Umsatzsteuer Newsletter 31/2021
EuGH erlaubt unterschiedliche Umsatzbesteuerung von Freizeitparks und Jahrmärkten
Eine Achterbahnfahrt auf dem Jahrmarkt ist günstiger als im Freizeitpark. Der EuGH erlaubt unterschiedliche Steuersätze für ortsgebundene Schausteller in Gestalt von Freizeitparks einerseits und ortsungebundene Schausteller andererseits. Er bestätigt die grundsätzliche Vereinbarkeit dieser deutschen Besteuerungspraxis mit dem Unionsrecht unter der Voraussetzung, dass der Neutralitätsgrundsatz beachtet wird, d.h. gleiche Leistungen gleich behandelt werden.
1 Hintergrund
Schaustellerleistungen auf Jahrmärkten und ähnlichen temporären, ortsunabhängigen Veranstaltungen unterliegen nach deutschem Recht dem ermäßigten Steuersatz von 7% (§ 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG). Schaustellerleistungen in ortsfesten Vergnügungs- oder Freizeitparks werden dagegen mit dem Regelsteuersatz von 19% besteuert.
 
Das FG Köln hatte Zweifel, ob diese – vom BFH bestätigte – unterschiedliche umsatzsteuerrechtliche Behandlung von ortsgebundenen Schaustellern in Freizeitparks einerseits und ortsungebundenen Schaustellern bspw. auf Jahrmärkten andererseits mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Mit Vorlagebeschluss vom 25.08.2020 legte das FG Köln dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens die Frage vor, ob diese Praxis der deutschen Umsatzbesteuerung von Freizeitparks gegen das Unionsrecht verstößt. Der Betreiber des Freizeitparks argumentierte, dass sich die Angebote von Freizeitparks und ortsungebundenen Schaustellern auf Jahrmärkten aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers ähneln und dieselben Unterhaltungsbedürfnisse befriedigen.
 
2 Entscheidung des EuGH
In seinem Urteil vom 09.09.2021 (Az. C-406/20) bestätigt der EuGH, dass ein Mitgliedstaat prinzipiell einen ermäßigten Umsatzsteuersatz auf die Leistungen von ortsungebundenen Schaustellern (z. B. auf Jahrmärkten) anwenden kann, während er auf die Leistungen von ortsgebundenen Schaustellern (z. B. in Freizeitparks) den Regelsteuersatz anwendet. Dabei muss jedoch der Grundsatz der steuerlichen Neutralität gewahrt werden. Hiernach dürfen zwei gleichartige Dienstleistungen, die miteinander in Wettbewerb stehen, hinsichtlich der Umsatzsteuer nicht unterschiedlich behandelt werden. 
 
Für die Beurteilung, ob eine Gleichartigkeit der Dienstleistungen gegeben ist, muss in erster Linie auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abgestellt werden. Im Hinblick auf die streitgegenständlichen ortsabhängigen und ortsunabhängigen Schaustellerleistungen führt der EuGH einerseits aus, dass beide Dientsleistungen ähnliche Eigenschaften haben und beim Verbraucher denselben Bedürfnissen dienen. Andererseits betont der EuGH die aus Verbrauchersicht bestehenden Unterschiede zwischen den beiden Dienstleistungen, wie etwa die zeitliche Verfügbarkeit, die kulturelle und regionale Prägung sowie abweichende nationale rechtliche Rahmenbedingungen (z. B. Genehmigungspflicht und Marktprivilegien). Es ist nun Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob diese Unterschiede tatsächlich bestehen und erheblich genug sind, um eine Gleichartigkeit der beiden Dienstleistungen zu verneinen. Dabei steht es dem Gericht frei, wie es die Sicht des Durchschnittsverbrauchers nach Maßgaben des nationalen Rechts feststellt, ob auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens oder aufgrund eigener Sachkunde.
 
3 Auswirkungen auf die Praxis
Nun ist also wieder das FG Köln am Zug und muss über die Frage entscheiden, ob aus Sicht eines Durchschnittsverbrauchers eine Gleichartigkeit der ortsabhängigen und ortsunabhängigen Schaustellerleistungen besteht. Die vom EuGH beispielhaft in den Entscheidungsgründen aufgezählten Unterschiede zwischen den beiden Dienstleistungen lassen eine gewisse Tendenz des EuGH erkennen. Vor diesem Hintergrund dürfte es u. E. für das FG Köln schwierig sein, eine Gleichartigkeit der ortsabhängigen und ortsunabhängigen Schaustellerleistungen und somit einen Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz zu begründen.
 
Die Entscheidungsgründe des EuGH lassen es jedoch auch zu, dass das FG Köln zu einem anderen Ergebnis kommt und, ggf. auf Basis eines Sachverständigengutachtens, eine Gleichartigkeit von ortsabhängigen und ortsunabhängigen Schaustellerleistungen bejaht. Dies hätte zur Folge, dass zwei divergierende Entscheidungen deutscher Finanzgerichte vorliegen, die in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang stehen. Denn nahezu zeitgleich mit dem Vorlagebeschluss des FG Köln am 25.08.2021 lehnte das FG Münster mit Urteil vom 13.08.2020 die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes für die Umsätze aus dem Verkauf von Eintrittskarten für einen Freizeitpark ab. Damit schloss sich das FG Münster der ständigen Rechtsprechung BFH an, wonach nur ortsungebundene Schausteller in den Genuss des ermäßigten Steuersatzes kommen. Das Revisionsverfahren zum erstinstanzlichen Urteil des FG Münster ist beim BFH unter dem Az. XI R 4/21 anhängig und ruhte bis zur vorliegenden Entscheidung des EuGH. 
 
Die Praxis darf sich daher auf eine höchstrichterliche Rechtsprechung im Nachgang zur EuGH-Entscheidung und damit auf baldige Rechtssicherheit zur Frage freuen, ob auch die Umsätze aus dem Verkauf von Eintrittskarten für einen Freizeitpark dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. Bis dahin sollten betroffene Betreiber von Vergnügungs- oder Freizeitparks weiterhin gegen ihre Umsatzsteuererklärungen Einspruch einlegen, um im Fall einer Änderung der Rechtsprechung von dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG profitieren zu können.
 

Ansprechpartner:

Dr. Matthias Oldiges
Rechtsanwalt
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Stand: 13.09.2021