Umsatzsteuer Newsletter 31/2020
EuGH: Zahlungen bei vorzeitiger Vertragsbeendigung unterliegen der Umsatzsteuer
Eine Abgrenzung zwischen Schadensersatz und Entgelt wird in der Praxis immer wieder erforderlich. Aktuell hat der EuGH in der Rs. Vodafone Portugal zu dieser Frage entschieden. In diesem Urteil unterwirft der EuGH Beträge, die Kunden bei vorzeitiger Vertragsbeendigung ihrem Vertragspartner gezahlt haben, der Umsatzsteuer. Dieses Urteil ist für alle Unternehmer bedeutsam, die Verträge mit einer Mindestbindungsfrist abschließen. Da der UStAE dies bislang anders sieht, dürfte die Entscheidung jedoch nur Auswirkungen für die Zukunft haben.
1 Sachverhalt
Der EuGH hat am 11.06.2020 in der Rs. Vodafone Portugal (C-43/19) zu folgendem Sachverhalt entschieden: Die Klägerin (Kl.) bot ihren Kunden Verträge für verschiedene Telekommunikationsdienstleistungen (z.B. für Festnetz, Mobilfunk oder Internet) an. Die Kunden konnten die Verträge für eine bestimmte Mindestlaufzeit (z.B. für 12 oder 24 Monate) abschließen. Im Gegenzug für den Abschluss eines Vertrages mit Mindestlaufzeit gewährte die Kl. dem Kunden gewisse Vorzugskonditionen (z.B. in Form der kostenlosen Installation und Aktivierung der Dienste). Die Mindestlaufzeit sollte es der Kl. ermöglichen, einen Teil der von ihr verauslagten Kosten (für Geräte, Infrastruktur und die dem Kunden gewährten Vorzugskonditionen) wiederzuerlangen. Sofern ein Kunde die Mindestlaufzeit aus Gründen, die er selbst zu vertreten hatte, nicht einhielt, war er vertraglich verpflichtet, eine Zahlung für die vorzeitige Vertragsbeendigung zu leisten. Die Höhe der Zahlung war geringer als der Betrag, den die Kl. vom Kunden bei regulärer Vertragserfüllung erhalten hätte. Die Zahlungshöhe berechnete die Kl. nach einer zuvor vertraglich festgelegten Formel, welche die gesetzlichen Vorgaben in Portugal berücksichtigte. Die Zahlung durfte die der Kl. entstandenen Kosten nicht übersteigen und musste in angemessenem Verhältnis zu dem Vorteil stehen, den die Kl. dem Kunden gewährt hatte. Dieser Vorteil war im Vertrag benannt und quantifiziert. Kernfrage des Verfahrens war, ob die von den Kunden nach Vertragsbeendigung bezahlten Beträge steuerpflichtiges Entgelt für Leistungen der Kl. oder Schadensersatz sind. 
 
2 Rechtliche Würdigung
Der EuGH gelangt zu dem Ergebnis, dass ein steuerpflichtiges Entgelt vorliegt. Er nimmt Bezug auf sein Urteil vom 22.11.2018 in der Rs. Meo (C-295/17). Bereits in dieser Sache hatte er entschieden, dass eine Ausgleichszahlung des Kunden für eine vorzeitige Vertragsbeendigung, die er selbst verursacht hat, steuerpflichtiges Entgelt ist. Die Zahlung des Kunden sei eine Gegenleistung für den Anspruch auf Erfüllung des Telekommunikationsvertrages, den der Kunde abgeschlossen habe. Dies gelte auch dann, wenn der Kunde diesen Anspruch aus einem Grund nicht wahrnehmen will oder kann, der ihm zuzurechnen ist. 
 
In der Rs. Meo entsprach die Zahlung des Kunden der vollen Summe, die der Kunde bis zum Ende der gesamten Mindestlaufzeit zu zahlen gehabt hätte. Im hier vorliegenden Fall war der zu zahlende Betrag geringer. Dies macht für den EuGH jedoch keinen Unterschied. Die Zahlung des Kunden erfolge auf vertraglicher Basis. Im Vertrag seien die Zahlung und deren Höhe bereits festgelegt. Der zu zahlende Betrag sei als Teil des Entgelts für die Dienstleistung anzusehen, zu deren Erbringung sich die Kl. vertraglich verpflichtet habe. Wird die Mindestbindungsfrist nicht eingehalten, müsse dieser Betrag den Monatsraten hinzugerechnet werden. Der Betrag habe einen ähnlichen Zweck wie die Monatsraten. Bei Betrachtung der wirtschaftlichen Realität erhalte die Kl. gleichsam eine vertraglich garantierte Mindestvergütung für ihre Leistung. Eben diese Leistung sei als erbracht anzusehen, sobald der Kunde die Leistung in Anspruch nehmen könnte, auch wenn er dies – weil er die Mindestbindungsfrist nicht einhält – tatsächlich nicht tut. Der vom Kunden bezahlte Betrag bildet aus Sicht des EuGH auch die tatsächliche Gegenleistung für die Dienstleistung der Kl. Beides sei zwischen der Kl. und dem Kunden schon bei Abschluss des Vertrages bestimmt worden. Die Höhe der Zahlung sei daher weder vom Zufall abhängig noch schwer zu quantifizieren oder gar ungewiss. Die Zahlung könne auch nicht einer gesetzlich geschuldeten Zahlung gleichgestellt werden. Die Kl. solle auch nicht entschädigt werden.
 
3 Folgen für die Praxis
Das Umsatzsteuerrecht soll die Zuwendung eines verbrauchsfähigen wirtschaftlichen Vorteils besteuern, nicht aber lediglich einen Geldfluss. Vor diesem Hintergrund geht die Entscheidung zu weit. Ab der vorzeitigen Vertragsbeendigung erhält der Kunde nichts mehr, was er verbrauchen könnte. Soll nun allein die Tatsache, dass das Ob und die Höhe der Zahlung für den Fall der vorzeitigen Vertragsbeendigung schon im Vertrag vorgesehen waren, eine Besteuerung auslösen? Wie hätte der EuGH entschieden, wenn der Vertrag eine andere Schadensersatzklausel enthalten hätte, die nicht ausdrücklich einen Ausgleich der Kosten für die Vorzugskonditionen vorgesehen hätte? Würde der EuGH nun auch vertraglich pauschalierten Schadensersatz oder Vertragsstrafen der Umsatzsteuer unterwerfen? Wie wäre es in einem Fall, in dem vertraglich nichts geregelt ist, sondern lediglich ein gesetzlicher Anspruch besteht? Im Fall Société thermale d'Eugénie-Les-Bains (Urt. v. 18.07.2007, C-277/05) hatte der EuGH jedenfalls noch entschieden, dass das Angeld, das ein Hotelgast auch bei Nichtnutzung eines gebuchten Hotelzimmers an das Hotel entrichten musste, als pauschalierte Entschädigung nicht der Umsatzsteuer unterliegt. 
 
Wie würde in einem vergleichbaren Fall aus deutscher Sicht entschieden werden? Diese Frage ist nicht nur für Telekommunikationsunternehmen bedeutsam, sondern auch für Leasingunternehmen, Fitnessstudios und andere Dienstleister, die Verträge mit Mindestbindungsfrist anbieten. Der UStAE enthält in Abschn. 1.3 Abs. 17 S. 6 eine Regelung, wonach Ausgleichszahlungen für künftige Leasingraten, die bei Kündigung des Leasingvertrages zu entrichten sind, echten Schadensersatz darstellen. Sie unterliegen keiner Umsatzbesteuerung. Unter Wertungsaspekten muss diese Sichtweise auch für andere Bereiche als das Leasing gelten. Es bedürfte also zunächst einer Änderung des UStAE, wollte die Finanzverwaltung für künftige Sachverhalte eine Besteuerung vornehmen. Einer rückwirkenden Anwendung steht der UStAE schon unter Vertrauensschutzgesichtspunkten entgegen.
 
Ansprechpartner:
 

Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Stand: 21.07.2020