Umsatzsteuer Newsletter 07/2022
BMF zur Behandlung der Umsatzsteuer im Insolvenzeröffnungsverfahren
An der Schnittstelle von Umsatzsteuer- und Insolvenzrecht ist § 55 Abs. 4 InsO für den Fiskus als Insolvenzgläubiger die maßgebliche Weichenstellung zwischen erfolgreicher Beitreibung einer Umsatzsteuerforderung (Masseverbindlichkeit) und Forderungsausfall (Insolvenzforderung). Mit Wirkung zum 01.01.2021 hatte der Gesetzgeber § 55 Abs. 4 InsO modifiziert und auf Fälle der vorläufigen Eigenverwaltung erstreckt. Mit Schreiben vom 11.01.2022 nimmt das BMF nun zu einigen umstrittenen Anwendungsfragen des § 55 Abs. 4 InsO Stellung.
1 Hintergrund
In seinem Schreiben vom 11.01.2022 äußert sich das BMF zu Anwendungsfragen des § 55 Abs. 4 InsO, also zur Umsatzsteuer im Insolvenzeröffnungsverfahren. § 55 Abs. 4 InsO ordnet u. a. alle Umsatzsteuerverbindlichkeiten, die im Grundsatz als Insolvenzforderungen zur Tabelle anzumelden wären, ausnahmsweise den Masseverbindlichkeiten zu. Noch bis vor Kurzem war zwischen der Finanzverwaltung und der höchstrichterlichen Rechtsprechung umstritten, für welche Steuer- und Insolvenzverfahrensarten § 55 Abs. 4 InsO a. F. Anwendung finden sollte. Die Finanzverwaltung wendete § 55 Abs. 4 InsO a. F. analog auf die vorläufige Eigenverwaltung an. BGH (Urt. v. 22.11.2018, Az. IX ZR 167/16) und BFH (Urt. v. 07.05.2020, Az. V R 14/19) sahen die vorläufige Eigenverwaltung nicht von dessen Wortlaut erfasst. Diesen Zwist hat der Gesetzgeber mit der Neugestaltung des § 55 Abs. 4 InsO zum 01.01.2021 nun zugunsten der Finanzverwaltung entschieden. Gleichzeitig beschränkte er den Anwendungsbereich der Norm auf die Umsatzsteuer und einige ausgewählte Steuerarten. Das neue BMF-Schreiben knüpft an die gesetzgeberische Entscheidung an und beantwortet einige bislang noch offene Fragen aus Verwaltungssicht.
 
2 Inhalt des BMF-Schreibens
Das BMF-Schreiben ersetzt zwei zuvor zu diesem Themenbereich ergangene BMF-Schreiben vom 20.05.2015 und vom 18.11.2015. Es findet rückwirkend Anwendung auf alle Insolvenzverfahren, deren Eröffnung ab dem 01.01.2021 beantragt wurde:
 
 
In sachlicher Hinsicht trifft das BMF-Schreiben Regelungen für die Phase zwischen der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters/Sachwalters bis zur Insolvenzeröffnung. Klarstellungen bringt das BMF-Schreiben insbesondere für den Umsatzsteuerschuldner im Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung:
  • In Fällen, in denen die vorläufige Eigenverwaltung bis zum 31.12.2020 beantragt wurde, kommt § 55 Abs. 4 InsO nicht zur Anwendung, begründet also keine Masseverbindlichkeiten. Anders ist dies, wenn die vorläufige Eigenverwaltung nach dem 31.12.2020 beantragt wurde. Ab diesem Datum geht das BMF von einer umfassenden Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO bei der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters aus (Rn. 3).
  • Steuerrechtliche Nebenleistungen sollen vom Anwendungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO nicht mehr erfasst sein. Für Säumniszuschläge gibt es jedoch eine Ausnahme (Rn. 8).
  • Die Rechtsprechung zur Berichtigung der Bemessungsgrundlage wegen Uneinbringlichkeit aus Rechtsgründen wird nun expressis verbis auf den eigenverwaltenden Insolvenzschuldner erstreckt (Rn. 17, 19, 21). Hat der Insolvenzschuldner Umsätze nach vereinbarten Entgelten erbracht und steht das Entgelt noch aus, so ist mit Bestellung des vorläufigen Sachwalters die Umsatzsteuerschuld nach § 17 UStG aus Rechtsgründen zu berichtigen. Kommt es während der vorläufigen Eigenverwaltung zum Forderungseinzug, erfolgt eine zweite Berichtigung der Umsatzsteuerschuld nach § 17 UStG, die über § 55 Abs. 4 InsO zur Masseverbindlichkeit führt (= Doppelberichtigung) (Rn. 19, 20). 
  • Im Fall der Ist-Versteuerung führt die Vereinnahmung im laufenden Eigenverwaltungsverfahren mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über § 55 Abs. 4 InsO zu Masseverbindlichkeiten (Rn. 23).
  • Der Insolvenzschuldner muss auch während des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens seine Steuererklärungspflichten erfüllen. Er muss auch Umsätze erklären, die unter § 55 Abs. 4 InsO fallen. Erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelten die unter § 55 Abs. 4 InsO fallenden Umsätze tatsächlich als Masseverbindlichkeiten und werden gegen diese festgesetzt (Rn. 29 ff., 38 ff.).
 
3 Bedeutung für die Praxis
Insbesondere für den Bereich der Eigenverwaltung bringt das BMF-Schreiben einige Klarstellungen. Insolvenzschuldner und vorläufiger Sachwalter müssen bereits in der Insolvenzeröffnungsphase den späteren privilegierten Zugriff des Fiskus auf die Insolvenzmasse im Blick behalten. Gegen die Umsatzsteuerfestsetzung als Masseverbindlichkeit kann der Insolvenzverwalter oder der eigenverwaltende Insolvenzschuldner Einspruch erheben. Entscheidend dabei wird sein, in welchem Insolvenzverfahrensstadium die Umsatzsteuerschuld begründet wurde. Insbesondere die von der Finanzverwaltung auch im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung generell angewandte Doppelberichtigung nach § 17 UStG ist nicht für alle Fallkonstellationen abschließend geklärt. Hier wird die Rechtsprechung weitere Klarheit bringen müssen.
 
Ansprechpartner:
 

Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Stand: 03.03.2022