Umsatzsteuer Newsletter 44/2020
Jahressteuergesetz 2020 (Teil 13): Rechnungsberichtigung kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. AO
Im 13. und letzten Teil der KMLZ Newsletter-Serie zum Jahressteuergesetz 2020 stellen wir die vom Gesetzgeber beabsichtigte Neuregelung des § 14 Abs. 4 S. 4 UStG vor. Nach dieser Neuregelung stellt die Berichtigung einer Rechnung hinsichtlich fehlender oder unzutreffender Angaben kein rückwirkendes Ereignis i. S. v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und § 233a Abs. 2a AO dar. Eine Rückwirkung der Rechnungsberichtigung in bereits festsetzungsverjährte Zeiträume kann damit in Einzelfällen zu einem dauerhaften Verlust des Vorsteuerabzugs führen. Zudem hat die Regelung Auswirkung auf Nachzahlungs- und Erstattungszinsen. Die geplante Regelung geht jedoch nicht weit genug.
1 Hintergrund
Erhält ein Unternehmer eine fehlerhafte Eingangsrechnung, kann er diese vom leistenden Unternehmer korrigieren lassen. Abhängig davon, welches der Rechnungspflichtmerkmale des § 14 Abs. 4 UStG auf der Rechnung fehlerhaft war (z.B. ungenaue Leistungsbeschreibung, fehlende Steuernummer), hat der Leistungsempfänger rückwirkend für den Besteuerungszeitraum des Erhalts der fehlerhaften Rechnung den Vorsteuerabzug (siehe KMLZ Newsletter 01/2017). Bisher nicht abschließend geklärt waren in diesem Zusammenhang zwei verfahrensrechtliche Fragen der AO: 
 
  • Was geschieht, wenn der Besteuerungszeitraum, in den die Rechnungsberichtigung zurückwirkt, verfahrensrechtlich nicht mehr änderbar ist, da z.B. bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist? Helfen könnte in diesem Fall die Änderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO, die im Fall eines sog. „rückwirkenden Ereignisses“ eine Korrektur trotz Festsetzungsverjährung ermöglicht. § 175 Abs. 1 S. 2 AO sieht hierfür eine sog. Anlaufhemmung vor. Abweichend vom regulären Beginn der Festsetzungsfrist beginnt die Anlaufhemmung in diesem Fall erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eintritt. Nicht abschließend beantwortet war bisher die Frage, ob eine Rechnungsberichtigung, der zwar für Zwecke des Vorsteuerabzugs Rückwirkung zukommt, auch für Zwecke der AO zurückwirkt. Im Schrifttum wird dieses Thema kontrovers diskutiert. Die Finanzverwaltung ging im Entwurf eines BMF-Schreibens zur Rechnungsberichtigung davon aus, dass diese kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. AO darstellt.
  • Ein weiterer Aspekt, der nicht abschließend geklärt war, sind die Auswirkungen der rückwirkenden Rechnungsberichtigung auf die Zinsen gem. § 233a AO. Hat der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug aus der ursprünglich fehlerhaften Rechnung vorgenommen, so könnten mit Erhalt des rückwirkenden Rechnungsberichtigungsdokuments Nachzahlungszinsen entfallen (soweit diese nach der 15-monatigen Karenzfrist bereits entstanden waren). Hatte der Leistungsempfänger aus der ursprünglich fehlerhaften Rechnung noch keinen Vorsteuerabzug vorgenommen und wirkt die Rechnungsberichtigung zurück, so könnte der Leistungsempfänger nunmehr einen Anspruch auf Erstattungszinsen haben (ebenfalls abhängig von der 15 monatigen Karenzfrist). Beides würde nur dann gelten, wenn die Rechnungsberichtigung kein „rückwirkendes Ereignis“ nach § 233a Abs. 2a AO darstellt. Wäre die Rechnungsberichtigung jedoch ein solches Ereignis, würde ein abweichender Zinslauf gelten. Dieser würde erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres beginnen, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist. Näheres zur Zinsberechnung in diesem Fall regelt § 233a Abs. 7 AO.
 
2 Gesetzliche Regelung
Mit einer Neuregelung in § 14 Abs. 4 S. 4 UStG-E will der Gesetzgeber zu diesen Punkten nun Rechtssicherheit schaffen. Die Neuregelung stellt klar, dass „die Berichtigung einer Rechnung um fehlende oder unzutreffende Angaben“ kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und § 233a Abs. 2a AO darstellt. Der Gesetzgeber begründet dies damit, dass das Recht auf Vorsteuerabzug unabhängig von einer Rechnung entsteht. Die Rechnung sei lediglich Ausübungsvoraussetzung. Der Vorsteuerabzug sei daher nur innerhalb der Grenzen der allgemeinen Änderungsvorschriften der AO möglich. Da der Gesetzgeber ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. AO verneint, komme der abweichende Zinslauf nach § 233a Abs. 2a AO nicht zur Anwendung. 
 
3 Folgen für die Praxis
Soweit die Steuerfestsetzung für den Besteuerungszeitraum, in den die Rechnungsberichtigung zurückwirkt, noch änderbar ist, weil sie z.B. unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 2 AO steht, bedarf es der Anwendung des § 175 AO ohnehin nicht. Insoweit führt die Gesetzesänderung im Ergebnis zu keiner Veränderung. Das gilt jedoch nicht, wenn die Festsetzungsverjährung bereits eingetreten war. Ohne die Anwendung des § 175 AO kommt es für den Leistungsempfänger zu einem endgültigen Verlust seines Vorsteuerabzugs. Nationale Verjährungsfristen sind unionsrechtlich zwar grundsätzlich zulässig. Der EuGH hat uns in den Rs. VW und Biosafe (siehe KMLZ Newsletter 14/2018 und 16/2018) jedoch gelehrt, dass es in Fällen, in denen der Leistungsempfänger eine ordnungsgemäße Rechnung erst später erhält und ihn kein Verschulden an einem verspäteten Vorsteuerabzug trifft, unionsrechtlich nötig sein kann, eine bereits abgelaufene Festsetzungsfrist zu durchbrechen. In den beiden Fällen des EuGH war dies jeweils eine 5 jährige Ausschlussfrist. Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich, ob die vorgesehene Regelung, die keine Ausnahmen vorsieht, den unionsrechtlichen Vorgaben entspricht. 
 
Der Wortlaut des geplanten Gesetzestextes in § 14 Abs. 4 S. 4 UStG-E, der eine Berichtigung um einzelne Merkmale fordert, könnte es als fraglich erscheinen lassen, ob auch eine Berichtigung mittels Stornorechnung und neuer Rechnung darunter fällt. Der BFH sieht Rechnungsergänzungsdokumente und Stornorechnungen als einander gleichwertig an (siehe KMLZ Newsletter 22/2020). Der Gesetzgeber täte gut daran, hier eine Klarstellung vorzunehmen. Vom derzeitigen Entwurf nicht umfasst ist die Zinsfrage, wenn der Leistungsempfänger durch Stornorechnung rückwirkend seinen Vorsteuerabzug verliert (siehe KMLZ Newsletter 22/2020). Eine verschuldensunabhängig starre Sanktionierung mit Zinsen hält der EuGH für nicht zulässig (Urt. v. 15.09.2016 – C-518/14 – Senatex). Eine umfassende Gesetzesänderung in diesem Bereich tut not.
 
Ansprechpartner:
 

Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Telefon: +49 89 217501275
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Stand: 12.08.2020