1 Überblick
Die Differenzbesteuerung gemäß § 25a UStG bietet einige Stolpersteine. Werden diese übersehen, besteht das Risiko, dass das Finanzamt die Anwendung der Differenzbesteuerung versagt. Auch in jüngster Zeit hat u. a. der BFH wieder zwei Entscheidungen zur Differenzbesteuerung getroffen. Ergebnis: Die Voraussetzungen der Differenzbesteuerung sind nicht erfüllt. Der Unternehmer muss nachversteuern. Zwar hatte der EuGH in der Rechtssache Litdana (EuGH, Urt. v. 18.05.2017 – C-624/15) klargestellt, dass die Differenzbesteuerung im Einzelfall auch angewendet werden kann, wenn die objektiven Voraussetzungen der Regelung nicht vorliegen. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Unternehmer die Differenzbesteuerung gutgläubig angewendet hat. Doch auch dafür sind die Anforderungen keinesfalls gering.
2 BFH, Beschl. v. 11.12.2024 – XI R 15/21: Gebrauchtfahrzeuge
Die erste Entscheidung betraf den Handel mit gebrauchten Kfz – ein typischer Anwendungsbereich der Differenzbesteuerung. Der Kläger (Kl.), ein Händler, kaufte Kfz von vermeintlich privaten Verkäufern, die jedoch nicht die jeweils letzten Halter der Kfz waren. Teilweise waren die Fahrgestellnummern unvollständig, was eine Nachprüfung durch das FA verhinderte. Dieses unterstellte daher, dass der Kl. tatsächlich von nicht gemeldeten Händlern erworben hatte, und versagte die Differenzbesteuerung – keine der Alternativen des § 25a Abs. 1 Nr. 2 UStG sei erfüllt. FG und BFH bestätigten diese Sichtweise. Der BFH betonte, dass derjenige, der die Differenzbesteuerung begehrt, beweisen muss, dass deren Voraussetzungen vorliegen. Ist dies nicht möglich, geht das zu Lasten des Steuerpflichtigen, hier des Kl. Ob Vertrauensschutz bereits im Festsetzungsverfahren berücksichtigt werden darf oder ob es eines gesonderten Billigkeitsverfahrens bedarf, ließ der BFH offen. Der Kl. sei nicht gutgläubig gewesen. Er habe nicht alle zumutbaren Prüfungsmaßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass der betreffende Umsatz nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt. Aus den Entscheidungen lassen sich einige konkrete Vorschläge für solche Maßnahmen ableiten: Stimmen Lieferant und Halter nicht überein, sollte sich der Wiederverkäufer bei Privatverkäufen eine Verkaufsvollmacht vorlegen lassen; die Verwendung von Musterverträgen, die typischerweise bei Privatverkäufen genutzt werden, reicht nicht aus; bei einmaligen Geschäftsbeziehungen ist besondere Vorsicht geboten; Verträge sollten auf die Differenzbesteuerung verweisen; vollständige Dokumentation der Fahrgestellnummern sollte erfolgen.
3 BFH, Urt. v. 11.12.2024 – XI R 9/23: Umgearbeitete Waschkommoden (sog. Upcycling)
Auch in der zweiten Entscheidung hatte es die Differenzbesteuerung schwer. Hier ging es um die umsatzsteuerrechtliche Behandlung sog. „upgecycelter“ Waschkommoden. Diese bestanden einerseits aus antiken (gebrauchten) Bauteilen und andererseits aus neuen Waschbecken. Der Erwerb der Waschbecken durch die Kl. erfolgte mit Vorsteuerabzug, der Ankauf der gebrauchten Kommoden ohne. Für den Weiterverkauf der Kommoden begehrte die Kl. die Differenzbesteuerung. Das FG ging von einem einheitlichen Liefergegenstand aus, der von der bearbeiteten Gebrauchtkommode geprägt wird. Diese Wertung des FG unterstellend, folgte der BFH dem EuGH. Dieser hatte in der Rs. Bawaria Motors (Urt. v. 19.07.2012 – C-160/11) entschieden, dass ein (anteiliges) Recht zum Vorsteuerabzug (hier für die Waschbecken) die Differenzbesteuerung ausschließt. Dennoch verweist der BFH den Rechtsstreit ans FG zurück. Dieses muss erneut Feststellungen dazu treffen, ob die Kl. wirklich einen einzigen, bereits bearbeiteten Gegenstand (Waschtisch) geliefert hat oder ob sie erst mehrere Gegenstände (Kommode, Waschbecken) geliefert und diese dann anschließend bearbeitet hat.
4 Sächsisches FG, Urt. v. 24.10.2023 – 2 K 92/21: Sonstige Gegenstände über Online-Plattformen
Auch das Sächsische FG hat einer Kl. für ihren Warenvertrieb via Online-Plattformen die Differenzbesteuerung versagt. Die Kl. hatte größere Mengen an Waren von verschiedenen Lieferanten erworben. Sie ging davon aus, dass es sich um Gebrauchtwaren handelte. Auf den Garantiekarten der Produkte war jedoch wohl nie ein Vorverkauf an Privatkunden eingetragen gewesen. Die Vorlieferanten hatten auf den Rechnungen vermerkt, dass die Gegenstände der Differenzbesteuerung unterlägen. Hierauf hatte die Kl. vertraut. Die FAs der Vorlieferanten versagten diesen jedoch die Differenzbesteuerung. Zum Teil gab es strafrechtliche Verurteilungen. Das FG legt § 25a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG richtlinienkonform nun dahingehend aus, dass die Kl. die Differenzbesteuerung nur dann erhalten könne, wenn auch die Vorlieferanten diese zu Recht angewendet haben. Dies war nicht der Fall. Mit den von der Kl. vorgebrachten Vertrauensschutzgesichtspunkten befasst sich das FG nicht. Es verweist insoweit auf ein gesondertes Billigkeitsverfahren. Das Verfahren ist nun – nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde – unter dem Az. XI R 23/24 beim BFH anhängig.
5 Differenzbesteuerung im Visier der Strafverfolger
Aktuell ermittelt die Europäische Staatsanwaltschaft unter dem Code „Nimmersatt“ in einem Sonderfall (Verkauf importierter und wiederaufgearbeiteter Unfallfahrzeuge) u. a. wegen vermeintlich unberechtigter Anwendung der Differenzbesteuerung im großen Umfang, zuletzt mit Durchsuchungen in 10 Mitgliedstaaten (vgl. EPPO).
6 Praxishinweise
Die Differenzbesteuerung hat ihre Tücken. Wiederverkäufer sollten sich nicht blind auf die Angaben der Vorlieferanten verlassen. Sie tragen hier das volle Risiko. Sie sollten Verträge ordnungsgemäß aufsetzen, ggf. Vollmachten einholen. Die konkreten Einzelfallumstände müssen plausibel erscheinen. Nach Möglichkeit sollten sie weitere zumutbare Prüfungen vornehmen und dokumentieren. In streitigen Fällen sollten Wiederverkäufer sicherheitshalber einen Billigkeitsantrag stellen.
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Stand: 16.05.2025