Umsatzsteuer Newsletter 39/2021
Koalitionsvertrag: Gar nicht schlecht aus Sicht der Umsatzsteuer
Der Koalitionsvertrag steht. Die neue Bundesregierung hat sich echte Mühe gegeben, die Umsatzsteuer zu modernisieren (E-Invoicing, Reverse Charge und Einfuhrumsatzsteuer) und zugleich gemeinwohlorientierte Tätigkeiten zu begünstigen (Sachspenden, Bildungsleistungen, Inklusionsbetriebe). Schade nur, dass die – längst überfällige – Reform der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft noch auf sich warten lässt. Wir bleiben aber auch hier weiter am Ball.
1 „Mehr Fortschritt wagen“
Die Ampel hat schnell auf freie Fahrt geschaltet. Nun steht der Koalitionsvertrag, mit stolzen 178 Seiten. Zwar hat die Steuerpolitik darin nicht mehr den großen Stellenwert von einst. Im Wesentlichen beschäftigen sich nur 117 Zeilen mit dem Steuerrecht. Dennoch haben wir uns gesteigert: Beim letzten Koalitionsvertrag 2018 blieben nur 70 Zeilen für uns Steuerrechtler übrig. Doch wie sieht es dieses Mal mit der Umsatzsteuer aus, der immerhin aufkommensstärksten Steuerart? Wir haben mit der Brille des Umsatzsteuerrechtlers einen Blick in das Programm der nächsten vier Jahre geworfen. Gefreut hat uns, dass zahlreiche Ideen und Vorschläge von KMLZ aufgegriffen wurden. 
 
2 Stärkung der Gemeinnützigkeit
Der Gemeinnützigkeitssektor soll mit verschiedenen Maßnahmen gefördert werden. Dies ist richtig und auch wichtig. Besonders erfreulich: Inklusionsunternehmen sollen durch formale Privilegierung im Umsatzsteuergesetz besser gestellt werden. Die Formulierung bleibt etwas nebulös, zielt aber wohl darauf ab, die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes für diese Behinderteneinrichtungen sicherzustellen. Bereits in unserem Newsletter 50 | 2019 hatten wir uns sehr kritisch mit der Rechtsprechung des BFH (Urt. v. 23.07.2019, XI R 2/17) auseinandergesetzt. Denn der BFH versucht zunehmend, den Anwendungsbereich des ermäßigten Steuersatzes einzuschränken. 
 
Sehr begrüßenswert ist auch, dass der Forderung unseres Newsletters 10 | 2021 nachgekommen wird: Steuerrechtliche Hürden für Sachspenden an gemeinnützige Organisationen sollen durch eine rechtssichere, bürokratiearme und einfache Regelung beseitigt werden, um so die Vernichtung dieser Waren zu verhindern. Denn aktuell droht bei Sachspenden noch die Versteuerung als unentgeltliche Wertabgabe. Einige unserer europäischen Nachbarn hatten da eine bessere Idee. Sie verzichten auf die Umsatzsteuer. Wie die Umsetzung hier unionsrechtskonform möglich wäre, können Sie in Kürze in einem Beitrag von meinen Kollegen Birgit Weitemeyer und Oliver Zugmaier und mir in DER BETRIEB nachlesen. 
 
Ebenfalls hervorzuheben ist die europarechtskonforme Beibehaltung der Umsatzsteuerbefreiung für gemeinwohlorientierte Bildungsdienstleistungen. Heißt übersetzt: Man möchte § 4 Nr. 22 UStG halten. Diese Vorschrift wurde vom BFH in verschiedenen Urteilen als richtlinienwidrig eingestuft. Die unionsrechtliche Grundlage ist der Art. 132 Abs. 1 Buchst. i) und j) MwStSystRL. Deren Verhältnis zum nationalen Recht kann als „angespannt“ bezeichnet werden. Auch in unserem Newsletter 34 | 2021 (Steuerbefreiung bei Schwimmunterricht) hatten wir darauf hingewiesen, dass bei Bildungsleistungen der Gemeinwohlgedanke noch immer zu kurz kommt.
 
3 E-Invoicing und Ausdehnung Reverse Charge
Die neue Bundesregierung setzt sich zum Ziel, schnellstmöglich ein elektronisches Meldesystem bundesweit einheitlich einzuführen, das für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen verwendet wird. Damit ist die Einführung eines E-Invoicing-Systems gemeint, also eines Systems, bei dem nur noch Rechnungsdaten hochgeladen werden, im System dann die Rechnung erstellt wird, die erstellte Rechnung an den Kunden übermittelt wird und im Hintergrund Prüfungsroutinen laufen. Italien hat mit einem solchen System bereits Erfahrungen gesammelt. Nun ziehen wir in Deutschland nach und dies ist grundsätzlich auch gut so – vorausgesetzt, es findet vorab eine EU-weite Abstimmung statt. Insellösungen darf es nicht mehr geben. Die Einführung eines solchen Systems würde zunächst einen sehr großen Umstellungsaufwand bedeuten. Dieser kann sich aber sowohl für die Finanzverwaltung als auch für Unternehmen lohnen. Nachdem elektronische Rechnungen im Jahre 2021 in Deutschland immer noch ein Mauerblümchendasein fristen, kann die Ankündigung des E-Invoicing-Systems als echter Fortschritt ganz im Sinne der Überschrift des Koalitionsvertrages gesehen werden. Meine KMLZ Kollegen haben in der DStR einen lesenswerten Beitrag dazu veröffentlicht (Artinger/Putz/Zugmaier, DStR 2021, 2273). 
 
Auf dieser Linie liegt auch die weitere Maßnahme zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs, nämlich die Schaffung eines endgültigen Mehrwertsteuersystems auf EU-Ebene (z.B. Reverse Charge). Auch diese Initiative kann man nur unterstützen. Unternehmen brauchen Rechtssicherheit beim grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr in der EU. Die Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen ist jedoch fehleranfällig und der Lieferant trägt die Beweislast. Die Lösung des Problems kann nur in der Abschaffung dieser Systematik liegen.
 
Dazu passt es, dass auch die Einfuhrumsatzsteuer weiterentwickelt werden soll, um im europäischen Wettbewerb gleiche Bedingungen zu erreichen. Mein Kollege Christian Salder hatte dies bereits in der ifst-Schrift Nr. 529/2019 eingefordert und entsprechende Reformvorschläge unterbreitet. 
 
4 Was (noch) nicht kommt
Der ÖPNV ist aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht weiterhin in Gefahr. Um den Klimaschutz zu stärken, brauchen wir in Deutschland mehr Sicherheit in Bezug auf die Nichtsteuerbarkeit von Zuschüssen (Projektträgerschaften) – vgl. dazu die Bundesratsinitiative der Länder Niedersachsen und Bayern vom 9.3.2021. Schade ist auch, dass die Reformbedürftigkeit der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft noch immer nicht gesehen wird. Auch dazu liegen entsprechende Vorschläge auf dem Tisch. Selbst der EuGH weist Deutschland bereits darauf hin, dass die Organschaft als Antragsverfahren ausgestattet werden dürfte (vgl. unser Newsletter 14 | 2021). Warten wir die nächsten vier Jahre ab. Wir jedenfalls geben nicht auf, weiterhin auf allen Ebenen für die Reform der Organschaft zu werben. 
 
Ansprechpartner:
 
 
Prof. Dr. Thomas Küffner
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht,
Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
Tel.: +49 89 217501230
 
Stand: 25.11.2021