Umsatzsteuer Newsletter 38/2021
Vollständige Steuerentstehung im Moment der Leistungsausführung – auch bei Ratenzahlungen
Der EuGH (Rs. C-324/20) hat entschieden, dass bei einer Ratenzahlung über fünf Jahre die Umsatzsteuer trotzdem bereits im Moment der Leistungserbringung entsteht. Er entscheidet damit anders als bei einer Spielervermittlerin, die über drei Jahre hinweg für eine Spielervermittlung an einen Verein bezahlt wurde. Klare Abgrenzungskriterien nennt der EuGH insoweit aber nicht. In der Praxis ist zu empfehlen, die Umsatzsteuer von zum Abzug berechtigten Unternehmern bei einer Ratenzahlungsvereinbarung gleich zu Beginn vollständig zu fordern.
1 Hintergrund
EuGH und BFH haben im Jahr 2018 das Verfahren baumgarten sports entschieden. Eine Spielervermittlerin hatte einen Profi-Fußballspieler an einen Verein vermittelt. Die Provision für die Vermittlung wurde halbjährlich ausgezahlt. Die jeweilige Zahlung stand unter der Bedingung, dass der Spieler zum betreffenden Zeitpunkt noch bei dem Verein spielt, an den er vermittelt worden war. In diesem Fall entsteht die Steuer jeweils halbjährlich. Die Vermittlerin konnte sich auf eine entsprechende für sie günstige unionsrechtliche Regelung berufen.
 
2 Sachverhalt (Rs. C-324/20)
Die Klägerin (Kl.) erbrachte im Jahr 2012 eine Grundstücksverkaufs-Vermittlungsleistung. Ihr Honorar i. H. v. EUR 1.000.000 zzgl. EUR 190.000 Umsatzsteuer erhielt sie in fünf jährlichen Raten zu je EUR 200.000 zzgl. EUR 38.000 Umsatzsteuer. Die Kl. zahlte jährlich, jeweils mit Erhalt der Rate, EUR 38.000 Umsatzsteuer. Das Finanzamt verlangte demgegenüber die gesamte Umsatzsteuer – also EUR 190.000 (zzgl. 6 % Zinsen p. a.) – gleich im Jahr 2012.
 
Der BFH fragt den EuGH zunächst, ob auch vorliegend die Umsatzsteuer erst im Moment der jeweiligen Zahlung entsteht. Im Unterschied zum Verfahren baumgarten sports stehen die Zahlungen an die Kl. hier nicht unter einer Bedingung. Sie sind nur vom Zeitablauf abhängig. Seine zweite Frage stellt der BFH für den Fall, dass die Umsatzsteuer vollständig im Jahr 2012 entstanden ist: Liegt dann im Jahr 2012 unmittelbar nach Entstehung der Steuer eine Uneinbringlichkeit (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG) hinsichtlich der erst in den Folgejahren zu zahlenden Raten vor? Folge wäre, dass die Kl. im Jahr 2012 nur EUR 38.000 Umsatzsteuer entrichten müsste. Durch nachträgliche Vereinnahmung müsste sie in den Folgejahren jeweils den erhaltenen Betrag versteuern und daher pro Jahr weitere EUR 38.000 Umsatzsteuer abführen.
 
3 Entscheidung des EuGH
Der EuGH ist hinsichtlich der ersten Frage der Auffassung, dass die Steuer für eine in Raten vergütete einmalige Dienstleistung im Moment der Leistungserbringung entsteht. Dies folgt laut EuGH aus dem Wortlaut, dem Ziel und der Systematik der Regelung in der MwStSystRL. Eine ratenweise Steuerentstehung trete nur dann ein, wenn die Leistung wiederholt oder kontinuierlich während eines bestimmten Zeitraums erbracht wird.
 
Auch eine Nichtbezahlung (= Uneinbringlichkeit) liegt laut EuGH nicht vor. Eine Ratenzahlung sei kein solcher Fall. Eine Nichtbezahlung zeichne sich dadurch aus, dass die Erfüllung des Anspruchs ungewiss ist. Trotz der Neutralität der Umsatzsteuer für den Unternehmer sei weder bezüglich der Steuerentstehung noch der Uneinbringlichkeit ein anderes Ergebnis notwendig. Die Pflicht zur Steuerzahlung bestehe nämlich unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige vorher die Gegenleistung erhalten hat. Im Ergebnis muss die Kl. daher (wohl) im Jahr 2012 EUR 190.000 Umsatzsteuer bezahlen.
 
4 Praxisfolgen
Die Entscheidung zeigt, dass die Soll-Versteuerung in der Praxis nicht nur schwierig korrekt zu handhaben ist. Sie zeigt auch in „beeindruckender“ Weise auf, dass die Soll-Versteuerung mit der Neutralität der Umsatzsteuer (zumindest in Fallgestaltungen der vorliegenden Art) nicht vereinbar ist. Auch wenn der EuGH das Gegenteil beteuert, wird es keinem Unternehmer einleuchten, wieso er in Fällen der vorliegenden Art nicht mit Umsatzsteuer – zumindest im Wege der Vorfinanzierung – belastet sein soll. Die in der MwStSystRL vorgesehen Pflicht, Umsatzsteuer zu entrichten ohne diese zuvor vom Leistungsempfänger zu erhalten, rechtfertigt diese fehlende Neutralität entgegen der Auffassung des EuGH insbesondere bei derart langen Zeiträumen wie im vorliegenden Fall nicht.
 
Unklar bleibt nach dem EuGH-Urteil bezüglich der Steuerentstehung die genaue Abgrenzung zur Entscheidung baumgarten sports. Auch im Fall baumgarten sports hatte die Klägerin – ebenso wie vorliegend – vermittelt und dadurch eigentlich ihre Leistung erbracht. Der BFH hat in seinem aktuellen Vorlagebeschluss herausgearbeitet, dass der Unterschied in beiden Fällen in der Zahlungsmodalität liegt. Im Fall baumgarten sports ist die Zahlung von einer Bedingung abhängig, vorliegend vom Zeitablauf. Auf die Zahlungsmodalitäten als mögliches Abgrenzungskriterium geht der EuGH aber nicht ein. Er nennt auch sonst kein Abgrenzungsmerkmal. Es bleibt daher für die Praxis unklar, in welchen Fällen bei einer sonstigen Leistung, die mit aufeinanderfolgenden Zahlungen vergütet wird, eine sofortige vollständige Steuerentstehung anzunehmen ist. Es bleibt abzuwarten, ob der BFH in seiner Nachfolgeentscheidung Abgrenzungskriterien herausarbeitet. 
 
Schließen Steuerpflichtige künftig Ratenzahlungsvereinbarungen mit zum Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmern, sollten sie unmittelbar bei Leistungserbringung eine Rechnung über den vollständigen vereinbarten Betrag mit Umsatzsteuerausweis stellen. Dem Leistungsempfänger steht in diesem Fall sofort der vollständige Vorsteuerabzug zu. Er kann daher ohne erheblichen Nachteil den Umsatzsteuerbetrag sofort vollständig an den Leistenden entrichten. Die Zahlung des Nettobetrags kann nachfolgend in Raten erfolgen. Der Leistende sollte auf eine entsprechende Regelung im zivilrechtlichen Vertrag achten. 
 
Ist der Leistungsempfänger nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt, ist dieses Vorgehen umsatzsteuerrechtlich ebenfalls zulässig. Im Einzelfall zu klären wäre, ob der Leistende dies vertraglich durchsetzen kann. Ist das nicht möglich, sind die Kosten der Vorfinanzierung der Umsatzsteuer bei der Preiskalkulation des Leistenden zu berücksichtigen. Alternativ wäre generell auch zu überlegen, ob sich der Sachverhalt nicht so gestalten lässt, dass Teilleistungen vorliegen.
 

Ansprechpartner:

Dr. Michael Rust
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Tel.: +49 89 217501274
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Stand: 05.11.2021