onlinehändler in Deutschland für umsatzsteuerliche Zwecke registrieren, obwohl sie die deutsche Umsatzsteuer über das OSS-Verfahren in ihrem Ansässigkeitsstaat melden. Viele Onlinehändler aus dem EU-Ausland würden daher nicht von der bezweckten Vereinfachung durch das OSS-Verfahren profitieren.
 
Der Gesetzgeber ist dringend aufgerufen, die Regelungen zur Marktplatzhaftung in Einklang mit den Regelungen des EU-einheitlichen OSS-Verfahrens zu bringen. Dieser vermeintliche „Handwerksfehler“ ließe sich noch im anhängigen Gesetzgebungsverfahren bereinigen. Zumindest sollte eine Klarstellung im Rahmen eines BMF-Schreibens erfolgen.
 
Vor dem Hintergrund der Einführung des OSS-Verfahrens sollte der Nachweis, dass der Onlinehändler die deutsche Umsatzsteuer über das OSS-Verfahren in seinem Ansässigkeitsstaat meldet, ausreichen. Für die Praxis stellen sich dann die weitergehenden Fragen, wie ein möglicher Nachweis der Meldung im OSS-Verfahren vom Onlinehändler zu erbringen ist und ob dieser Nachweis aus Sicht des Online-Marktplatzes genügen wird.
 

Ansprechpartner:

Dr. Matthias Oldiges
Rechtsanwalt
Tel.: +49 211 54 095 366
matthias.oldiges@kmlz.de

Stand: 07.10.2020