Umsatzsteuer Newsletter 19/2022
EuGH zur Einordnung von Stadt-Karten als (Mehrzweck-)Gutscheine
In seinem jüngsten Urteil zu Stadt-Karten hatte der EuGH erstmals die Gelegenheit, sich zur Anwendung der Gutscheinregelungen der MwStSystRL zu äußern, wie sie seit dem 01.01.2019 gelten. Zentrale Frage war dabei, ob überhaupt ein Gutschein vorliegt. Während der EuGH im entschiedenen Einzelfall eine Einordnung als Gutschein – konkret als Mehrzweck-Gutschein – für möglich erachtet, verpasst er es, durch die Feststellung allgemeiner Grundsätze auch hinsichtlich der Behandlung vergleichbarer Instrumente für mehr Rechtssicherheit zu sorgen.
1 Hintergrund
Stadt-Karten, die ihren Inhaber berechtigen, eine Vielzahl verschiedener touristischer Angebote in einer Stadt in Anspruch zu nehmen, sind ein gern genutztes Mittel zur Tourismusförderung. Ihre umsatzsteuerrechtliche Behandlung ist jedoch noch weitgehend ungeklärt. Insofern stellt sich insbesondere die Frage, unter welchen Bedingungen entsprechende Karten unter die mit Wirkung zum 01.01.2019 eingeführten Regelungen der MwStSystRL zu Gutscheinen fallen. Hierzu nimmt der EuGH mit seinem Urteil in der Rs. DSAB Destination Stockholm AB (C 637/20) nun erstmals Stellung.
 
2 Sachverhalt
DSAB vertreibt an Besucher der Stadt Stockholm sog. Citycards. Die Karten gewähren ihrem Inhaber für einen begrenzten Zeitraum und bis zu einem bestimmten Wert Zugang zu rund 60 Attraktionen wie Sehenswürdigkeiten und Museen. Daneben können die Karteninhaber Beförderungsleistungen wie Rundfahrten mit den „Hop-on-Hop-off“-Bussen und ‑Booten von DSAB oder Sightseeing-Touren anderer Anbieter nutzen. DSAB bietet die Karte mit unterschiedlicher Geltungsdauer und Wertgrenze an. Für eine Karte mit 24-stündiger Gültigkeit besteht eine Wertgrenze von ca. EUR 175. Die angebotenen Leistungen sind teils umsatzsteuerfrei, teils zum ermäßigten und teils zum Regelsteuersatz zu besteuern.
 
Der Inhaber erhält den Zugang zu den angebotenen Leistungen durch Vorlage der Citycard. Ein Eintritts- oder Nutzungsentgelt zahlt er nicht. Vielmehr erhält der Leistende auf Grundlage eines mit DSAB geschlossenen Vertrags von DSAB für jede Nutzung der Citycard einen Anteil des regulären Leistungsentgelts. Die Leistenden sind verpflichtet, den Karteninhabern mindestens einmal Zugang zu ihrer Leistung zu gewähren. Beförderungsleistungen können unbeschränkt in Anspruch genommen werden.
 
DSAB beantragte bei der schwedischen Finanzverwaltung einen Steuervorbescheid zur Einordnung der Citycard als Mehrzweck-Gutschein. Die Finanzverwaltung lehnte die Einstufung der Karte als Gutschein ab. Da der Durchschnittsverbraucher die Karte aufgrund ihrer kurzen Geltungsdauer bei gleichzeitig hoher Wertgrenze nicht in vollem Umfang nutzen kann, ergebe sich nicht klar genug, welche Leistungen der Inhaber dafür erhalte. Unter Verweis auf die noch jungen Regelungen der MwStSystRL legte das schwedische Gericht dem EuGH die Frage der Einordnung der Citycard als (Mehrzweck-)Gutschein vor.
 
3 Entscheidung des EuGH
Der EuGH kommt in seinem Urteil zu dem Ergebnis, dass die von DSAB angebotene Citycard einen Gutschein im Sinne der MwStSystRL darstellen kann. Er bezieht sich hinsichtlich der Einstufung allein auf die zwei in der MwStSystRL verankerten Voraussetzungen. Danach muss für einen Gutschein die Verpflichtung bestehen, ihn als (Teil einer) Gegenleistung für eine Leistung anzunehmen. Zudem muss die zu erbringende Leistung oder die Identität des möglichen Leistenden auf dem Gutschein oder in damit zusammenhängenden Unterlagen (z. B. Nutzungsbedingungen) angegeben sein. Sind diese beiden Voraussetzungen erfüllt, hält der EuGH die Einstufung der Citycard als Gutschein für möglich. Den Umstand, dass ein Durchschnittsverbraucher aufgrund der kurzen Gültigkeitsdauer nicht alle vom Angebot und der Wertgrenze grundsätzlich umfassten Leistungen in Anspruch nehmen kann, sieht der EuGH insoweit als irrelevant an.
 
Die Überprüfung der in der MwStSystRL verankerten Voraussetzungen überlässt er dem vorlegenden Gericht. Sollte das vorlegende Gericht die Citycard als Gutschein einordnen, sieht der EuGH darin einen Mehrzweck-Gutschein. Die Citycard berechtigt zum Bezug unterschiedlich besteuerter Leistungen. Im Zeitpunkt der Ausstellung steht noch nicht fest, welche Leistungen der Karteninhaber auswählen wird. Ein Einzweck-Gutschein scheidet mangels feststehender Umsatzsteuer aus. Folglich greift der Auffangtatbestand des Mehrzweck-Gutscheins.
 
4 Praxisfolgen
Der EuGH hatte erstmals die Gelegenheit, sich zur Anwendung der Gutscheinregelungen der MwStSystRL zu äußern. Gerade im Hinblick auf Stadt-Karten war eine Aussage besonders wünschenswert. Der Mehrwertsteuerausschuss hatte die – bis dahin in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche – Behandlung von Stadt-Karten bereits im Jahr 2019 diskutiert, kam jedoch zu keinem eindeutigen Ergebnis (Working Paper Nr. 983). In seiner Einordnung der Citycards beschränkt sich der EuGH nun auf die Prüfung der in der MwStSystRL niedergeschriebenen Voraussetzungen. Die Geltungsdauer sowie die Möglichkeit der vollständigen Inanspruchnahme erachtet er ausdrücklich nicht als entscheidungserheblich. 
 
Allerdings vermeidet es der EuGH, über diesen Einzelfall hinausgehende allgemeine Grundsätze festzustellen, wie sie für Zwecke der Rechtssicherheit wünschenswert gewesen wären. So hält er die Einstufung der Citycard als Gutschein (unter Annahme der Erfüllung der ausdrücklichen Voraussetzungen) für „möglich“, trifft jedoch keine absolute Aussage. Lediglich die Einordnung der Karte als einheitliche sonstige Leistung lehnt er ausdrücklich ab. Insgesamt bleibt der EuGH in seinen Ausführungen deutlich hinter der Generalanwältin zurück. Diese legt in ihrem Schlussantrag dar, dass Instrumente, welche die Voraussetzungen der MwStSystRL erfüllen, stets als Gutschein behandelt werden sollten. Grund für eine Ausnahme sieht sie nur, wenn dies der Anwendung einer besonderen Behandlung der zugrunde liegenden Leistung entgegensteht.
 
Es besteht damit weiterhin Raum für Unsicherheiten bei der Beurteilung vergleichbarer Instrumente. Eine Einzelfallprüfung bleibt unerlässlich. Dies gilt umso mehr, da entsprechende Karten in einer Vielzahl individueller Ausgestaltungen angeboten werden. Auch der EuGH wird sich wohl nicht zum letzten Mal mit den Anforderungen an einen Gutschein befasst haben. 
 
Ansprechpartner:
 

Laura Klein
Steuerberaterin, Master of Science (M.Sc.)
(Rechts- und Wirtschaftswissenschaften)
Telefon: +49 89 217501296
laura.klein@kmlz.de

Stand: 02.05.2022