Umsatzsteuer Newsletter 32/2019
Vorsteuerabzug bei unentgeltlichen Erschließungsmaßnahmen – Umdenken des BFH
Wie weit darf der direkte und unmittelbare Zusammenhang zwischen einer Eingangsleistung und besteuerten Ausgangsleistungen maximal sein, damit die Vorsteuerabzugsberechtigung aus der Eingangsleistung besteht? Der BFH hatte Gelegenheit, zu dieser Frage – anknüpfend an die Rechtsprechung des EuGH in den Rs. Iberdrola und Sveda – Stellung zu nehmen. Entschieden hat er sich allerdings dafür, eine Schleife über Luxemburg zu drehen und dem EuGH – neben zwei weiteren Fragen – die Frage des Zusammenhangs vorzulegen (Az. XI R 28/17). Auch wenn der BFH sich nicht festgelegt hat, kann diese Vorlage als positives Signal dafür gewertet werden, dass der BFH bereit ist, den direkten und unmittelbaren Zusammenhang künftig weiter zu fassen als bislang. Für den Steuerpflichtigen erschließen sich hierdurch neue Vorsteuerquellen – vor allem bei Erschließungsanlagen.
1 Hintergrund
Nach § 15 UStG kann der Unternehmer nur die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen für sein Unternehmen als Vorsteuer geltend machen. Auch Art. 168 MwStSystRL verlangt, dass der Unternehmer die bezogenen Leistungen „für Zwecke“ seiner besteuerten Umsätze verwendet. Voraussetzung ist demnach ein unmittelbarer Bezug der Eingangsleistungen für das Unternehmen. Dabei bedarf es grundsätzlich eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen Eingangsleistung und steuerpflichtigen Ausgangsleistungen. Fehlt ein solcher, besteht das Recht zum Vorsteuerabzug, wenn es sich bei den Kosten für Eingangsleistungen um allgemeine Aufwendungen für die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmers handelt. Nach bisheriger nationaler Rechtsprechung steht dem Unternehmer hingegen kein Vorsteuerabzug zu, wenn ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang mit einer nichtwirtschaftlichen Tätigkeit besteht, z.B. mit einer unentgeltlichen Lieferung. 
 
2 Urteil des BFH (Az. XI R 28/17)
Der BFH hatte darüber zu entscheiden, ob die Klägerin aus Leistungen, die sie zur Vornahme von Baumaßnahmen an einer Gemeindestraße einkaufte, zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Die betreffenden Baumaßnahmen erbrachte die Klägerin unentgeltlich im Auftrag einer Stadt. Die Klägerin betreibt zudem einen Kalksteinbruch. Die zuständige Behörde erteilte hierfür einen Genehmigungsbescheid mit der Auflage der Erschließung über die Gemeindestraße D, die im Eigentum der Stadt X stand. Die Genehmigung sollte erlöschen, wenn der Ausbau nicht zu einem bestimmten Datum umgesetzt war. Um einen Abtransport des Kalksteins über D zu gewährleisten, war ein Ausbau der Gemeindestraße erforderlich. Die Klägerin hatte mit der Stadt vertraglich vereinbart, die Kosten des Ausbaus zu tragen. Aus diesen Eingangsleistungen begehrte die Klägerin den Vorsteuerabzug. Der BFH verneint in seiner Entscheidung das Vorsteuerabzugsrecht auf Grundlage des nationalen Rechts, legt jedoch dem EuGH diese und weitere Fragen vor. 
 
3 Auswirkungen auf die Praxis 
Bei manch einem wird der Sachverhalt der Vorlageentscheidung des BFH das Gefühl eines Déjà-vu auslösen und er wird sich fragen, ob vorliegend nicht ein sog. acte éclairé („geklärter Fall“) gegeben ist, der die Schleife über Luxemburg unnötig macht. Denn in der Rs. Iberdrola (C-132/16) hatte der EuGH bereits über ähnliche Fragen wie die hier aufgeworfenen zu entscheiden, sodass die maßgeblichen Rechtsfragen möglicherweise schon beantwortet sind. 
 
Denn in dem Verfahren Iberdrola ging es ebenfalls um „Erschließungsmaßnahmen“. Iberdrola musste auf eigene Kosten eine Pumpstation der Gemeinde sanieren, um später einen Ferienkomplex steuerpflichtig vermieten zu können. Iberdrola begehrte den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen des Bauunternehmers. Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Instandsetzung der Pumpstation und den besteuerten Ausgangsumsätzen von Iberdrola gegeben sei, weil die Instandsetzung offensichtlich bewirkt wurde, um Iberdrola die Durchführung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zu ermöglichen. Dass die Aufwendungen zur Instandsetzung der Pumpstation auch der Gemeinde zugutekommen, hindere den Vorsteuerabzug nicht, sofern sich der direkte und unmittelbare Zusammenhang zu besteuerten Ausgangsumsätzen nachweisen lasse. Der EuGH benennt zwei Kriterien, die für die Prüfung des Zusammenhangs herangezogen werden können: 
  1. Ist die maßgebliche Eingangsleistung ein preisbildender Faktor eines besteuerten Ausgangsumsatzes?
  2. Beschränkt sich die Eingangsleistung auf das, was erforderlich war, um die wirtschaftliche Tätigkeit zu ermöglichen, oder geht sie darüber hinaus?
 
Der EuGH hat in der Rechtssache Iberdrola folglich erneut – vgl. bereits zuvor Rs. Sveda (C-126/14) – den unmittelbaren Zusammenhang zwischen einer Eingangsleistung und besteuerten Ausgangsleistungen sehr weit gezogen. Die unmittelbare kostenfreie Verwendung eines Investitionsguts durchbricht nicht notwendigerweise den unmittelbaren Zusammenhang zu nachfolgenden, besteuerten Tätigkeiten. 
 
Die Parallelen zum vorliegenden Fall sind unverkennbar: Auch die Klägerin im Vorlageverfahren benötigte die Eingangsleistung, um ihre wirtschaftliche Tätigkeit entfalten zu können. Ohne die Baumaßnahmen an der D hätte die Klägerin die Genehmigung zum Betrieb des Kalksteinbruchs nicht erhalten, da ein Abtransport des Kalksteins ohne den Straßenausbau nicht möglich gewesen wäre. Damit steht fest, dass der für den Vorsteuerabzug erforderliche direkte und unmittelbare Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen gegeben ist. Der BFH mag dieses für den Steuerpflichtigen positive Ergebnis noch nicht recht glauben und stellt daher dem EuGH die weitere hochinteressante Frage, ob die behördliche Genehmigung zum Betrieb des Steinbruchs nicht als „Entgelt“ zu betrachten sei und daher von einer steuerpflichtigen Lieferung ausgegangen werden müsse. Und selbst wenn der EuGH auch dies verneint, käme es nach Auffassung des BFH eventuell doch noch zu einer steuerpflichtigen Ausgangsleistung, und zwar in Form einer unentgeltlichen Wertabgabe. Dies könnte notwendig sein, um einen unversteuerten Endverbrauch zu vermeiden. 
 
Das Verfahren zeigt sehr deutlich, wie schwer sich der BFH mit der Frage des Bestehens eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs tut. Das BMF wird möglichweise umdenken müssen und seine harte Haltung in Bezug auf die Versagung des Vorsteuerabzugs bei Erschließungsanlagen aufgeben müssen (vgl. BMF, Schr. v. 07.06.2012). 
 
Ansprechpartner:

Prof. Dr. Thomas Küffner
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht,
Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
Tel.: +49 89 217501230
thomas.kueffner@kmlz.de

Stand: 17.07.2019