1 Sachverhalt
Der Kläger (im Folgenden: Kl.) war Freiberufler. Er war zugleich Mitglied der berufsständischen Kammer und des berufsständischen Versorgungswerks. Als Vorsitzender leitete er den Verwaltungsrat des Versorgungswerks. Dem Verwaltungsrat oblag die Leitung des Versorgungswerks. Die Delegiertenversammlung des Versorgungswerks wählte den Verwaltungsrat auf fünf Jahre. Der Verwaltungsrat war mindestens zweimal jährlich einzuberufen. Ferner dann, wenn zwei seiner Mitglieder oder die von ihm eingesetzte Geschäftsführung dies forderten. Besondere Haftungsregelungen bestanden nicht. Die Satzung des Verwaltungsrates regelte, dass dessen Entscheidungen durch Abstimmung getroffen werden. Jedes Mitglied hatte dabei eine Stimme. Die Satzung sah vor, dass die Mitglieder ehrenamtlich tätig werden. Aufwandsentschädigungen und Kostenerstattungen wurden in einer gesonderten Entschädigungsordnung festgelegt. Auf dieser Basis erhielt der Kl. als Vorsitzender eine monatliche pauschale Aufwandsentschädigung. Daneben erhielt er eine Entschädigungsgebühr für die Dauer der Verwaltungsratssitzungen und für die Fahrzeiten. Die Höhe dieses Sitzungsgelds bemaß sich nach Stunden. Schließlich wurden dem Kl. die Reisekosten ersetzt. Der Kl. unterwarf diese Zahlungen nicht der Umsatzsteuer. Das Finanzamt berechnete die Umsatzsteuer aus den erhaltenen Zahlungen heraus und setzte sie entsprechend fest. Hiergegen wehrte sich der Kl. Er berief sich auf Unionsrecht, wonach er nicht unternehmerisch tätig sei. Zumindest aber sei seine Tätigkeit gem. § 4 Nr. 26 UStG als ehrenamtliche Tätigkeit steuerfrei.
2 Rechtliche Würdigung
Das FG Niedersachsen entschied mit Urteil vom 19.11.2019 (Az.: 5 K 282/18), dass die Tätigkeit des Kl. als Verwaltungsratsmitglied nicht der Umsatzsteuer unterliegt. Es nimmt dabei Bezug auf das Urteil des EuGH v. 13.06.2019 – C-420/18 in der Rechtssache IO (KMLZ Newsletter 29/2019), in der der EuGH die Steuerbarkeit eines niederländischen Aufsichtsratsmitglieds verneint hatte. Dadurch, dass der Kl. sein Amt als Vorsitzender des Verwaltungsrates über viele Jahre gegen ein regelmäßiges Entgelt ausgeübt hat, habe er zwar nachhaltig entgeltlich – und damit wirtschaftlich im Sinne des Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL – gehandelt. Die Selbständigkeit seiner Tätigkeit als Vorsitzender des Verwaltungsrates sei vorliegend jedoch zu verneinen. Der Kl. habe nicht im eigenen Namen und auf eigene Rechnung gehandelt. Indem er als Vorsitzender des Verwaltungsrates das Versorgungswerk nach außen hin vertrat, berechtigte und verpflichtete er das Versorgungswerk und nicht sich selbst. Daneben wurden die Entscheidungen bzgl. der Führung des Versorgungswerks nur gemeinsam mit den übrigen Mitgliedern des Verwaltungsrates im Kollektiv getroffen. Damit entspreche die Stellung des Kl. derjenigen des Aufsichtsratsmitglieds im Fall IO. Auch trage der Kl. weder eine individuelle Verantwortung, noch habe er persönlich für Schäden gegenüber Dritten, die er in weisungsgemäßer Ausführung der Beschlüsse des Verwaltungsrats verursachte, haften müssen. Irrelevant sei dabei auch, dass der Verwaltungsrat als Leitungsorgan fungiere, wohingegen der Kl. im Fall IO lediglich Mitglied des Aufsichtsrats war, der die Tätigkeit des Vorstands nur überwachte. In beiden Fällen gehöre der jeweilige Kl. einem Kollektivorgan an, für das er tätig wurde und damit gerade nicht selbständig handelte. Der Kl. trage auch kein wirtschaftliches Risiko. In erster Linie bezog er eine monatliche Fixvergütung, die losgelöst vom konkreten Aufwand war. Der Ersatz der Reisekosten sei im Wesentlichen durchlaufender Posten. Auch das Sitzungsgeld, dessen Höhe von der Dauer der Sitzungen abhing, begründe kein wirtschaftliches Risiko. Zum einen sei das Sitzungsgeld der Höhe nach gering. Zum anderen konnte der Kl. nicht frei über die Anberaumung von Sitzungen entscheiden. Da das FG bereits die Steuerbarkeit der Tätigkeit verneinte, konnte es die Frage der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 26 UStG offenlassen.
3 Folgen für die Praxis
Das Urteil des FG Niedersachsen setzt die jüngste Rechtsprechung des EuGH in der Sache IO sowie des BFH vom 27.11.2019 (V R 23/19, KMLZ Newsletter 06/2020) zur Unternehmereigenschaft eines Aufsichtsratsmitglieds in anderem Gewande fort. Der BFH hatte entschieden (V R 23/19), dass die Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds nicht der Umsatzsteuer unterliegt, soweit dieses eine Fixvergütung erhält. Dabei hatte er ausdrücklich offengelassen, wie Sachverhalte mit variablen Vergütungsbestandteilen zu bewerten sind. Das FG erkennt nun erweiternd die Nichtsteuerbarkeit erstens trotz variablen Sitzungsgeldes und zweitens für ein Mitglied eines Leitungsgremiums an. Dass die Höhe des variablen Sitzungsgeldes gering war, dürfte nicht ausschlaggebend sein. Wichtiger scheint der Aspekt, dass der Kl. die Sitzungen nicht nach seinem Gutdünken einberufen, insoweit also keine „Unternehmerinitiative“ entfalten konnte. Das Urteil ist rechtskräftig. Das Finanzamt hat die eingelegte Revision (Az.: V R 6/20) zurückgenommen.
Die angelegten Maßstäbe gelten für Aufsichtsrats- wie für Verwaltungsratsmitglieder gleichermaßen, ebenso für Mitglieder weiterer Kollegialgremien. Nicht jede variable Vergütung begründet also ein wirtschaftliches Risiko. Offen bleibt, wo dieses beginnt. Der EuGH jedenfalls stellt hierfür nicht nur auf die Einnahmenseite, sondern auch auf die Ausgaben ab (EuGH, Urt. v. 25.07.1991 – Ayuntamiento de Sevilla). Auf Basis des Abschn. 2.2 Abs. 2 S. 7 UStAE können Aufsichtsratsmitglieder weiterhin von einer unternehmerischen Tätigkeit ausgehen. Verwaltungs- und Aufsichtsratsmitglieder können sich jedoch ggü. ihrem Finanzamt auch auf das Unionsrecht berufen und die Nichtsteuerbarkeit einfordern. Dies scheint dort sinnvoll, wo auf Empfängerseite kein volles Vorsteuerabzugsrecht besteht. Im Verhältnis zwischen Verwaltungs- und Aufsichtsratsmitglied einerseits und der Gesellschaft/Organisation andererseits sollten zivilrechtliche Abwicklungsfragen gesonderte Beachtung finden.
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Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Stand: 05.06.2020