Umsatzsteuer Newsletter 48/2022
Viel Lärm um (am Ende) nichts? – Organträger als Steuerpflichtiger – Steuerbarkeit von Innenleistungen?
Lang wurden sie erwartet, nun sind sie da: die EuGH-Urteile zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft. Zusammengefasst bleibt es dabei, dass der Organträger Steuerpflichtiger der Gruppe ist. Insoweit verstößt das deutsche Recht nicht gegen das Unionsrecht. Unklar ist aber die Auffassung des EuGH zur Steuerbarkeit von Innenleistungen. Im Übrigen stellt der EuGH erneut klar, dass Durchgriffsrechte der Mutter- auf die Tochtergesellschaft nicht als zwingende Voraussetzung einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft gefordert werden dürfen. Die ebenfalls vom EuGH behandelte Frage der unentgeltlichen Wertabgabe wird Thema eines weiteren KMLZ Newsletters sein, der in Kürze erscheint.
1 Vorgeschichte
Seit einigen Jahren muss der EuGH sich in regelmäßigen Abständen mit der deutschen umsatzsteuerrechtlichen Organschaft beschäftigen. 2015 ging es im Verfahren Larentia und Minerva um die Frage, ob Personengesellschaften überhaupt Organgesellschaft sein können (vgl. KMLZ Newsletter 18 | 2015). Im Anschluss waren 2021 die Voraussetzungen zu klären, unter denen eine derartige Organschaft mit Personengesellschaften möglich ist (vgl. KMLZ Newsletter 14 | 2021). In beiden Entscheidungen verdeutlichte der EuGH, dass die deutsche Rechtsprechung und Finanzverwaltung die Voraussetzungen der Organschaft zu eng auslegen.
 
2 Aktuelle Verfahren
Zuletzt hatten beide mit dem Umsatzsteuerrecht befassten BFH-Senate den EuGH gefragt, ob denn das deutsche Recht den Organträger überhaupt als Steuerpflichtigen der Gruppe vorsehen darf (vgl. KMLZ Newsletter 15 | 2020 und 26 | 2020). Alternative wäre gewesen, dass die Gruppe als solche den Steuerpflichtigen bildet. Da diese Gruppe im deutschen Recht nicht vorgesehen ist und daher keine Rechtsfähigkeit besitzt, hätte gegen die Gruppe als solche keine Umsatzsteuer festgesetzt werden können. Deshalb hat der V. Senat des BFH in seiner Vorlageentscheidung auch darauf hingewiesen, dass bei einer „falschen“ Antwort des EuGH jährlich ein dreistelliger Milliardenbetrag als Steuerausfall drohen würde. Dieses Szenario schien zwischenzeitlich auch wahrscheinlicher zu werden, nachdem die Generalanwältin Medina in ihren Schlussanträgen zu den beiden Verfahren zu dem Ergebnis gekommen war, dass die deutsche Regelung nicht dem Unionsrecht entspricht. Daher war das Interesse an den Entscheidungen des EuGH so groß, dass kurz nach deren Veröffentlichung sogar die Internet-Seite des EuGH scheinbar regelrecht gestürmt wurde und daraufhin für kurze Zeit nicht erreichbar war.
 
3 EuGH-Urteile vom 01.12.2022 (Rs. C-141/20 und Rs. C-269/20)
Der große Knall ist ausgeblieben. Zumindest in Bezug auf den Steuerschuldner bleibt alles beim Alten. Insoweit haben die Ausführungen des EuGH in seinen beiden Entscheidungen einen fast identischen Wortlaut. Klargestellt hat der EuGH in einer der Entscheidungen ein weiteres Mal, dass das Verlangen von Durchgriffsrechten unzulässig ist. Aber der Reihe nach:
 
Der EuGH führt im Rahmen beider Entscheidungen aus, dass es zwar einen einzigen Ansprechpartner für die Gruppe geben muss. Das Unionsrecht erlaubt es aber, dass der Ansprechpartner der Organträger sein kann (unionsrechtlich aber nicht muss). Dass dieser Ansprechpartner sodann auch als Steuerpflichtiger der Gruppe gilt, ist unionsrechtlich zulässig. Da der Organträger auch die Umsatzsteuer aufgrund von Ausgangsleistungen der Organgesellschaft erklären muss und die Organgesellschaft dafür haftet, besteht nämlich nicht das Risiko von Steuerausfällen. Trotz der Zugehörigkeit zur Organschaft sieht der EuGH die Mitglieder der Gruppe dennoch als selbständig an. Der EuGH geht in einem der Urteile darüber hinaus davon aus, dass die Organgesellschaft an den Organträger entgeltliche Leistungen erbringen kann, ohne aber eine explizite Aussage zur Steuerbarkeit dieser zu treffen.
 
In dem vom XI. Senat des BFH vorgelegten Rechtsstreit hielt eine Körperschaft des öffentlichen Rechts 51 % der Anteile einer GmbH. In der Gesellschafterversammlung der GmbH hatte sie aber nur 50 % der Stimmrechte. Nach der bisherigen nationalen Auslegung läge mangels finanzieller Eingliederung keine Organschaft vor. Der XI. Senat des BFH fragte den EuGH trotzdem, ob dieses Ergebnis richtig ist. Der EuGH führt aus, dass die unionsrechtlich verlangte enge (finanzielle) Verbindung nicht restriktiv auszulegen ist. Ein Unterordnungsverhältnis lässt zwar eine enge Verbindung vermuten, ist aber keine Voraussetzung dafür. Nur wenn die Stimmenmehrheit erforderlich und geeignet ist, Missbräuche zu vermeiden, darf sie als Voraussetzung der Organschaft verlangt werden. Dies muss aber das nationale Gericht prüfen.
 
4 Praxisfolgen
Viel wurde geschrieben und vermutet, was nach den EuGH-Entscheidungen alles passieren könnte. Durch welche Norm in der AO kann ein Steuerausfall vielleicht doch noch vermieden werden? Muss sogar der Gesetzgeber eingreifen? Insoweit haben die beiden konträren BFH-Vorlagen zu maximaler Verwirrung und Rechtsunsicherheit geführt. Am Ende waren all diese Überlegungen unnötig. Deutschland darf den Organträger als Steuerpflichtigen der Gruppe behandeln. Insoweit ist die deutsche Organschaft unionsrechtskonform. Aus den Urteilen ergeben sich diesbezüglich außer der Wiedererlangung von Rechtssicherheit keine Konsequenzen. Unklar bleibt aber die Haltung des EuGH zur Steuerbarkeit von Innenleistungen.
 
Bezüglich der finanziellen Eingliederung zeigt der EuGH der nationalen Rechtsprechung wiederum auf, dass eine strikte Unterordnung keine zwingende Voraussetzung der Organschaft ist. Sehr fraglich ist z. B., ob der EuGH dem BFH folgen würde, soweit der BFH zuletzt eine finanzielle Eingliederung von Schwestergesellschaften untereinander ablehnte. Dabei gelten die vom EuGH angeführten Gründe aber auch für die organisatorische und wirtschaftliche Eingliederung. Auch die Vermietung von Büroräumen solle laut BFH für eine wirtschaftliche Eingliederung nicht ausreichen (vgl. KMLZ Newsletter 36 | 2022). Die darin zum Ausdruck kommenden hohen Anforderungen an die wirtschaftliche Eingliederung sind ebenso zu überdenken wie die aktuell noch hohen Anforderungen in Bezug auf die organisatorische Eingliederung. Das EuGH-Urteil macht nochmals deutlich, dass die Voraussetzungen aus unionsrechtlicher Sicht wesentlich geringer ausfallen müssten.
 
Die wiederholten Rechtsstreitigkeiten zeigen schließlich, dass beim Thema Organschaft weiterhin viele Unsicherheiten bestehen. Diese ließen sich durch ein Antragsverfahren für den Steuerpflichtigen und das Finanzamt rechtssicher lösen. Die entsprechenden Vorschläge zur Umsetzung liegen allesamt auf dem Tisch.
 
Ansprechpartner:
 

Dr. Michael Rust
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Tel.: +49 89 217501274
michael.rust@kmlz.de

Stand: 02.12.2022