Umsatzsteuer Newsletter 38/2020
Jahressteuergesetz 2020 (Teil 7): Einführung eines dezentralen Besteuerungsverfahrens für Bund und Länder
Im siebten Teil unserer Newsletter-Serie zum JStG 2020 beschäftigen wir uns mit der vom Gesetzgeber beabsichtigten Einführung einer sog. dezentralen Besteuerung für Bund und Länder. Zwar lässt es die Finanzverwaltung schon heute zu, dass einzelne unselbständige Organisationseinheiten von Bund und Ländern als Steuerpflichtige behandelt werden. Eine gesetzliche Grundlage hierfür gibt es bisher aber nicht. Eine solche soll nunmehr für die Wahrnehmung aller umsatzsteuerrechtlichen Rechte und Pflichten durch die einzelnen Organisationseinheiten nach Ablauf des Optionszeitraums geschaffen werden. Dies stellt eine Vereinfachung dar. Es bleiben aber viele Fragen offen.
1 Hintergrund
Bisher sah das deutsche Umsatzsteuergesetz kein dezentrales Besteuerungsverfahren für die öffentliche Hand vor. Vielmehr fanden auch für sämtliche juristischen Personen des öffentlichen Rechts (jPöR) grundsätzlich die allgemeinen Regeln des Besteuerungsverfahrens Anwendung. Gemäß § 2 Abs. 3 UStG a. F. hatte die jPöR als Unternehmensträger daher die gesamten Umsätze ihrer – möglicherweise zahlreichen – Betriebe gewerblicher Art in einer Erklärung anzugeben. Zentral zuständig hierfür war bislang das vertretungsberechtigte Organ der jPöR. Bei den Gebietskörperschaften Bund und Länder praktizierte die Finanzverwaltung bisher ohne eine gesetzliche Grundlage eine dezentrale Besteuerung (vgl. u. a. Abschn. 1a.1 Abs. 3 UStAE für innergemeinschaftliche Erwerbe). Diese Praxis war der Tatsache geschuldet, dass bislang über § 2 Abs. 3 UStG an den Begriff des Betriebs gewerblicher Art im Körperschaftsteuerrecht angeknüpft wurde. Eine solche Verwaltungspraxis stand jedoch im diametralen Widerspruch zur Rechtsprechung der EuGH. Denn seit der Rs. Gmina Wrocław (Rs. C-276/14) ist hinreichend geklärt, dass haushaltsgebundenen Einrichtungen die Selbständigkeit fehlt. Die jPöR ist der „Unternehmer“.
 
Unter Anwendung des § 2b UStG lässt sich die bisherige Besteuerungspraxis nicht mehr rechtfertigen. Betriebe gewerblicher Art sind umsatzsteuerrechtlich nicht mehr existent. In der Konsequenz hat die jPöR sämtliche ihrer steuerbaren Umsätze in einer einzigen Umsatzsteuervoranmeldung bzw. -jahreserklärung zu deklarieren. Für Bund und Länder ist dies allerdings kaum zu bewältigen. So gehören zum Bund z.B. 156 untere Bundesbehörden und zahlreiche untergeordnete Organisationseinheiten. Inwieweit diese jeweils einer unternehmerischen Tätigkeit nachgehen, ist schwer zu überschauen. Viele Vertreter von Bund und Ländern denken sich zwischenzeitlich: Die Geister, die ich mit der Einführung von § 2b UStG rief, werde ich nicht mehr los. Was also tun? Wir ändern einfach das Gesetz!
 
2 Gesetzliche Regelung
Mit Implementierung des § 18 Abs. 4f UStG-E und § 18 Abs. 4g UStG-E im deutschen Umsatzsteuergesetz will der Gesetzgeber die dezentrale Besteuerung nun gesetzlich verankern und die Gebietskörperschaften Bund und Länder entlasten (vgl. Referentenentwurf zum JStG 2020 [Stand: 17.07.2020]). 
 
Nach dem neuen Recht obliegen den Organisationseinheiten (im Folgenden: OE) der Gebietskörperschaften Bund und Länder alle steuerrechtlichen Rechte und Pflichten, soweit diese durch das jeweilige Handeln eine Erklärungspflicht begründen. Die OE definiert das Gesetz nicht. Der Gesetzgeber beschreibt sie lediglich in der Gesetzesbegründung zum aktuellen Referentenentwurf des JStG 2020. Erfasst sind beispielsweise die Behörden von Bund und Ländern sowie Bundes- / Landesbeauftragte mit eigener Rechtspersönlichkeit. Die OE muss durch ihr Handeln eine Erklärungspflicht auslösen. Dies ist auch bei umsatzsteuerbaren, aber umsatzsteuerfreien Umsätzen der Fall. Erfasst sind beispielsweise auch innergemeinschaftliche Erwerbe der OE. Die jeweilige OE hat für ihren Bereich die Umsatzsteuererklärungen selbst abzugeben. Gemäß § 18 Abs. 4f S. 2 UStG-E i. V. m. § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a und b AO tritt die OE in den dort genannten Verfahren an die Stelle der Körperschaft. Davon umfasst sind das Verwaltungsverfahren, das Rechnungs-prüfungsverfahren, das gerichtliche Verfahren in Steuersachen und das Strafverfahren wegen Steuerstraftaten.
 
Besonders charmant ist, dass den Behörden ein hohes Maß an Organisationsfreiheit zugebilligt wird: Denn die OE können für ihren Geschäftsbereich durch Organisationsentscheidung jeweils weitere untergeordnete OE mit Wirkung für die Zukunft bilden. Das Ganze atmet aber auch nach oben: Denn die übergeordneten OE können die Rechte und Pflichten der untergeordneten OE durch Organisationsentscheidung selbst wahrnehmen. 
 
Nach der Neuregelung sollen die verschiedenen Betragsgrenzen für die jeweilige OE stets als überschritten gelten. Dies ist konsequent und richtig. Zu nennen sind hier z. B. die Umsatzgrenzen für den monatlichen Voranmeldungszeitraum (EUR 7.500) oder für die Kleinunternehmerregelung (EUR 22.000 und EUR 50.000). Auch dies soll der Vereinfachung dienen. Die Regelung des § 18 Abs. 4f UStG-E ist nach § 27 Abs. 22 S. 7 UStG-E erstmals auf Besteuerungszeiträume anzuwenden, die nicht der Optionserklärung unterliegen. Bund und Länder haben jedoch die Möglichkeit, auf die Anwendung dieser Regelung mit Wirkung für die Zukunft (einheitlich für alle ihre OE) zu verzichten. 
 
3 Folgen für die Praxis
Die gesetzliche Regelung schafft eine erhebliche Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens für Bund und Länder. Allerdings erweitert die Regelung auch den Verantwortungsbereich der zuständigen Personen in den einzelnen OE. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf mögliche Steuerstraftaten und Ordnungswidrigkeiten. Ein funktionierendes Tax Compliance Management System ist daher für Bund und Länder spätestens mit Ablauf des Optionszeitraums unentbehrlich. Dies stellt die Behörden von Bund und Ländern erfahrungsgemäß vor große Herausforderungen, da die steuerrechtlichen Bereiche bislang eher von untergeordneter Bedeutung waren. Mit § 2b UStG hat sich diese Märchenwelt komplett geändert: Denn privatrechtliches Handeln ist ab dem ersten Euro steuerbar. Gleiches gilt für öffentlich-rechtliches Handeln, soweit größere Wettbewerbsverzerrungen drohen. Viele Prozesse sind neu zu definieren.
 
Keine Klarheit schafft die Regelung im Hinblick auf die materiell-rechtlichen Probleme, die aus der dezentralen Besteuerung resultieren. Denn die OE stellt nicht das Unternehmen im Sinne des Umsatzsteuerrechts dar. Die Unternehmenseinheit ist weiter als die Organisationseinheit: Nicht steuerbare Innenumsätze sind zwischen den OE denkbar. Besonders interessant wird es dann beim Vorsteuerabzug: Wer macht diesen geltend? Wie stimmen sich die OE untereinander ab? Wer übernimmt die Verantwortung? Es gibt einiges zu tun … 
 
Ansprechpartner:
 
 
Prof. Dr. Thomas Küffner
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht,
Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
Tel.: +49 89 217501230
 
Stand: 04.08.2020