Umsatzsteuer Newsletter 32/2023
BFH: Periodenverschiebung in der Umsatzsteuer – Anspruch auf Zinserlass
Unternehmer müssen ihre Umsatzsteuer und Vorsteuer im richtigen Besteuerungszeitraum erklären. Soweit dies nicht geschieht, drohen Festsetzungszinsen gem. § 233a AO und ggf. weitergehende Sanktionen. Der BFH hat in einer aktuellen Entscheidung klargestellt, dass Festsetzungszinsen nur insoweit gerechtfertigt sind, als der Unternehmer tatsächlich einen Liquiditätsvorteil hatte. Alle darüber hinaus gehenden Zinsen sind zu erlassen. Betroffene Unternehmer sollten einen entsprechenden Billigkeitsantrag stellen.
1 Hintergrund
Umsatzsteuernachforderungen des Finanzamts werden oft auch von Festsetzungszinsen gem. § 233a AO zu Lasten des Unternehmers begleitet. Für die Entstehung entsprechender Zinsen reicht es bereits aus, wenn der Unternehmer seinen Umsatz für einen späteren Voranmeldungszeitraum erklärt, als es gesetzlich vorgeschrieben ist. In einer aktuellen Entscheidung (Urt. v. 23.02.2023 – V R 30/20) schränkt der BFH die Erhebung von Festsetzungszinsen nun jedoch ein.
 
2 Sachverhalt
Die Klägerin erbrachte Dienstleistungen an Kunden. Diese Leistungen hatte sie ihrerseits bei Subunternehmern eingekauft. Die Klägerin unterliegt der Sollbesteuerung. In den Streitjahren 2009 bis 2013 gab sie monatliche Voranmeldungen ab. Eine Dauerfristverlängerung hatte sie nicht. Die Klägerin erklärte ihre Umsätze jeweils für den Voranmeldungszeitraum, in dem sie die Rechnung stellte. Der Monat der Rechnungstellung stimmte nur in etwa 10 % der Fälle mit dem Monat der Leistungserbringung, für den die Klägerin die Umsätze eigentlich hätte erklären müssen, überein. 90 % ihrer Umsätze erklärte und versteuerte die Klägerin also jeweils um einen Monat zu spät.
 
Diese verspätet erklärten Umsätze ordnete die Außenprüfung zeitlich richtig zu, indem sie die betroffenen 90 % der Umsätze in den jeweiligen Vormonat verschob. So geschah dies auch jahresübergreifend, indem die Außenprüfung 90 % der für Januar erklärten Umsätze für den Dezember des Vorjahres festsetzte. Mit den entsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre setzte das Finanzamt Festsetzungszinsen nach § 233a AO fest. Das Finanzamt hatte den Zinslauf nach dem Gesetzeswortlaut berechnet und Zinsen für 56 Monate (2009), 44 Monate (2010), 32 Monate (2011), 20 Monate (2012) und 8 Monate (2013) festgesetzt. Gegenläufige Festsetzungszinsen auf Erstattungen für einzelne Besteuerungszeiträume gab es wohl nicht. Die Klägerin begehrte einen Erlass der Zinsen, die ihr unverhältnismäßig erschienen. Da es jeweils nur zu einer Verschiebung um einen Monat kam, habe bei Ablauf der 15-monatigen Karenzfrist des § 223a Abs. 2 Satz 1 AO kein Liquiditätsvorteil mehr bestanden. Dies rechtfertige einen vollständigen Zinserlass. Zumindest aber seien die Zinsen insoweit zu erlassen, als sie über 0,5 % pro Zinsbescheid (Zinsen für einen Kalendermonat) hinausgehen, da es jeweils einen Liquiditätsvorteil von nur einem Monat gab. Das Finanzamt lehnte den Erlassantrag ab. Das Finanzgericht hingegen verpflichtete das Finanzamt, im Rahmen seines Ermessens einen Erlass auszusprechen.
 
3 Entscheidung des BFH
Der BFH bestätigt die Entscheidung des Finanzgerichts. Durch § 233a AO sollen keine Zinsvorteile abgeschöpft werden, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind. Insoweit ist entscheidend, dass der Liquiditätsvorteil einer um einen Monat verspäteten Steueranmeldung bereits mit der Zahlung der für den Folgemonat angemeldeten Steuer wieder entfallen ist. Somit neutralisieren sich die Umsatzverschiebungen. Die Steuernachforderung für Dezember 2009 wird durch die Steuererstattung Januar 2010 ausgeglichen. Der Umstand, dass es für Januar 2010 zu keiner tatsächlichen Steuererstattung kommt, steht diesem Ausgleich nicht entgegen. Es ist unschädlich, dass die nun zutreffend aus Januar in den Dezember verschobenen Umsätze durch Umsätze kompensiert werden, die aus dem Februar zutreffend in den Januar verschoben werden. Dem Erlass von Nachzahlungszinsen steht auch nicht entgegen, dass es zu mehreren aufeinanderfolgenden jahresübergreifenden Umsatzverlagerungen gekommen ist. Die §§ 163, 227 AO sehen grundsätzlich ein Ermessen des Finanzamts vor. Das Ermessen ist jedoch nach dem Zweck der Verzinsungsnorm dahingehend auszuüben, dass ein Zinserlass jedenfalls so weit zu gewähren ist, als es keinen Liquiditätsvorteil gab. Der BFH ermöglicht allerdings eine Ermessensausübung hin zu einem weitergehenden Zinserlass. So könnte das Finanzamt die Zinsen, trotz einmonatigen Liquiditätsvorteils, auch ganz erlassen, wenn bei Ablauf der 15-monatigen Karenzfrist des § 233a Abs. 2 Satz 1 AO kein Liquiditätsvorteil mehr vorhanden ist.
 
4 Auswirkungen auf die Praxis
Periodenverschiebungen in der Umsatzsteuer kommen alltäglich vor. Unternehmer, die deswegen mit Festsetzungszinsen belastet werden, sollten an einen Billigkeitsantrag gem. §§ 163, 227 AO denken. Die Entscheidung des BFH bringt folgende wichtige Erkenntnisse für die Praxis:
 
  • Zu Festsetzungszinsen nach § 233a AO darf es nur für solche Zeiträume kommen, in denen der Unternehmer tatsächlich einen Liquiditätsvorteil hatte. 
  • Für Zeiträume, für die der Unternehmer keinen Liquiditätsvorteil hatte, für die nach § 233a AO dennoch Zinsen entstanden sind, ist ein Erlass zu gewähren. 
  • In einem Fall der einmaligen Periodenverschiebung hatte der BFH in einer älteren Entscheidung (Urt. v. 11.07.1996 – V R 18/95) bereits einen Zinserlass bestätigt. Nunmehr herrscht Klarheit, dass dies auch in Fällen gelten muss, in denen es zu stetigen Periodenverschiebungen über viele Monate und Jahre hinweg kommt. 
  • Nicht entschieden hat der BFH hingegen zu einer Situation, in der es neben Festsetzungszinsen für einen Besteuerungszeitraum zu Erstattungszinsen für einen anderen Besteuerungszeitraum kommt. 
  • Betroffene Unternehmer sollten möglichst frühzeitig einen entsprechenden Billigkeitsantrag stellen, §§ 163, 227 AO. Idealerweise bereits vor Erlass eines Zinsbescheids.

Ansprechpartner:


 

Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Telefon: +49 89 217501275
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Stand: 17.07.2023