Umsatzsteuer Newsletter 48/2020
FG Berlin-Brandenburg bejaht Reihengeschäft bei gebrochenem Transport
Ein Reihengeschäft setzt voraus, dass der Gegenstand unmittelbar vom ersten Lieferer zum letzten Abnehmer gelangt. Ob dies auch dann der Fall ist, wenn sich erster Lieferer und letzter Abnehmer die Transportverantwortung teilen (sog. gebrochener Transport), ist streitig. Das FG Berlin-Brandenburg hat in seinem Urteil vom 17.06.2020 (Az. 7 K 7214/17) trotz gebrochenem Transport das Reihengeschäft bejaht. Die Wirkung des Urteils dürfte jedoch überschaubar sein. Es überzeugt nur bedingt und die anderen betroffenen Mitgliedstaaten sind nicht daran gebunden.
1 Hintergrund
Ein Reihengeschäft erfordert, dass der Liefergegenstand unmittelbar vom ersten Lieferer zum letzten Abnehmer gelangt. Transportiert nur ein Beteiligter, ist dies unstreitig der Fall. Streitig ist jedoch der Fall, wenn sich erster Lieferer und letzter Abnehmer die Transportverantwortung teilen. Die deutsche Finanzverwaltung verneint ein unmittelbares Gelangen. Teile der Literatur bejahen es. EuGH und BFH haben – soweit ersichtlich – hierzu noch nicht geurteilt. Das FG Berlin-Brandenburg bejaht nun in seinem Urteil vom 17.06.2020 (Az. 7 K 7214/17) das unmittelbare Gelangen und damit das Reihengeschäft.
 
2 Sachverhalt
Die Klägerin (Kl.) ist in Deutschland ansässig und umsatzsteuerlich registriert. Sie bezog Waren von zwei Lieferanten aus Finnland sowie Großbritannien und veräußerte diese an einen russischen Abnehmer. Die Lieferanten versendeten die Waren zu einem Lager in Litauen. Dort wurden die Waren im Auftrag des russischen Abnehmers für den Weitertransport nach Russland gebündelt und neu verpackt. Den Transport nach Russland beauftragte der russische Abnehmer. Die Kl. trat gegenüber den Lieferanten unter ihrer deutschen USt-ID-Nr. auf. Sie war in Litauen nicht umsatzsteuerlich registriert.
 
Das Finanzamt (FA) ging von jeweils zwei warenbewegten Lieferungen aus. Ein Reihengeschäft komme aufgrund der geteilten Transportverantwortung nicht in Betracht (vgl. Abschn. 3.14 Abs. 4 Satz 1 UStAE). Stattdessen liegen je eine warenbewegte Lieferung der Lieferanten aus Finnland sowie Großbritannien an die Kl. nach Litauen vor und je eine warenbewegte Lieferung der Kl. aus Litauen an den Abnehmer nach Russland. Aufgrund des innergemeinschaftlichen Transports verwirklichte die Kl. nach Auffassung des FA innergemeinschaftliche Erwerbe. Die Erwerbe unterfallen zum einen der Besteuerung in Litauen, wo sich die Ware am Ende des innergemeinschaftlichen Transports befand (vgl. § 3d Satz 1 UStG). Zum anderen unterfallen sie der Besteuerung in Deutschland, da die Kl. für die Lieferungen ihre deutsche USt-ID-Nr. verwendet habe (vgl. § 3d Satz 2 UStG). Mit der Klage wehrt sich die Kl. gegen die Erwerbsbesteuerung in Deutschland, denn sie wäre hierfür nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Hilfsweise sei die Steuer zu erlassen. Es sei unsinnig, sich für einige wenige Liefervorgänge in Litauen umsatzsteuerlich registrieren zu müssen.
 
3 Entscheidung des Gerichts
Das FG verneint in seinem Urteil die Erwerbsbesteuerung in Deutschland. Die Beteiligten haben die Lieferungen im Rahmen von Reihengeschäften ausgeführt. Unerheblich sei, dass sich die (Erst-)Lieferanten und der (Letzt-)Abnehmer die Transportverantwortung teilten. Die Ware sei unmittelbar in einem einheitlichen Transportvorgang aus Finnland bzw. Großbritannien nach Russland gelangt. Die kurze Unterbrechung in Litauen sei nach Maßgabe der Rechtsprechung des EuGH (Rs. C-386/16 – Toridas) und der Ship-to-Hold-Rechtsprechung des BFH unerheblich. Danach stehe eine kurze Zwischenlagerung einem einheitlichen Warentransport bei innergemeinschaftlichen Lieferungen nicht entgegen. Dies müsse auch für Reihengeschäfte gelten. Innerhalb des Reihengeschäfts habe die Kl. aus Finnland bzw. Großbritannien warenbewegte (Ausfuhr-)Lieferungen erbracht. Der russische Abnehmer habe noch vor Übertritt der Drittlandsgrenze die Verfügungsmacht an den Waren erhalten. Das Urteil ist rechtskräftig.
 
4 Folgen für die Praxis
Das FG überträgt die Rechtsprechung zur einheitlichen Warenbewegung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen auf das unmittelbare Gelangen bei Reihengeschäften. Leider erschöpft sich das Urteil in dem Verweis auf die hierzu ergangene Rechtsprechung. Eine vertiefende Begründung fehlt. Dies schwächt die Überzeugungskraft des Urteils, denn die zugrunde liegenden Fragen unterscheiden sich. Das zeigt auch ein Blick auf die Neuregelung des Reihengeschäfts in § 3 Abs. 6a UStG. Die Neuregelung findet auf den vorliegenden Altfall zwar keine Anwendung, verdeutlicht aber die Problematik. Unterstellt, ein unmittelbares Gelangen läge vor, ließe sich der Transport keiner der Lieferungen klar zuordnen (vgl. Sätze 2 und 3). Dies erlaubt zwei mögliche Schlussfolgerungen: Abs. 6a enthält diesbezüglich eine Lücke, oder die zuvor getroffene Annahme des Reihengeschäfts ist unzutreffend. 
 
Die Wirkkraft des Urteils ist daher beschränkt. Es mag bei bereits verwirklichten Sachverhalten helfen, Besteuerungsfolgen zu vermeiden, wenn das Urteil andere Gerichte überzeugt. Dass die Finanzverwaltung ihre Auffassung ändern wird, ist eher unwahrscheinlich. Eine rechtssichere Grundlage für künftige Sachverhalte bietet das Urteil – insbesondere aufgrund der gesetzlichen Neuregelung – nicht.
 
Zu berücksichtigen ist auch, dass die anderen Mitgliedstaaten nicht an das Urteil des FG gebunden sind. Litauen entscheidet selbständig, ob die Kl. in Litauen erklärungspflichtige (!) innergemeinschaftliche Erwerbe und Ausfuhrlieferungen verwirklichte. Im Übrigen lassen nicht alle EU-Länder uneingeschränkt einen nachträglichen Vorsteuerabzug aus Erwerben zu. Auch Finnland und Großbritannien entscheiden selbst darüber, ob die Kl. dort erklärungspflichtige (!) Ausfuhrlieferungen verwirklichte. Unklug ist daher das Vorbringen der Kl., eine Registrierung für wenige Umsätze sei unsinnig und die Steuer im Billigkeitswege zu erlassen. Das FA kann keinen Dispens für Litauen erteilen. Es besteht zwar ein Binnenmarkt, aber kein einheitlicher Umsatzsteuerraum. Im Übrigen wäre ein Erlass in einem gesonderten Verfahren zu klären. Schlimmstenfalls könnten Dritte das Vorbringen als bewusste steuerliche Unzuverlässigkeit verstehen. 
 
Ansprechpartner:
 
 
Jörg Scharrer
Rechtsanwalt, Dipl.-Kfm
+49 (0) 89 217 50 12-33
 
Stand: 21.09.2020