1 Hintergrund
Werkzeuge und Formen spielen vor allem in der Automobilindustrie, aber auch in anderen Branchen, in denen Vorprodukte durch Zulieferer hergestellt werden, eine zentrale Rolle. Sie werden häufig in anderen Ländern eingekauft und verbleiben meist auch im Land des Herstellers / Zulieferers, während das Eigentum oft über Ländergrenzen hinweg übertragen wird.
Die umsatzsteuerliche Behandlung könnte eigentlich relativ simpel sein, handelt es sich doch auf den ersten Blick oft um lokale Lieferungen. Jedoch erweist sich die praktische Abwicklung immer wieder als herausfordernd, weil sich z. B. Sachverhalte im Verlauf der Projekte ändern und Informationen nicht immer zur rechten Zeit bei den Steuerverantwortlichen eingehen. Hinzu kommen länderspezifische Interpretationen und Verwaltungsanweisungen sowie eine grundlegende Zurückhaltung der Finanzbehörden, wenn es darum geht, Vorsteuern aus der Anschaffung der Werkzeuge und Formen zu erstatten. Das zeigt deutlich auch der am 23.10.2025 vom EuGH in der Rs. Brose Prievidza (C-234/24) entschiedene Fall.
2 Sachverhalt
Der deutsche Fahrzeugteile-Hersteller Brose Coburg bestellte beim bulgarischen Zulieferer IME Bulgaria ein spezielles Werkzeug, das für die Produktion von Bauteilen für die slowakische Brose Prievidza bestimmt war. Das Werkzeug wurde zwar von IME Bulgaria an Brose Coburg verkauft, verblieb aber physisch beim Hersteller in Bulgarien, der es ausschließlich für die Produktion der Bauteile für Brose Prievidza nutzte. Anschließend verkaufte Brose Coburg das Werkzeug an Brose Prievidza weiter, ohne dass das Werkzeug Bulgarien verließ. Brose Prievidza beantragte die Erstattung der bulgarischen Mehrwertsteuer, die auf den Erwerb des Werkzeugs gezahlt wurde. Die bulgarische Steuerverwaltung lehnte dies ab mit der Begründung, die Lieferung sei als Nebenleistung zu den steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen der Bauteile von Bulgarien in die Slowakei zu sehen und daher ebenfalls steuerbefreit – eine Erstattung sei ausgeschlossen.
3 Entscheidung des EuGH
Der EuGH stellt wiederholt klar, dass eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung nur dann vorliegt, wenn der Gegenstand tatsächlich physisch in einen anderen Mitgliedstaat verbracht wird. Im Urteilsfall blieb das Werkzeug jedoch in Bulgarien. Daher kann die Lieferung des Werkzeugs nicht als innergemeinschaftliche Lieferung eingestuft werden.
Weiterhin betont der EuGH, dass grundsätzlich jede Lieferung als eigenständige Leistung zu betrachten ist. Eine Ausnahme gilt nur, wenn eine künstliche Aufspaltung vorgenommen wurde oder eine Lieferung als Nebenleistung zu einer Hauptleistung zu qualifizieren ist. Im konkreten Fall sah der EuGH keine Anhaltspunkte für eine künstliche Aufspaltung oder eine Nebenleistung, da der Erwerb des Werkzeugs für Brose Prievidza einen eigenen wirtschaftlichen Zweck erfüllte (z. B. Sicherung der Produktionsmittel, Übertragbarkeit, Unabhängigkeit von Lieferanteninsolvenz). Die Lieferung des Werkzeugs war daher als eigenständige, steuerpflichtige Lieferung zu behandeln.
4 Schlussfolgerungen
Der Sachverhalt war insoweit dankbar, als er es dem EuGH nicht schwer gemacht hat, in dieser Konstellation eines mehrstufigen und zentralisierten Werkzeugeinkaufs über Brose Coburg eine selbständige Lieferung des Werkzeugs zu sehen. Während die Bauteile von IME Bulgaria an Brose Prievidza verkauft wurden, erfolgte der Verkauf des Werkzeugs von (bzw. über) Brose Coburg an Brose Prievidza. Der EuGH sieht daher keine einheitliche Leistung, weil erstens unterschiedliche Gegenstände geliefert wurden und dies zudem noch von unterschiedlichen Leistenden. Etwas anderes würde nur gelten bei einer künstlichen Aufspaltung, die einen ungerechtfertigten Steuervorteil zum Ziel hätte. Aber auch das verneint der EuGH für den vorliegenden Sachverhalt klar.
Offen bleibt, wie der EuGH entschieden hätte, wenn keine Zentralabwicklung (über Brose Coburg) erfolgt wäre, sondern Werkzeug und Bauteile direkt vom Zulieferer (IME Bulgaria) an den Abnehmer (Brose Prievidza) verkauft worden wären. Der EuGH erwähnt allerdings, dass noch nicht einmal die Lieferungen der Bauteile eine einheitliche Leistung darstellen. Muss dann die Lieferung eines anderen Gegenstandes (Werkzeug) nicht umso mehr eine selbständige Leistung sein? Dies bekräftigt der EuGH mit der Aussage, dass ein gewisser Zusammenhang zwischen den Umsätzen (weil das Werkzeug für die Herstellung der Bauteile benötigt wird) nicht bereits zu einer einheitlichen Leistung führt. Hierfür spricht laut EuGH auch, dass das Werkzeug zur Serienproduktion, also für eine große Anzahl von Bauteilen, genutzt wird. Es bleibt dann nur die Frage, wie Musterwerkzeuge zu behandeln sind, mit denen meist lediglich einige wenige Musterteile hergestellt werden.
Besondere Relevanz haben auch die Ausführungen des EuGH, wonach mit der Lieferung des Werkzeugs für den Erwerber ein eigener Zweck verfolgt wird, so dass keine Nebenleistung vorliegen kann. Ein starkes Indiz für einen eigenen Zweck sieht der EuGH darin, dass der Erwerb zur Absicherung der eigenen Position für den Fall von Lieferschwierigkeiten dient. Diese Absicherung dürfte stets die Hauptmotivation des Erwerbers für den Kauf des Werkzeugs sein. Daneben stellt der EuGH fest, dass selbst die Überlassung des Werkzeugs an den Hersteller der Bauteile bereits einen eigenen Zweck erfüllt. Dann stellt sich nur die Frage, ob das in Abschn. 3.10 Abs. 6 Nr. 17 UStAE genannte BMF-Schreiben vom 27.11.1975 (ebenso wie die analoge Regelung in Rz. 1106 der österreichischen UStR) so noch Bestand haben kann. Demnach soll beim Verkauf von Werkzeugen und Formen eine selbständige Leistung nur dann vorliegen, wenn der Erwerber die Gegenstände für eigene wirtschaftliche Zwecke verwenden will, insbesondere verhindern will, dass der Zulieferer sie auch für andere Kunden verwendet. Hierauf dürfte es aber nach den Gedanken des EuGH nicht ankommen. Der Erwerb des zivilrechtlichen Eigentums und die daraus resultierende Absicherung sowie die Überlassung an den Zulieferer sollten bereits als eigene Zwecke ausreichen, die gegen die Einordnung als Nebenleistung sprechen.
Ansprechpartner:

Dipl.-Finanzwirt (FH), Steuerberater
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Stand: 24.10.2025