Umsatzsteuer Newsletter 20/2019
BFH: Unterrichtsleistungen steuerfrei bei beruflichem Bezug – Widerspruch zum EuGH?
Die Steuerbefreiung für gewerbliche Bildungsleistungen wurde kürzlich durch das EuGH-Urteil A & G Fahrschul-Akademie (C-449/17) eingeschränkt. Dabei definierte der EuGH einen neuartigen, enger als bisher gefassten Unterrichtsbegriff. Diese Definition greift der BFH im vorliegenden Urteil zwar nicht auf. Ungeachtet dessen beurteilt er jedoch die Anforderungen an zu befreiende gewerbliche Bildungsleistungen strenger als zuvor. Nach seinen Maßstäben ist die Befreiung von Unterrichtungen im Tangotanzen ausschließlich bei einem konkreten beruflichen Bezug möglich. Aufgrund der Abweichungen vom EuGH-Unterrichtsbegriff ist die Entscheidung des BFH für alle Anbieter gewerblicher Bildungsleistungen bedeutsam.
1 Hintergrund – Verschärfung durch den EuGH
Erst kürzlich schränkte der EuGH mit Urteil v. 14.03.2019 in der Rs. A & G Fahrschul-Akademie (C-449/17) die Steuerbefreiung von Bildungsleistungen ein (vgl. KMLZ Newsletter 16 | 2019). Der Begriff des „Schul- und Hochschulunterrichts“, der den unionsrechtlichen Steuerbefreiungen der Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und Buchst. j MwStSystRL zugrunde liegt, wurde auf den eigentlichen Kern des Unterrichts an allgemeinbildenden Schulen reduziert. Befreit werden können demnach lediglich allgemeine, d. h. für alle Interessierten zugängliche – und in den unteren Schulstufen sogar verpflichtende – Bildungsleistungen, die einen sehr breiten Wissensbereich abdecken und im Rahmen eines Schul- und Hochschulsystems durchgeführt werden, wie es in jedem Mitgliedstaat vorhanden ist. Der BFH interpretierte die unionsrechtlichen Steuerbefreiungen bislang weiter und schlussfolgerte, dass im Ergebnis jegliche Unterrichtung erfasst wird, sofern sie nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung hat. Es wurde daher mit Spannung erwartet, wie der BFH im nun entschiedenen Fall einer Tango-Tanzlehrerin (Az.: V R 66/17) urteilen würde.
 
2 Entscheidung des BFH
Der BFH verneint im Ergebnis die Steuerbefreiung mangels beruflichen Bezugs. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus jedoch, dass die Leistungen befreit worden wären, wenn ein entsprechender Nachweis durch die Klägerin hätte erbracht werden können. Es stellt sich daher die Frage, ob die Entscheidung im Widerspruch zur neuerlichen EuGH-Rechtsprechung steht. Das BFH-Urteil ist damit für den gesamten Bereich der gewerblichen Bildungsleistungen bedeutsam.
 
Der BFH bezieht sich zunächst auf die Rechtsprechung des EuGH, nach der die unionsrechtlichen Befreiungsnormen Unterricht umfassen, der sich auf Schul- und Hochschulunterricht bezieht, sofern die Inhalte nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben. Daraus schließt das Gericht, dass jegliche Unterrichtungen befreit werden können, die nicht reinen Freizeitzwecken dienen. Diese Feststellung entspricht der übrigen BFH-Rechtsprechung in diesem Bereich. So wurden etwa Ballett-, Musik-, Sprach- und Kampfsportunterricht sowie Schwimmkurse von der Umsatzsteuer befreit.
 
Im Verlauf der Urteilsbegründung grenzt der BFH sein zuvor geäußertes weites Verständnis ein. Das FG Berlin-Brandenburg (Az.: 5 K 5108/15) hatte in der Vorinstanz den Freizeitcharakter mit der abstrakt-generellen Begründung verneint, Tangounterricht sei fester Bestandteil in den Lehrplänen allgemeinbildender Schulen sowie des Hoch¬schulsports. Nach Ansicht des BFH sei jedoch vielmehr im Einzelfall zu prüfen, ob nach Maßgabe des Teilnehmerkreises und der thematischen Zielsetzung des jeweiligen Kurses bloße Freizeitgestaltung vorliege. Es müsse eine realistische Möglichkeit zur beruflichen Nutzung der erlangten Erkenntnisse bestehen. Dieser Voraussetzung sei bereits Genüge getan, wenn nur wenige Teilnehmer die Unterrichtsinhalte beruflich anwendeten. Eine lediglich theoretische Möglichkeit der beruflichen Nutzung reiche dagegen nicht aus.
 
Die Vorgehensweise des BFH unterscheidet sich von derjenigen des EuGH. Der EuGH stellt der Frage, ob bloße Freizeitzwecke verfolgt werden, die Prüfung voran, ob die „neue“ Unterrichtsdefinition erfüllt wird. Diese ist deutlich enger gefasst als die Interpretation des BFH, der zufolge sich die Steuerfreiheit auf jegliche Unterrichtungen beziehen kann. Entscheidend ist nach Ansicht des EuGH, ob die Unterrichtungen der „Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen“, wie sie für den Schul- und Hochschulunterricht charakteristisch sind, gleichkommen. Für Fahrschulunterricht in einer Fahrschule wurde dies durch den EuGH aufgrund einer zu ausgeprägten Spezialisierung verneint. Der BFH trifft in der nun veröffentlichten Entscheidung keine Aussage darüber, ob der Tango-Unterricht der Klägerin von der „neuen“ Unterrichtsdefinition umfasst wird oder aber zu speziell ist. Dies mag damit erklärt werden können, dass das Urteil bereits im Januar 2019 und damit vor Ergehen der Rechtsprechungsänderung des EuGH gesprochen wurde.
 
3 Schlussfolgerung und Handlungsempfehlung
Anbieter von gewerblichen Unterrichtungen sollten die Aussagen des BFH mit Vorsicht genießen. Es ist damit zu rechnen, dass der BFH die durch den EuGH formulierten strengeren Maßstäbe für die Steuerbefreiung in Kürze in sein Folgeurteil zur Fahrschulentscheidung übernehmen wird. Dann wird abweichend von dieser Entscheidung folgende Bedingung gelten: Selbst wenn durch eine berufliche Nutzung der Unterrichtungen keine bloßen Freizeitzwecke verfolgt werden, können die Leistungen nur dann steuerfrei sein, wenn sie unter die „neue“ Unterrichtsdefinition fallen. Für spezialisierten Unterricht wird die Steuerbefreiung nicht gewährt. Es könnte infolgedessen zu einer Neubewertung etwa von musikalischen, sportlichen sowie sprachlichen Unterrichtungen kommen. Dem Vernehmen nach wird zu der geänderten Rechtsprechung in Kürze auch ein BMF-Schreiben ergehen.
 
Anbieter von Bildungsleistungen, die über den „gewöhnlichen“ Schulstoff hinausgehen, sollten überprüfen, ob ihre Leistungen auch nach den strengeren EuGH-Maßstäben von der Umsatzsteuer befreit werden können. Ggf. besteht für Anbieter bzw. ihre Leistungen die Möglichkeit, durch die Landesbehörde anerkannt zu werden und die nationale Steuerbefreiung anzuwenden. Bei neu aufgenommenen Unterrichtungen sollte die Frage der Steuerbefreiung vorab durch die Einholung einer verbindlichen Auskunft abgesichert werden. 
 

Ansprechpartner:

Markus Müller, LL.M.
Steuerberater, Dipl.-Finanzwirt (FH)
markus.mueller@kmlz.de

+49 (0) 211 54 095 387

Stand: 16.04.2019