1 Hintergrund
Der Vorsteuerabzug im Vergütungsverfahren ist für im Ausland ansässige Unternehmer seit jeher mit erheblichen praktischen Hürden verbunden. Neben strengen Formvorschriften sind insbesondere die Ausschlussfristen (30.06. für Unternehmer außerhalb der EU und 30.09. für EU-Unternehmer) problematisch. Das erst am 30.10.2025 veröffentlichte Urteil des BFH vom 25.06.2025 (XI R 17/22) ist in diesem Kontext wegweisend: Es eröffnet die Möglichkeit, den Vorsteuerabzug im Veranlagungsverfahren geltend zu machen – trotz fehlender Inlandsumsätze im Zeitpunkt des Rechnungserhalts. Darüber hinaus ist das Urteil auch wegen der Behandlung von Demurrage-Kosten (Liegegeld) und deren umsatzsteuerlicher Einordnung sowie für die Frage des anzuwendenden Umrechnungskurses von Bedeutung.
2 Sachverhalt
Die Klägerin, eine im Drittland ansässige Ltd., handelte mit LPG (Liquefied Petroleum Gas). Im Jahr 2018 führte sie eine einzige Inlandslieferung durch. Die Lieferung erfolgte von einem britischen Lieferanten an die Klägerin und von dieser weiter an einen deutschen Abnehmer. Die ursprüngliche Rechnung des Lieferanten enthielt keinen Umsatzsteuerausweis, da beide Parteien irrtümlich von der Anwendung der Umsatzsteuerlagerregelung ausgingen. Erst im Januar 2019 wurde eine berichtigte Rechnung mit offenem Steuerausweis erstellt. Die Klägerin beantragte daraufhin den Vorsteuerabzug in der USt-Voranmeldung für Januar 2019. Das Finanzamt verweigerte diesen mit der Begründung, dass der Vorsteuerabzug mangels Inlandsumsätzen in 2019 im Veranlagungsverfahren nicht möglich sei. Das Bundeszentralamt für Steuern lehnte die Erstattung der Vorsteuer im Vergütungsverfahren ebenfalls ab, da keine Gegenseitigkeit gegeben sei. Vorsorglich hatte die Klägerin dann den Vorsteuerabzug rückwirkend in der USt-Festsetzung für 2018 beantragt.
3 Entscheidung des BFH
Das Urteil fiel zugunsten der Klägerin aus. Zwar grenzt der BFH klar zur rückwirkenden Rechnungsberichtigung ab: Der erstmalige Steuerausweis in einer berichtigten Rechnung entfaltet keine Rückwirkung. Der Vorsteuerabzug kann deshalb erst ab Zugang der berichtigten Rechnung ausgeübt werden. Der BFH stellte aber auch klar – und das ist neu, dass das Recht auf Vorsteuerabzug mit dem Leistungsbezug entsteht und im Veranlagungsverfahren geltend gemacht werden kann, wenn im Entstehungszeitpunkt steuerpflichtige Umsätze im Inland ausgeführt wurden. Die Rechnung mit Steuerausweis berechtigt zum Abzug im Veranlagungsverfahren, auch wenn bei Rechnungseingang keine Inlandsumsätze mehr vorliegen.
Darüber hinaus bestätigt der BFH, dass es sich bei Demurrage-Kosten nicht um Schadensersatz, sondern um Beförderungskosten handelt, die das Schicksal der Hauptleistung teilen. Je nachdem, ob die Beförderungskosten im Voraus vereinbart wurden oder nicht, liegt dann entweder ein vereinbartes Entgelt i.S.d. § 10 UStG vor oder eine Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 UStG. Der BFH bestätigt zudem, dass für die Umrechnung der in US-Dollar ausgestellten Rechnung der Kurs im Zeitpunkt der Leistungsausführung maßgeblich ist, selbst wenn die Rechnung erst später erteilt wird.
4 Auswirkungen für die Praxis
Wenn ausländische Unternehmer Rechnungen mit deutscher USt erhalten und diese im Vorsteuer-Vergütungsverfahren geltend machen wollen, sollten sie zunächst prüfen, ob der Leistungszeitpunkt der Eingangsleistungen in einem Voranmeldungszeitraum liegt, für den eine Registrierungspflicht in Deutschland bestand. Die Registrierung kann sich z. B. durch Ausgangsumsätze im Inland ergeben oder auch durch Eingangsumsätze mit Leistungsort im Inland, die dem Steuerschuldübergang unterliegen. Vorsteuern aus Eingangsleistungen, die in diesen Voranmeldungszeiträumen entstanden sind, können im Veranlagungsverfahren, also über Voranmeldungen und Jahreserklärungen geltend gemacht werden, auch wenn für den Zeitpunkt des Rechnungseingangs bereits das Vergütungsverfahren anzuwenden wäre.
Das Urteil ist insbesondere interessant
- für Unternehmen aus Drittländern, mit denen keine Gegenseitigkeit besteht und für die das Vergütungsverfahren deshalb ausgeschlossen wäre.
- für Fälle, in denen die Ausschlussfristen für Vergütungsanträge versäumt wurden. Im Veranlagungsverfahren kann man – unter Berücksichtigung der Anlaufhemmung von drei Jahren und der regulären Festsetzungsfrist von vier Jahren – theoretisch noch sieben Jahre später eine Vorsteuererstattung beantragen.
- aus Sicht der Liquidität: Die Bearbeitungszeit von Vorsteuervergütungsanträgen liegt häufig bei mehr als einem Jahr. Die Erstattung im Veranlagungsverfahren erfolgt im besten Fall innerhalb weniger Wochen.
Darüber hinaus könnten ausländische Unternehmer durch das Urteil sogar materiell-rechtliche Einschränkungen im Vergütungsverfahren wie z. B. nach § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG umgehen. Die Erstattung von Vorsteuern aus Rechnungen über Ausfuhrlieferungen und innergemeinschaftliche Lieferungen, die wegen nicht erfüllter Voraussetzungen der Steuerbefreiung mit USt ausgestellt wurden, ist im Vergütungsverfahren ausgeschlossen. Im Veranlagungsverfahren gibt es diese Einschränkung nicht.
Das Urteil des BFH ist ein Meilenstein für die Umsatzsteuerpraxis. Es eröffnet neue Wege zur Geltendmachung des Vorsteuerabzugs außerhalb des restriktiven Vergütungsverfahrens. Ausländische Unternehmen und auch Steuerberater, die Mandanten im Vergütungsverfahren betreuen, sollten dieses Urteil unbedingt berücksichtigen. Das BMF wird eventuell auch den Abschn. 18.15 UStAE anpassen und konkretisieren müssen.
Ansprechpartner:

Dipl.-Finanzwirt (FH), Steuerberater
Tel.: +49 89 217501250
Stand: 03.11.2025