Umsatzsteuer Newsletter 28/2022
Gesetzgeber senkt Zinssatz auf 1,8% pro Jahr
Der Gesetzgeber hat die Höhe des Zinssatzes für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach §§ 233a, 238 AO nunmehr von bislang 6% pro Jahr auf 1,8% pro Jahr gesenkt. Der neue Zinssatz gilt für Verzinsungszeiträume ab 01.01.2019. Dies haben Bundestag (am 23.06.2022) und Bundesrat (am 08.07.2022) beschlossen. Damit will der Gesetzgeber seiner Verpflichtung aus dem Urteil des BVerfG vom 08.07.2021 nachkommen, die Höhe der Zinsen nach § 233a AO neu zu regeln. Leider versäumt es der Gesetzgeber, bei dieser Gelegenheit auch gleich die Zinsregelungen der AO weitergehend zu reformieren. So bleibt es für alle anderen Zinsarten (bei AdV, Stundung, Hinterziehung, Prozessführung) bei 6% pro Jahr. Weitere gerichtliche Streitigkeiten sind damit vorprogrammiert.
1 Hintergrund
Im Jahr 2021 hatte das BVerfG (Urt. v. 08.07.2021 – 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) festgestellt, dass der Zinssatz nach §§ 233a, 238 AO i.H.v. 6% pro Jahr verfassungswidrig ist (KMLZ Umsatzsteuer-Newsletter 29 | 2021). Gleichzeitig hat es erlaubt, den verfassungswidrigen Zinssatz für Verzinsungszeiträume bis 31.12.2018 weiterhin anzuwenden. Es hatte jedoch dem Gesetzgeber aufgetragen, bis zum 31.07.2022 den entsprechenden Zinssatz neu zu regeln. Zunächst hatten die obersten Finanzbehörden darauf reagiert und u.a. laufende Einsprüche gegen Zinsen für Verzinsungszeiträume vor dem 01.01.2019 mittels Allgemeinverfügung als unbegründet abgewiesen (KMLZ Umsatzsteuer-Newsletter 45 | 2021). 
 
2 Gesetzesänderung
Nunmehr hat der Gesetzgeber durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung den Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen gem. §§ 233a, 238 AO neu geregelt. Bundestag und Bundesrat haben zugestimmt. Lediglich die Unterzeichnung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten und die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt stehen noch aus – beides reine Formsache.
 
Die geänderte Fassung des § 238 AO sieht Folgendes vor:
  • Im neu eingefügten Absatz 1a legt der Gesetzgeber die Höhe der Zinsen in Fällen des § 233a AO auf 0,15% pro Monat fest (zuvor waren es 0,5% pro Monat). Der Zinssatz beträgt daher nicht mehr 6% pro Jahr wie bisher, sondern nur noch 1,8%. Der Gesetzgeber will sich damit stärker an der Marktlage orientieren als in der Vergangenheit: Er legt den Basiszinssatz zugrunde und versieht ihn mit einem Aufschlag. Diesen Aufschlag berechnet er als Mittelwert zwischen Einlagenzinsen und Zinsen für Konsumentenkredite.  
  • Der angepasste Zinssatz gilt für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019.
  • Außerdem stellt der Gesetzgeber in dem neuen Absatz 1b des § 238 AO klar, dass für einen Zinslauf unterschiedliche Zinssätze maßgeblich sein können. In diesem Fall sind die Zinsen tageweise mit dem jeweils gültigen Zinssatz zu berechnen. Jeder Kalendermonat wird dabei mit 30 Zinstagen berechnet. 
  • Zuletzt trägt sich der Gesetzgeber im neuen Absatz 1c selbst auf, die Angemessenheit des Zinssatzes für Zinsen nach § 233a AO wenigstens in einem Zwei-Jahres-Turnus zu überprüfen. Die erste Evaluierung erfolgt spätestens zum 01.01.2024. Dabei ist die Entwicklung des Basiszinssatzes zu berücksichtigen. Die Anpassung gilt dann für künftige Verzinsungszeiträume.
 
3 Bedeutung für die Praxis und Handlungsempfehlung
Der Gesetzgeber erfüllt mit den Änderungen des § 238 AO die Mindestanforderungen, die ihm das BVerfG vorgegeben hat. Den Forderungen der Verbände nach einer umfassenderen Reform der Verzinsungsregelungen und auch anderen Vorschlägen für eine einfachere, einheitliche und sichere Rechtsanwendung hat sich der Gesetzgeber leider verschlossen. 
 
Mit der aktuellen Änderung der Zinsen nach § 233a, 238 AO versucht der Gesetzgeber eine Orientierung an der Marktlage und will mit der festgeschriebenen Evaluierungspflicht für eine künftig regelmäßige Anpassung des Zinssatzes an die Marktlage sorgen. Zunächst war eine solche Evaluierung für zumindest alle drei Jahre (beginnend spätestens zum 01.01.2026) geplant. In der dritten Lesung hat der Bundestag diesen Zeitraum dann auf zwei Jahre verkürzt (erste Evaluierung bis spätestens 01.01.2024). 
 
Für andere Verzinsungstatbestände wie AdV-, Stundungs- und Hinterziehungszinsen bleibt es auch künftig bei einer Verzinsung i.H.v. 6% pro Jahr. Der Gesetzgeber hat sich hier einer Anpassung verweigert. Er versteckt sich hinter der Aussage des BVerfG, dass sich seine Entscheidung nicht auf andere Verzinsungstatbestände erstrecke und diese einer eigenständigen Würdigung unterzogen werden müssen. Hier hätte man sich als Steuerbürger einen proaktiven Gesetzgeber gewünscht, der Problembereiche initiativ angeht und nicht wieder darauf wartet, dass Gerichte ihn zum Handeln zwingen (wie auch hier bei den Zinsen nach § 233a AO).
 
Für alte Verzinsungszeiträume vor dem 01.01.2019 belässt es der Gesetzgeber bei der Fortgeltungsanordnung des BVerfG, sodass hier weiter 6% pro Jahr angewendet werden. Unternehmer, die für diese Zeiträume Nachzahlungszinsen ausgesetzt sind, können im Bereich des harmonisierten Umsatzsteuerrechts erwägen, aufgrund möglicher Unionsrechtswidrigkeit der Zinsen weiter gegen diese vorzugehen (vgl. KMLZ Umsatzsteuer-Newsletter 29 | 2021). Wichtig ist hier die Einhaltung der Rechtsbehelfsfristen, insbesondere der Klagefrist, die aufgrund der Allgemeinverfügung vom 08.12.2021 (vgl. KMLZ Umsatzsteuer-Newsletter 45 | 2021) im Dezember 2022 endet.  
 
Neben der geschilderten Änderung des Zinssatzes nimmt der Gesetzgeber noch weitere Änderungen der AO vor. So führt er mit § 233a Abs. 8 AO eine Regelung ein, nach der Zinsen auf Nachzahlungen zwingend nicht festzusetzen oder zu erlassen sind, wenn der Steuerpflichtige freiwillige Vorauszahlungen geleistet hatte. Bei drohenden Steuernachforderungen (z.B. während einer laufenden Betriebsprüfung) können Unternehmer ggf. freiwillige Vorauszahlungen erwägen, um eine weitere Zinsentstehung zu vermeiden. 
 
Ansprechpartner:
 

Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Telefon: +49 89 217501275
thomas.streit@kmlz.de

Stand: 15.07.2022